Das perfekte Wirtshaus. Jürgen Roth

Das perfekte Wirtshaus - Jürgen Roth


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gehen, durstig und sprachlos.

      Goldener Grüner Baum

      Wenn man es satt hat – und man hat es oft genug satt –: dieses ubiquitäre neumoderne Interieur samt aprikosenfarbenem Feinputz, diese betonte Kühle und genormte pseudomondäne Sachlichkeit und Eleganz, dieses so offenkundig angestrengt Durchdachte und doch nur Abgekupferte all dieser sogenannten Bars und Restaurants und Chill-out-Lokalitäten – dann muß man weg, weg, raus aus der törichten Stadt, raus aufs Land, aufs Kaff, unter Leute, die sich nicht scheuen, anders zu reden, als es ihnen das Fernsehen und das Feuilleton vorplappern. Und dann findet man in der Regel doch nur wieder verhobelte Läden, stilistisch nochmals unbedarftere Adaptionen dieses gähnend öden Kollektivstils, und in denen hocken Leute, die genauso reden, wie es ihnen das Fernsehen und der Sportteil vorschreiben.

      Es gibt keine Wirtshäuser mehr, zumindest an den Peripherien der größeren Städte nicht. Wer etwa rund um Stuttgart oder Frankfurt ein normales, einfaches, einladendes Wirtshaus sucht, ist verloren und verratzt. Es ist verflucht, es ist eine Blamage, und insbesondere rund um Frankfurt ist es eine einzige Katastrophe. Im Taunus und im Vordertaunus ein halbwegs anständiges Wirtshaus zu finden ist unmöglich. Der Taunus ist verloren, ein für allemal.

      Fast. Oder noch nicht ganz. Denn in Bad Soden-Altenhain steht unweit der Kirche ein Fachwerkhaus, das Gasthaus Zum Grünen Baum. Der Grüne Baum verdient, im Rahmen der immer dringlicher gebotenen hessischen Initiative zur Rettung des Wirtshauses als leuchtendes Beispiel auserkoren zu werden – als zeitloses Vorbild des einladenden, einfachen, normalen Wirtshauses ohne deutsch-romantische Verkleisterung, Verklärung und Verkitschung.

      Ein langgezogener Raum; lobenswert lieblose Wanddekorationen, Kinderzeichnungen und Eisenlampen; Resopaltische mit Deckchen; keine Lichteffekte, keine Musik, keine Special Drinks oder Happy Hours. Am Schanktresen lagern die Stammgäste in unsortierten Hosen und kosten mit dem Wirt den neusten Brand. Die Bierbedienung ist zauberhaft zügig, die Beratung bei der Speisenwahl unaufdringlich. Der Grüne Baum ist nichts weiter als: ein Gast-, ein Wirtshaus, und das macht ihn nahezu einzigartig.

      Selten zuvor wurden aber auch Steaks gesichtet so groß, daß man mit ihnen Gäule erschlagen könnte – zu Preisen, bei denen der städtische Hip-, Hü- und Hottwirt hysterische Anfälle erlitte. »Das Steak ist Weltklasse«, strahlt der Frankfurter Koch Hans-Dieter K., »das ist eine Sünde wert. Und die Bratkartoffeln sind schon jetzt legendär.«

      Der Äppler rinnt aus der eigenen Kälterei, und Rippchen, Markklößchensuppe, Metzelsuppe, Dosenwurst und eine Schinkensülze aus eigener Schlachtung, die, versichert die fränkische Co-Verkosterin, durch ihre säuerlich-fleischkräftige Balance freudentränentreibend wirkt, werden um täglich wechselnde Spezialitäten wie frischgekochte Leiterchen oder Haspeln ergänzt.

      Weil jetzt schon alles paßt, spendiert der Wirt einen Calvados oben drauf. Ich spendiere dem Grünen Baum die Goldmedaille der Inkognitovereinigung zur Förderung des Wirtshauswesens und der Gastronomie ohne Gewese.

      Das ideale Wirtshaus

      Das Zeichnerduo Achim Greser und Heribert Lenz, u. a. tätig für die FAZ, die Titanic und den stern, mietete 1996 in Aschaffenburg das erste gemeinsame Atelier an. Seither verkehren beide mehr oder weniger regelmäßig in der zentral gelegenen Gaststätte Schlappeseppel, die 1631 auf Geheiß von Gustav Adolf von Schweden errichtet wurde und bis heute ein Juwel geblieben ist. Greser & Lenz recherchieren hier und trinken das eine oder andere Bier. Und sie schätzen das Lokal so sehr, daß sie mehrere Schlappeseppel-Bierdeckelserien gezeichnet haben.

       Mit der Wirtshauskultur geht es bundesweit bergab, oder?

      Achim Greser: Das ist eine Behauptung. Ist die gesichert durch die erfahrenen Hintergrundrecherchen, die wir dir zutrauen, oder ist das nur mal eine provokative Behauptung, um uns herauszufordern?

       Es werden ja immer mehr Lokale zu Bistros umgebaut.

      Heribert Lenz: Die Leute haben schon vor zwanzig Jahren aus ihren wunderschönen Gasthäusern Bistros gemacht.

      Greser: Und ich glaub’ auch nicht, daß man selbst als sentimentaler Anhänger einer uralten Kneipenkultur heute noch zufrieden wär’ mit einem Ausstattungszustand, der einen übern Hof aufs Plumpsklo zwingt. Von daher ist Erneuerung sicher auch notwendig.

       Du plädierst für eine Erneuerung in bezug auf die Klos?

      Greser: Ja.

       Die Kneipenräume selbst haben sich aber auch sehr verändert.

      Lenz: Richtig. Es gibt immer weniger Großkneipen – so wie den Schlappeseppel. Statt dessen gibt es immer mehr Eßgaststätten, in denen man zu bestimmten Zeiten nicht mehr Karten klopfen darf.

      Greser: Das ist auch ein Phänomen des Regionalkonglomerats Rhein-Main, das sich gerne als dynamisches, international konkurrenzfähiges Wirtschaftszentrum ausweist. Wenn man Geschäfte mit dem Chineserer machen will und dem wie vor hundert Jahren Handkäs’ und sauren Äppler vorführt, ist das vielleicht nicht unbedingt förderlich. Also, man muß es zulassen, daß der Chineserer ein Lokal kriegt, das nach seiner Façon zugeschnitten ist.

      Lenz: Der will halt auch hier seinen Schweinsbraten.

      Greser: Und das heißt, die Globalisierung schlägt auch hier zurück.

      Ist der Schlappeseppel eine Nische?

      Lenz: Nee. Das ist einfach ein Gasthaus, das seit Jahrzehnten vernünftig geführt wird, und es marschieren immer noch genug Leute rein.

      Greser: Die Wucht der Tradition ist hier natürlich auch gewaltig. Und Gott sei Dank ist das Potential dieses Lokals stark genug, um Kräfte zu mobilisieren gegen diejenigen, die den Schlappeseppel in ein zeitgeistgeprägtes Jugendlokal verwandeln könnten. Es ist ein gutes Zeichen, daß man sich hier nicht vom stringenten Erwerbsgedanken leiten läßt.

      Lenz: Die Gästeschar ist so groß und zäh, daß ein Wirtswechsel oder eine Umwandlung nie zur Diskussion stand. Wie wär’ denn das, ein Bistro Schlapp zum Beispiel?

       Es gibt einen starken Beharrungswillen …

      Greser: Die Menschen sind darauf trainiert, auch schon am Nachmittag in das Lokal reinzuschreiten und die ersten Biere zu trinken. Das Beeindruckende ist tatsächlich, daß bereits am Mittag keine kahle Wirtshausödnis herrscht und dieser wunderbare Rumor aus Gebabbel, exaltierten Kartenspielreaktionssignalen, verfrühtem Suff und Extremäußerungen entsteht.

      Lenz: Man sitzt einfach generationenübergreifend zusammen, der eine ist Straßenkehrer, der andere Jurist, und man kann über jedes Thema reden und sich gegenseitig beschimpfen. Vor ein paar Jahren hat übrigens Warsteiner eine Werbung mit weißgekleideten Menschen auf einem Gutshof gemacht – da hat’s angefangen, daß die Bierkultur auf den Hund kam und die alten Lokale verschwanden.

      Im Schlappeseppel gibt es keinen Dresscode …

      Greser: Hier sind alle gleich. Hier gelten andere Wettbewerbskriterien als draußen.

       Welche?

      Lenz: Du mußt über jedes Thema reden können.

      Greser: Und die Verträglichkeit von Bier muß hoch sein. Die entscheidet über glaubwürdig und unglaubwürdig.

      Würdet ihr den Schlappeseppel als das ideale Wirtshaus bezeichnen?

      Lenz: Ja.

      Greser: Ja. Das beste Wirtshaus im Umkreis von hundert Kilometern. Der Schlappeseppel strahlt eine so einnehmend sympathische Atmosphäre aus, daß man sich ihr nicht widersetzen kann. Und will. Man wär’ ja blöd.

      Lenz: Denn es ist einigermaßen schlicht eingerichtet. Wenn man mal ein Vorurteil gegenüber Frauen vorbringen darf: Es ist immer problematisch, wenn eine Wirtsfrau gestalterisch


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