Bittere Orangen im Glas. Frank Winter

Bittere Orangen im Glas - Frank Winter


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ja. Angus, höre mir genau zu. Es geht um Apolonia Hope-Weir.«

      »Jene junge Dame von Crazy Jam?«

      »Esatto. Sie steckt in Schwierigkeiten.«

      MacDonald schwante, dass man ihn von seinem Buchprojekt fernhalten wollte. »Was ist das Problem?«

      Alberto wischte über sein Telefon und hielt es ihm unter die Nase. »Schau selbst.«

      Zögerlich nahm Angus den Apparat in die Hand. »Leider kann ich nichts erkennen. Sind Beeren abgebildet? Blumenbeete gar?«

      »Früher oder später benutzen wir alle Lesebrillen! Gesicht, Gesicht.«

      »Menschliches Antlitz?!«

      Alberto nickte wie jemand, der kondoliert.

      »Armes Mädchen! Wer richtete sie so grässlich zu?« Angus, seines letzten Satzes gewahr werdend, biss sich in die Unterlippe. Aufbegehren war schier unmöglich, denn Menschen in Not konnte er Hilfe nicht verweigern.

      Vitiello betrachtete ihn aufmerksam und nickte. »Genau das müssen wir herausfinden.«

      »Es tut mir sehr leid, aber Angus MacDonalds Zeitkontingent für Detektion ist erschöpft. Der letzte Fall usurpierte zu viel Aufmerksamkeit.«

      »Mir ging es nicht anders, Amico.«

      »Erstaunlich, in meiner Erinnerung beteiligte Herr Guest-House-Betreiber sich an der Ermittlung nur widerwillig. Im Prinzip löste ich den Fall alleine.«

      »Einspruch! Wäre ich nicht gewesen, hättest du immer noch mit einem Wasserrohrbruch zu kämpfen! Was gibt es so Dringendes zu tun?«

      »Ich entwickle Marmeladen-Rezepte.«

      »Die arme Apolonia hat Todesangst und du kochst Blutorangen ein?«

      »Keine Kruditäten, bitte! Wo kommen wir mit schwammiger Ausdrucksweise hin! Bitterorangen sind es, nicht Blutorangen.«

      Alberto betrachtete beschämt den Boden. Ging es um Essen und Trinken, verstand der große Gourmet keinen Spaß.

      MacDonald zupfte am Ärmel seines Harris-Tweed-Jacketts.

      »Verzeih, Alberto. Ich wollte nicht laut werden. Gibst du mir bitte mehr Fakten?«

      »Du bist also mit von der Partie? Eccelente!«

      »Wann wurde die Fotografie angefertigt?«

      »Vor zwei Wochen.«

      »Augenblick mal. Wenn die Geschädigte kein Problem mit solcher Verunzierung hat, warum werden wir dann tätig?«

      »Apolonia verbrachte die letzte Zeit im Bett.«

      »Ja …?«

      »Es ging ihr nicht gut.«

      »Raten soll ich demnach? Schön, sie möchte Polizisten fernhalten, nimmt die Sache nicht ernst, hält auch private Detektive für überflüssig?«

      Alberto lachte. »Genau unsere Kragenweite.«

      »Da kann man geteilter Meinung sein. Woher kennst du Miss Hope-Weir?«

      »Ihre, äh, Mutter ist Italienerin.«

      »So betrachtet müsste ich jedem schottischen Verbrechensopfer helfen, was schon daran scheiterte, dass ich …«

      »… nur Verbrechen aufkläre, die sich gegen authentisches Essen und Trinken wenden.«

      »Schlaumeier!«

      »Grazie.«

      »Woher stammt Miss Apolonias Familie?«

      »Edinburgh, South Morningside.«

      »In Italien, meinte ich.«

      Alberto tupfte sich Schweiß von der Stirn. »Friuli …«

      »Wie schön. Aus größerer Stadt? Udine, Triest gar?«

      »Cormons«, sagte der Italiener leise.

      »Dein Heimatort.«

      Ein Gentleman bedrängt niemanden, und so hatte Angus nicht nachgefragt. Falls Alberto ihm mehr über sein Verhältnis zu Familie Hope-Weir mitteilen wollte, würde er es tun. Mangelnde Lust zu reden konnte man ihm nicht vorwerfen. MacDonald schritt in das Arbeitszimmer und schaltete den Computer ein. Gegensätzlich zum Gros der Mitmenschen zog er nur fundierte Quellen zu Rate. Keinesfalls gehörte dazu ein sogenanntes Lexikon selbst ernannter Experten. Marmelade zu kochen hatte in Apolonias Familie Tradition, wie ihm die Firmen-Website suggerierte. Außergewöhnlich an Miss Hopes Kreationen waren die Zutaten. Niemand vor ihr verwendete etwa Gemüse. Auch ich nicht, dachte sich MacDonald, der keinem kulinarischen Wagnis abgeneigt war. Geradezu genial, das Gemüse mit Obst zu kombinieren: etwa Pastinake mit Mango, in kräftigem spanischem Rotwein gebadet. Anfangs bot Apolonia ihre Kreationen Nachbarn feil, für ein vierzehnjähriges Mädchen sehr mutig. Kaum abgekühlt, wurden die Produkte höflich lächelnd entgegengenommen und bezahlt. Der Teenager ging zu Wochenmärkten und Festen, sämtlichen schottischen Jahreszeiten wacker trotzend, mitunter zu mehreren an einem Tag. Selbst die größten Kritiker verstummten, wenn sie kosteten und Miss Hopes Beharrlichkeit siegte. Jedermann und jede Frau wollte ihre Marmeladen kosten. Die Familienküche mutierte zur Produktionsstätte, für kochende Italiener ein immenses Opfer. Dennoch ließen sich pro Tag nur tausend Gläschen produzieren. Zu wenig, um die Nachfrage zu befriedigen. Miss Hope-Weir erwarb eine Fabrikhalle und beschäftigte Angestellte. Die Familie war nicht reich. Der Vater starb früh und Mutter Hope-Weir zog Apolonia mit schmalem Angestelltengehalt alleine auf. Woher stammte das Kapital? Banken konnte man ausschließen. Von privaten Gönnern? In keinem der zahlreichen Interviews mit Miss Hope-Weir gab es Hinweise. Normalerweise machten sich Journalisten über so etwas Gedanken …

      Am nächsten Morgen stieg MacDonald in seinen geliebten VW Käfer und kämpfte sich Dean Villages Anhöhe hoch. Irgendetwas stimmte nicht. Selbst auf gerader Strecke ruckelte das Gefährt. Die weitere Fahrt ging er gemächlich an und war froh, es bis zur Villa Buongiorno zu schaffen. Alberto wartete vor der Tür, trommelte auf der Armbanduhr einen mahnenden Marsch. »Du bist zu spät!«

      »Good morning, sir.«

      »Fahren wir endlich los?«

      »Warum mit Grüßen Zeit verschwenden. Jawohl, wir können aufbrechen, doch mit meinem Fahrzeug nicht. Maria …?«

      »Außer Haus, einkaufen, Freundin treffen. Irgend so etwas. Andiamo!« Vitiello schloss die Haustür ab, drückte zweimal dagegen und spurtete los.

      »Behältst du dieses Tempo bei, sollte ein Spitalbett für mich bereitgehalten werden.«

      »Diätest du wieder?«

      »Wie wir alle wissen, führen solche Kasteiungen zu nichts. JoJo-Effekt ist unser Stichwort.«

      »Geht es Leibärztin Karen gut?«

      »Davon gehe ich aus!« Immer diese Frage! »Bat dich Miss Hopes Mutter um Hilfe?«

      »Ja, nein, ich meine ja. Warum?«

      »Du sagtest, dass Apolonia Hope-Weir alles auf die leichte Schulter nimmt. Sie wird es also kaum gewesen sein.«

      »Keiner kann Sherlock Holmes etwas vormachen.«

      »Danke für die Blumen. Wo wurde die junge Dame niedergeschlagen?«

      »Vor ihrer Haustür.«

      »Sie wohnt alleine?«

      »Ohne Familie, aber mit Butler. Ist nicht schlimm, oder?«

      »Eher sympathisch. Ich wäre auch der Letzte, Hausbetreuern ihren Lebensunterhalt abzustreiten. Höchst ehrenvolle Tätigkeit.«

      »Siamo arrivato.«

      »Bis zur Bushaltestelle ist es aber noch ein gutes Stück des Weges.«

      »Apolonia wohnt in Hausnummer 47.«

      »In deiner Straße? Seit wann bitte?«

      »Noch


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