Bittere Orangen im Glas. Frank Winter

Bittere Orangen im Glas - Frank Winter


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den Fall könnte es wichtig sein.«

      »Heute ist kein guter Zeitpunkt!«

      »Erwartest du dringende Nachrichten, Alberto?«

      »Nein, wieso denn?«

      »Du betrachtest das mobile Telefon aufmerksamer als den Bürgersteig. Stolpergefahr!«

      Alberto blieb stehen, zückte einen kleinen Handspiegel und kämmte sich.

      »Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich zum Friseur gegangen«, scherzte Angus. Vor der Eingangstür lagen Terracottafließen, davor standen Yuccapalmen. »Erstaunlich, dass die Gewächse unserem Klima trotzen, und hattest du nicht gesagt, dass Familie Hope-Weir aus dem Friaul stammt?«

      »Si, wieso fragst du?«

      »Dieser Vorhof besitzt süditalienisches Flair.«

      »Wie es einem gefällt.« Alberto öffnete mit beiden Armen das schwere, schmiedeeiserne Tor. »Ob die Palmen echt sind?«

      »Selbstverständlich«, schepperte eine Stimme aus der Gegensprechanlage. »Dieser Vorhof verfügt über Open-Air-Bodenheizung.«

      »Wer war das?«, fragte Angus.

      »Vielleicht der Butler.«

      »Ganz recht.« Mit sonorem Ton öffnete sich die Tür. »Bitte einzutreten. Sie werden erwartet.«

      »Mister MacDonald hatte Probleme mit seinem Auto«, erklärte Vitiello.

      »Eine Rolle spielt das kaum mehr.«

      »Stimmt, Signore.«

      »Bin ich nicht«, tönte es aus dem Apparat.

      »Prego?«

      MacDonald kniff Alberto in den Arm. »Wir nehmen Ihr Angebot an, Sir.«

      »Äh, was?«

      »Gerne tritt man ein.«

      MacDonald betrachtete die junge Dame, wie einem Gemälde entsprungen, vermutlich zu lange. Kein Aussehen, welches man klischeehaft mit Italien verband: elfenbeinfarbene Haut und feuerrote Haare, dabei schlank und von hohem Wuchs, rundum reizende Erscheinung, im Overall, der ihr auch bekleckert noch ausgezeichnet stand. »Sie sind der Butler?«

      »Wie ein Mann möchte ich kaum aussehen!«

      »Es ist nur, weil gerade dieser Gentleman zu uns sprach …«

      »Nönö, das war ich.«

      »Sind Sie sicher?«

      »Absolut, ja. Wenn Reginald frei hat, äff ich ihn gerne nach.

      Verpfeift mich bloß nicht!« Sie steckte die Hände in die Hosentaschen und wackelte mit dem Kopf. »Ahaha!« Nur aufgrund der Buchstaben war das Lachen als solches zu erkennen.

      Der Gourmet streckte ihr die Hand entgegen. »Angenehm, Angus Thinnson MacDonald.«

      »Wer hat sich den Namen ausgedacht?«

      »Dahinter steckt eine außerordentlich lange Geschichte.« Am liebsten würde er der jungen Frau diese verschweigen.

      »Hab’ Zeit.«

      »Ciao Apolonia«, sagte Alberto.

      Sie küsste Vitiello schmatzend auf beide Wangen. »Also, Mister MacDonald …?«

      »Es geschah in meiner Kindheit. Dad kehrte spätabends vom Pub nach Hause. Wie es der Zufall so wollte, nahm ich gerade einen kleinen Imbiss zu mir. Ständig hänselte er mich wegen angeblicher Gewichtsprobleme. Da viele schottische Nachnamen auf ›son‹ enden, hielt Senior es für glorreich, mir den zweiten Namen »Thinnson« zu verpassen. Als Ansporn, thin, also dünn, zu werden.«

      »Das habe nicht einmal ich gewusst«, sagte Alberto. »Aber warum schreibt man’s mit zwei ›n‹?«

      »Müssen wir das ebenfalls erörtern?«

      »Au ja«, sagte Apolonia.

      »Papa war, äh, betrunken … am nächsten Tag wollte er nicht mehr davon abrücken, erklärte, dass doppelt besser hält. Im Laufe der Zeit vergaß ich den eher peinlichen Ursprung des zweiten Namens und gewann ihn lieb. Können wir nun bitte über den Fall sprechen?«

      »Wollen wir uns duzen?«

      »Naturalmente«, erwiderte Alberto für seinen Freund und klopfte ihm auf die Schulter. »Oder, Angus?«

      »Freilich«, sagte der Gourmet, obwohl kein Freund rascher Vertraulichkeit. »Wir sind gekommen, um über das Missgeschick zu parlieren.«

      »Parlieren? Italiener sagen parlare. Stimmt’s, Alberto?«

      »Sisi, parlare«, erwiderte Vitiello, als ob man ihn zu einem bedeutenden historischen Ereignis befragte.

      »Miss Hope-Weir, niedergeschlagen zu werden, ist grässlich. Auch mir widerfuhr es schon.«

      »Widerfahren, klasse!«

      Sie würde hoffentlich nicht jedes seiner Worte wiederholen?!, dachte MacDonald.

      »Excusa. Wollte dich nicht vor den Kopf stoßen, Angus. Nönö.«

      »Das geht mir ein wenig zu …« Beinahe hätte er sich beschwert, geduzt zu werden! »Alberto erzählte mir, dass die Untat vor der Haustür geschah.«

      »Hab’s mir anders überlegt. Spielt keine Rolle mehr.«

      »Was zum Kuckuck …«

      »Tolles Haus hast du, Apolonia«, lobte Alberto.

      »Grazie. War ’ne Menge Arbeit.«

      »Sie richteten selbst ein?«

      »Uno momento, Angus! Ich möchte den Flur verlassen und endlich Apolonias Cucina sehen.«

      »Italiener und ihre Küchen!«

      »Willst du sie etwa nicht in deinen geliebten Augenschein nehmen, Mister Angus?« Apolonia lächelte. Die Küche befand sich auf der Rückseite des Hauses. Zwei große Glastüren mündeten in einen schmucken Garten. Treibhäuser, wohin das Auge blickte. Aadi Panicker, ehemaliger Klient, besaß auch so ein städtisches Kleinod. »Zahlreiche Fruchtwünsche des Marmeladenkochs gehen hier in Erfüllung. Miss Apolonia, traumhaft ist es bei Ihnen.«

      »Wir duzen uns! Schon vergessen?«, tadelte Alberto.

      »Bitte um Verzeihung und werde mich bessern. Man merkt, dass Sie, äh, du deinem Beruf mit Leidenschaft nachgehst, Apolonia.«

      »Wenn du Crazy-Jam-Marmeladen schon probiert hast, weißt du, dass Passione in ihnen steckt.«

      »Selbstverständlich«, beteuerte MacDonald.

      »Ahahaha!«

      Erneut dieses Lachimitat! Bizarr!

      »Auf den Arm genommen. Bist voll drauf reingefallen.« Apolonia klappte den Mund zu, so hastig, dass es sich anhörte, als ob jemand einen Stein ins Wasser warf. »Solange du mich nicht fragst, woher ich die Rezepte habe, Angus.«

      »Weiß ich doch. Aus dem Internet! Isst du deine Erzeugnisse auch?«

      »Schrott rühre ich nicht an!«

      »Lebst du vom Verkauf der Marmeladen, Apolonia?«

      »Weiß nicht. Du von den Büchern?«

      MacDonald senkte das Kinn. »Nein, zum Lebensunterhalt führe ich einen landwirtschaftlichen Betrieb. Kuh Brenda gibt großzügig Milch, mit der ich Käse, Quark und Joghurt herstelle. Gütige Schafe spenden Wolle.«

      »Jetzt schlägt’s dreizehn!«, rief Vitiello. »Hast du Miss Armours Vierbeiner zurückgeholt?«1

      Apolonia legte ihm die Hand auf die Schulter. »No, Alberto, wir wiederholen nur dämliche Fragen, die man uns ständig stellt.«

      »Es ist mir eine große Freude, nicht der einzige leidgeprüfte Mensch zu sein.« MacDonald sah sich


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