Franziskus aus Rom und Franz von Assisi. Leonardo Boff
mächtigen und reichen Kirche hätte nicht radikaler sein können; wir könnten dies prophetischen Protest nennen.“ Er kritisiert den herrschenden Stil nicht mit Worten. Er handelt einfach und führt einen neuen Stil ein.
Ich glaube, dass dem Papst Franziskus eine solche Kirche vorschwebt: außerhalb der Paläste und ohne die Symbole der Macht. Deshalb wohnt er nicht mehr wie seine Vorgänger im Palast des Vatikans, sondern im Gästehaus Santa Marta. Und er nimmt an den Mahlzeiten derer teil, die dort gerade zu Gast sind. Bei seinem ersten öffentlichen Auftreten nach seiner Wahl legte er einen neuen Stil an den Tag. Normalerweise tragen die Päpste die Mozetta über ihren Schultern, das heißt einen Umhang voller Brokat und Gold, wie ihn früher nur die Kaiser benutzen durften. Papst Franziskus kam einfach weiß gekleidet und mit dem Blechkreuz, das er auch in Buenos Aires als Bischof und Kardinal getragen hatte.
Aus seiner ersten Ansprache sind drei Punkte von großer symbolischer Bedeutung hervorzuheben:
Zunächst sprach er von „Leiten in Liebe“. Dies wurde seit der Reformation und von den besten Theologen der Ökumene eingeklagt. Der Papst darf nicht wie ein absolutistischer Monarch und ausgestattet mit heiliger Gewalt regieren, wie es das Kirchenrecht vorsieht (Kanon 331). Wenn man sich an Jesus orientiert, dann muss er sein Leitungsamt in Liebe ausüben und den Glauben der Brüder und Schwestern stärken.
Zweitens: Er rückte den Begriff „Volk Gottes“ in den Mittelpunkt. Das Zweite Vatikanische Konzil hatte dieser Bezeichnung so viel Nachdruck verliehen, doch unter den beiden Päpsten vor Franziskus wurde dieses Wort in seiner Bedeutung abgeschwächt zugunsten einer hierarchischen, klerikalen Kirche. Papst Franziskus bat demütig darum, dass das Volk Gottes für ihn beten und ihn segnen möge. Erst danach spendete er seinerseits dem Volk seinen Segen. Das bedeutet: Er ist da, um zu dienen, und nicht, um bedient zu werden. Er bittet darum, dass die Menschen ihm helfen, gemeinsam einen Weg zu verwirklichen. Und er ruft die ganze Menschheit dort zur Geschwisterlichkeit auf, wo man einander nicht als Bruder und Schwester anerkennt, sondern wo die Menschen dazu verdammt sind, von der neoliberalen Wirtschaft in Geiselhaft genommen zu sein, die so viele „überflüssig“ und arbeitslos werden lässt.
Schließlich vermied er alles, was die Gestalt des Papstes spektakulär erscheinen lassen könnte. Er hob nicht die Arme empor, um das Volk zu begrüßen. Er stand aufrecht und bewegungslos da, ernsthaft und nüchtern, ja man könnte sagen, fast erschrocken. Man sah bloß die weiße Gestalt, die zärtlich auf die Menge blickte. Doch er strahlte Frieden und Vertrauen aus. Er sprach humorvoll und enthielt sich aller offizieller rhetorischer Floskeln. Er sprach als Hirte zu seinen Gläubigen. Zum Schluss wünschte er allen: „Gute Nacht, schlaft gut.“
Zuletzt muss noch betont werden, dass Franziskus ein Papst ist, der aus dem globalen Süden kommt, wo die Armen der Erde und zugleich 60 % der Katholiken leben. Mit seiner Erfahrung als Hirte und mit einer neuen Sicht der Dinge von unten her wird er die Kurie reformieren, die Verwaltung dezentralisieren und der Kirche ein anderes, glaubwürdiges Antlitz verleihen können.
Dies ist die große Hoffnung all derer, die den Weg der Kirche in der Welt mitgehen. Und wir werden in dieser Hoffnung bestimmt nicht getäuscht werden, denn er hat Franz von Assisi zum Schutzpatron und als inspirierendes Vorbild. Und mit der Gestalt des heiligen Franziskus sind keine geringen moralischen und spirituellen Herausforderungen verbunden.
Was den Heiligen und den Papst miteinander verbindet
Da der Bischof von Rom – und damit der Papst – nach seiner Wahl den Namen Franziskus angenommen hat, legt es sich zwangsläufig nahe, dass man Franz von Assisi und Franziskus aus Rom miteinander vergleicht. Der Papst hat sich überdies ausdrücklich auf Franz von Assisi bezogen. Es geht selbstverständlich nicht darum, die beiden einfach zu vergleichen, sondern herauszufinden, welche Inspirationen sie verbinden, die der Kirche ein neues Antlitz im Geist des einfachen, demütigen und armen heiligen Franziskus geben können.
Eine Gemeinsamkeit ist nicht von der Hand zu weisen: die Krise der Institution Kirche. Der junge Franziskus sagt, er habe eine Stimme vernommen, die vom Gekreuzigten in der Kirche San Damiano herkam und ihm sagte: „Franziskus, baue meine Kirche wieder auf, denn sie liegt in Trümmern.“ Giotto hat dies gut dargestellt: Er zeigt Franziskus, wie er das schwere Gebäude der Kirche, das einzustürzen droht, mit seinen Schultern stützt.
Auch wir machen gerade aufgrund interner Skandale der Institution Kirche eine schwere Krise durch. Man vernimmt den allgemeinen Schrei (und die Stimme des Volkes ist schließlich die Stimme Gottes): „Richtet die Kirche wieder auf, denn ihre Moral und Glaubwürdigkeit liegen darnieder.“ Und so vertraute sich diese Kirche einem Kardinal an, der „vom Ende der Welt herkommt“, wie er selbst sagte, Jorge Mario Bergoglio aus Buenos Aires, dessen Auftrag als Papst darin besteht, inspiriert vom heiligen Franziskus die Kirche wiederaufzubauen.
Zur Zeit des heiligen Franziskus war Innozenz III. (1198 – 1216) an der Macht, der sich selbst als „Stellvertreter Christi“ bezeichnete. Mit ihm erreichte die Verweltlichung der Kirche ihren Höhepunkt. Ausdrücklich wurde das Streben nach der Weltherrschaft, nach dem dominium mundi, formuliert. Tatsächlich war eine Zeitlang praktisch ganz Europa bis nach Russland dem Papst unterworfen. Man lebte in größtem Prunk und größter Pracht. Im Jahr 1209 hat Innozenz III. nach vielen Zweifeln den Weg der Armut des Franziskus von Assisi bestätigt. Die Krise war theologischer Natur: Eine Kirche, die mit weltlicher und sakraler Herrschaftsgewalt ausgestattet ist, liegt nicht auf der Linie dessen, was Jesus wollte, nämlich Macht als Dienst, und dass die Letzten die Ersten seien.
Franziskus bildete den lebendigen Gegensatz zur imperialen Kirche. Dem Evangelium der Macht hielt er die Macht des Evangeliums entgegen, das er ganz wörtlich las und auffasste. Angesichts des Reichtums der Päpste, Bischöfe und Äbte zeigte er die Alternative der totalen Entäußerung in radikaler Armut und äußerster Schlichtheit auf. Von denen, die befehlen und sich über die anderen erheben, forderte er die Demut der Machtlosen, die sich ganz unten, am Erdboden des Lebens befinden. Er fügte sich nicht in den Kleriker- oder Mönchsstand ein, sondern als Laie, der nur über drei Jahre Schulbildung mit Unterbrechungen verfügte und schlecht Latein schrieb, orientierte er sich am lebendigen Evangelium ohne ausgeklügelte Deutungskünste und begab sich an den Rand der Städte, wo die Armen und Leprakranken waren, und in die Natur, wo er eine kosmische Geschwisterlichkeit mit allen Lebewesen verwirklichte.
Vom Rand aus sprach er zum Zentrum und forderte Bekehrung. Anstatt ausdrücklich Kritik zu üben, setzte er eine Reform von unten in Gang, ohne dabei jedoch mit Rom zu brechen. Wir haben es mit einem Genie des Christentums von verführerischer Menschlichkeit, faszinierender Zärtlichkeit und Achtsamkeit zu tun, an dem wir das Beste unseres Menschseins entdecken können.
Ich vermute, dass diese Vorgehensweise Papst Franziskus inspiriert hat. Es geht darum, die Kurie und das klerikale Gehabe insgesamt in der Kirche zu reformieren. Doch hierfür muss man keinen Bruch herbeiführen, der den Leib der Christenheit zerreißen würde.
Eine andere Sache, die Franziskus aus Rom mit Sicherheit inspirierte, ist der zentrale Stellenwert, den Franziskus den Armen eingeräumt hat. Er hat kein Werk für die Armen organisiert, sondern vielmehr mit ihnen und wie sie gelebt. Seit ich Franziskus aus Rom kenne, habe ich ihn immer wieder sagen hören: Das Problem der Armen kann nicht ohne die Teilnahme der Armen selbst gelöst werden, es wird nicht durch Menschenfreundlichkeit beseitigt, sondern durch soziale Gerechtigkeit. Die soziale Gerechtigkeit verringert die Ungleichheiten in Lateinamerika und insgesamt in der Welt.
Eine dritte Inspiration ist heute von überaus aktueller Bedeutung: Wie verhalten wir uns gegenüber Mutter Erde und gegenüber ihren knappen Gütern und ihrer begrenzten Tragfähigkeit? In seiner Ansprache zur Amtseinführung verwendete der Papst achtmal das Wort Achtsamkeit bzw. Fürsorge. Die Ethik der Achtsamkeit ist es, die das Leben der Menschen retten und die Lebensfähigkeit der Ökosysteme aufrechterhalten wird. Franz von Assisi, der Patron des Umweltschutzes, sollte zum Paradigma einer respektvollen und geschwisterlichen Beziehung zu allen Seinsformen werden, in der der Mensch nicht mehr über anderen Arten steht, sondern sich erniedrigt und zu ihnen herabbeugt – insbesondere zu denen, die am meisten von der Auslöschung bedroht sind.
Franz von