Anschwellendes Geschwätz. Jürgen Roth
so, einen feuchten Kehricht um seine Professoren und verwandelt die sog. Zivilgesellschaft vollends in einen Disziplinierungsapparat, angesichts dessen der (angeblich) Unproduktive endgültig nichts mehr zu lachen hat.
Der Berufsstand des Detektivs, der krankgeschriebene Lohnabhängige im Auftrag des Herrn observiert und gegebenenfalls des Betrugs am Betriebsvermögen überführt, ist hoch angesehen, und simultan erreicht die Zahl der Krankmeldungen einen historischen Tiefstand. Die Einschüchterung zeigt Wirkung, und wer ganz sichergehen will, ob er nun wirklich krank ist und dieser Verfehlung Rechnung tragen möchte, befragt den Think tank der Bourgeoisie, die Redaktion der Bild-Zeitung, die Tips erteilt, wann man sich wie krankmelden darf, nach Recht und Gesetz.
Ich für meinen Teil werd’ mal bei meiner Ich-AG anfragen, unter welchen Umständen ich das Recht in Anspruch nehmen darf, mich vor mir selbst krankzumelden. Die Zeit, bis mich eine Auskunft erreicht, bringe ich locker rum – auf dem Sofa liegend und ein altes Lied pfeifend: »Danke für meine Arbeitsstelle ...«
Krautlese
Ausgerechnet Karl Kraus, dem maximal drei von hundert Katachresen und journalistischen Wortschlunzen durch die Lappen gingen und der solche Exempel für gedankliches Gekrautere mit dem Vernunftfuror des hochangestrengt Formbewußten zerpflückte und zerriß, hat sich dagegen verwahrt, Stilblüten »auszujäten«, das zeuge »von einem schlechten Geschmack, von einem, der da wünscht, daß in der Zeitung nur korrekte Phrasen wachsen. Stilblüten sind die glücklichen Ausnahmen, denen wir in der Wüste der Erkenntnis begegnen. Und ist es nicht von einer ergreifenden Symbolik, wenn einer Zeitung der Satz gelingt: ›Sterbend wurde sie ins Spital gebracht, wo sie einem toten Kinde das Leben gab.‹ Geschieht das nicht unser aller gemeinsamen Liebsten, der Kultur? Sterbend wurde sie in die Redaktion gebracht und gebar die Phrase. Ach, wer doch dem toten Kind das Leben gäbe! Er würde die Mutter retten.«
Kraus erblickte wenn nicht bereits in der »Kultur«, dann gewiß in der bekannten »Welthirnjauche« der phrasendrechselnden, darob eben sehr wohl unermüdlich Stilblütenbastarde erzeugenden Journalistik allen Anfang der Barbarei, und ohne garantiert allzuviel vom Wiener zu wissen, gelang dem ohnehin nicht üblen Frankfurter Schriftsteller Jörg Fauser mit seinem gleichgesinnten Verdikt zur allgemeinen »Kulturjauche« ein ähnlich gelagerter epistemischer Punch.
Aber beide sind jetzt widerlegt – zum einen durch die Zeitung der Heilsarmee, die sich Der Kriegsruf nennt, ab ovo für sprachliche Totalkollateraltreffer sonder Zahl geradestehen müßte und gleichwohl: in einer Ausgabe von immerhin zwölf Seiten augenscheinlich weder einen einzigen gravierenden grammatischen noch einen bemerkenswerten metaphorischen Harakirihieb zuwege bringt – und nur aufs schönste und korrekt z. B. von der »Aussendung der Kadetten« berichtet, bei welchem Jubelfest Erhabenes geschieht: »Durch beeindruckende Anbetungstänze wird das Schicksal der Menschheit dargestellt.«
Zum anderen widerspricht das Frankfurter Stadtteilperiodikum Das Blättche – übersetzt heißt »Feuilleton« ja nichts anderes als »Blättchen« – dem Wiener/Frankfurter Duo, und sei’s insbesondere durch seine »köstlichen« Chefinnen- und Kulinarkolumnen, in denen sämtliche Wörter am richtigen Satzplatz und in ordentlichstem Reih- und Satzglied herumstehen, etwa wie folgt: »Die Kollegin, die da immer mittwochs für uns so lieb Brote schmiert, fragte mich, wieviel ich denn wollte. Ich dachte kurz nach und bestellte ›drei Scheiben, mit Käse‹. Nun ging ich davon aus, drei Scheiben Brot belegt zu bekommen, die dann zusammengeklappt insgesamt drei halbe Brote ergäben. Was ich aber bald darauf in einem kleinen Paket in Händen hielt, waren sechs halbe doppelte Brote, die aus insgesamt drei doppelt belegten Brotscheiben, sprich insgesamt sechs Scheiben Brot entstanden waren. Seitdem denke ich darüber nach, daß drei Scheiben Brot eben nicht überall das gleiche sind.«
Kein Wort schießt da, bei aller verwirrenden Relativität der Welt und der Zahlen, ins ungestüme Kraut. Still blüht der Stil, ohne eine einzige blättrige Blüte hervorzutreiben. Um den Journalismus ist es also doch nicht allzu schlecht bestellt. Bzw. offenbar viel zu gut, zumindest in den Gärten seiner regionalen und religiösen Einfalt, sollte die Publizistik hier möglicherweise auch lediglich »Kultur als Käsestulle« (Jörg Fauser) präsentieren oder prolongieren. Oder andererseits und gewissermaßen vice versa wiederum wieder doch nicht?
»Jesus bietet sie an«, die »Pause« als Erholung vom kurrenten »Streß«, weist Der Kriegsruf schließlich doch noch den Weg, die Pause »als echte, kraftspendende, wohltuende Auftankphase mit Abladechancen«. Den Satz hätte sich Karl Kraus dann evtl. auch rausgezupft, und er hätte ihn eingetopft und auf die Werkstattfensterbank gestellt – auf daß er weiterblühe und gedeihe und in einer wohltuenden Arbeits- und Auftankpause in seiner abladend-erlösenden Chance zur Kraft- und Sinnfindung vollends begriffen und demzufolge heftig begossen werde.
Wortfeldpost (Linguistischer Bericht)
Neulich wurde ein lupenrein uneitler Text von mir ins Internet »gestellt«, d. h. »hineingestellt«, hineingestellt in ein Etwas, das Netz heißt und eine Art Raum sein soll, ein Gewebe, ein gigantisches Wortfeld, das – gemäß der schon etwas abgehangenen Wortfeldtheorie eines Jost Trier und eines L. Weisburger con Co. – seinen Elementen Bedeutung verleiht durch die Oppositionsverhältnisse, in denen sich die Elemente (Wörter, Worte, Texte) befinden oder wiederfinden, sofern sie sich wiederfinden lassen im »Wortnetz« (Trier) des Internet oder Internets. Und da sagte ich mir: Man müßte mal nachfragend und tief bohrend was zum Begriff und zur Tätigkeit des internetaktiven und internetinteraktiven Hineinstellens machen, als Pragmaparaphrase auf Heideggers Gestelz vom Gestelltsein des Gestells und unser aller.
Aber das muß man ja eigentlich nicht.
Prügelstrafe für Sätze
Da man liest: »Wenn allerdings das Bild von der sprachlichen Arbeitsteilung zu stark gemalt wird, indem man die Konstitution des ›wahren‹ Objekts zur Expertensache macht, indem insinuiert wird, daß der Gegenstand selbst nur eines von vielen möglichen Modellen sei, entzieht man dem ›Alltags‹-Sprecher jede Möglichkeit zur Bezugnahme, weil dieser eben nicht auf die in einer chemischen (oder sonstigen speziellen) Theorie postulierten Entitäten referiert, sich beziehen will, sondern auf das Ergebnis seiner Interpretationsakte, die sich aus dem Umgang ergeben« – dann liegt der Gedanke nicht allzu fern, in so einen sensationellen Text ein bißchen Ordnung hineinprügeln zu wollen.
Ein Kind Gottes
Man soll nicht allzu unnachgiebig mit sog. Kollegen ins Gericht gehen, die sich ab und an – und meist mißmutig – in ein Fernsehstudio begeben, um ein Buch oder sonst was in die Kamera zu halten. Jedenfalls finde ich, daß auch komische Künstler und Satiriker und ähnlich Gesinnte ihr Brot und ihr Bier verdienen dürfen.
Ob es allerdings nötig war, daß der verdiente und reich und berühmt gewordene Manfred Deix am 27. September 2003 unendlich lange Minuten, mir schien es: mindestens zwei Viertelstunden lang ausgerechnet bei Karl Moik im Musikantenstadl herumhockte und einen furchtbar eitlen Stiefel zusammenstopselte, das möchte ich nicht entscheiden müssen. Und das Traurigste an diesem ungeheuerlichen Vorgang, auf den ich beim Zappen gestoßen war, offenbarte sich, als irgendein gleichfalls anwesender St. Pöltener oder sonstiger Katholenkumpan dem Manfred bischöflich bescheinigte, auch er sei ja »ein Kind Gottes«, jaja.
Der lustigste oder bloß klügste der drei Dösbrummer war übrigens der Moik Karl, der dem Manfred dann irgendwann steckte, man habe ihn nun genug in eigener Sache herumpredigen hören. Der aber, der Deix, war hoffentlich einfach gnadenlos voll. Halten zu Gnaden.
Viel Licht
Erfreulich ist es, wenn man die Methode des Karl Kraus auf ihn selbst anwendet, blind Band 5 der Zweitausendeins-Fackel aufschlägt und auf den Seiten 26 und 27 der Nr. 300 vom 9. April 1910 nebeneinander stehen sieht: »Sie haben die Presse, sie haben die Börse,