Hausgemeinschaft mit dem Tod. Franziska Steinhauer
Knyst grunzte unwillig. »Wir sind die, die ihr diese Angst nehmen könnten! Unsere Arbeit sollte man unterstützen, nicht torpedieren.«
»Theoretisch sicher richtig, aber zu idealistisch gedacht. Weißt du, Mütter ticken anders. Erstens sind sie davon überzeugt, die besten Beschützer ihrer Kinder zu sein und zweitens ist ihnen die Tatsache, dass wir ermitteln müssen, Beweis genug dafür, dass unsere Arbeit im Vorfeld schlecht war.« Lundquist atmete tief durch, dachte an seine eigene, charakterlich schwierige Mutter und setzte hinzu: »Manche versuchen, dich ein ganzes Leben lang zu betreuen.«
Lars grinste. Er wusste um die besonderen Probleme im Lundquistschen Haushalt. Nach dem Tod von Anna, Svens erster Frau, hatte seine tatkräftige, energische Mutter die Versorgung des Witwers und der Enkelin übernommen. Als der Sohn sein Leben wieder selbst in die Hand nehmen wollte, war sie nicht bereit gewesen, dies zu gestatten, hatte sich mit allen Mitteln gegen die neue Schwiegertochter gewehrt.
»Und wenn Onkel Ingeleif nun ein Hirngespinst ist? So etwas wie eine Fata Morgana?«
»Wir hatten früher eine Katze. Wenn irgendetwas verschwand, haben wir immer gesagt ›Mathilde muss das gewesen sein‹. So könnte es sich auch mit Onkel Ingeleif verhalten. Der Name ist nur Synonym für etwas Verbotenes. Damit man überhaupt darüber reden kann, verwendet man einen Fantasienamen. Ulla hat recht. Wessen Onkel heißt schon Ingeleif.«
»Meiner zum Beispiel«, empörte sich Lars. »Er lebt glücklich an einem kleinen norwegischen Fjord. Seine Frau Chin Li ist eine wunderbare Köchin. Inzwischen beherrscht sie sogar die traditionelle Küche. Du solltest mal ihr Dillfleisch probieren. Mit frischem Lamm – ein Traum.«
»Lamm? Magda nimmt Kalb dafür. Ist bei uns ein gern gegessenes Sonntagsgericht. Lisa mag es am liebsten mit Nudeln. Aber natürlich gehören traditionell Bratkartoffeln dazu. Und deine chinesiche Tante kann das wirklich so kochen, dass es am Ende schwedisch und nicht asiatisch schmeckt?« Sven war skeptisch.
»Sicher! Sie mischt nicht unter alles Fischsoße!«, gab Lars zurück und klang beinahe beleidigt.
Lundquist tastete, während er sprach, eine Nummer in sein Handy.
»Britta, könntet ihr bitte alle herkommen? Gestern gab es hier ein Straßenfest. Wenn Gottwald wirklich mit seinem Cayenne irgendwo gehalten hat, muss er jemandem aufgefallen sein. Und wir suchen nach einem Ingeleif, oder Onkel Ingeleif. Vielleicht kennt den einer der Nachbarn. Bringt ein paar Kollegen zur Verstärkung mit. Lars und ich besuchen in der Zwischenzeit Simones Freund.«
Er lauschte auf die Antwort, die offensichtlich länger ausfiel.
»Gut. Wir treffen uns in etwa zwei Stunden im Büro.«
Das Mobiltelefon verschwand wieder in der Jacke. »Bernt hat zwei der Zeugen von gestern Abend besucht. Bei Tageslicht konnten sie sich nicht mehr daran erinnern, gesagt zu haben, dass Gottwald besonders brutal sei. Nur der eine, der von diesen Randaletreffen erzählt hat, blieb bei seiner Aussage, und auch der Bruder der jungen Frau, die bei einem Vorstellungsgespräch verletzt wurde. Bernt fährt gerade zu einem Hans, der die Aussage zu den Prügeleien bestätigen kann.«
»Bleibt trotzdem nur eine vage Vermutung, Gottwald neige zur Gewalttätigkeit. Keine Beweise.«
»Wir besuchen jetzt erstmal Bodo. Danach fragen wir Agneta nach diesem ominösen Onkel. Komm!« Lundquist bog an der Hauptstraße nach links ab und stand wenige hundert Meter später vor dem Eingang des Schreibwarenladens.
»Ordning & Reda. Da kauft Gitte auch gern. Schöne Farben, extravagante Hefte und Ordner – Luxus pur.«
»Ja. Magda mag diese Läden auch. Na, vielleicht ist Bodo zufällig hier und wir können wenigstens ein paar unserer Fragen beantworten lassen.«
Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht.
»Bodo hat heute frei. Wegen des Straßenfestes gestern.« Der ältere Herr hob entschuldigend die Hände auf Brusthöhe. »Tut mir leid.« Seine wirren weißen Haare verliehen seinem Gesicht etwas vergeistigtes, die bunten Flecken auf der grünen Schürze zeugten davon, dass er ausprobierte und benutzte, was er im Sortiment hatte.
»Wir bräuchten seine Adresse. Es ist wichtig.«
Der Ladenbesitzer nickte und schrieb sie ordentlich auf eine kleine weiße Karteikarte. »Ihr kommt wegen Simone, nicht wahr?«
»Ja.«
»Schreckliche Sache. Das arme Kind. Sie hatte Probleme genug – und nun das!«
»Probleme?«
»Ihr wisst sicher, wie das ist. In dem Alter wissen sie nicht so richtig, was sie wollen. Und Agneta war mit dem Kind vollkommen überfordert. Als ich ihr vorschlug sich Hilfe zu holen, wurde sie direkt ausfallend, dabei war ja nicht zu übersehen, dass sie mit ihrer Tochter nicht klarkam«, ließ er sie mit gesenkter Stimme wissen. »Der Sex kommt heute viel zu früh, wisst ihr? Noch bevor sie ihren eigenen Körper richtig kennen, fallen sie schon übereinander her. Na ja. Ist wohl nicht zu ändern. Moderne Zeiten eben. Früher baute man sich erst eine eigene Existenz auf, danach suchte man nach der Frau, die dazu passt. Tja, tja.«
»Wie alt ist Bodo denn?«, schaltete sich Lars ein.
»Bodo?« Der Weißhaarige drehte sich um und rief laut nach hinten: »Sag mal, wie alt ist der Bodo gleich?«
Von weit her hallte eine Frauenstimme zurück: »17!«
»Dieses Straßenfest gestern war ein voller Erfolg?«, wechselte Lundquist überraschend das Thema.
Der alte Mann blinzelte verwirrt, lächelte dann aber zufrieden. »Oh, ja. Das kann man so sagen. Wir hatten natürlich geöffnet, wie die anderen Läden auch. Vor der Tür haben wir Waffeln gebacken, dazu gab es Sahne und Erdbeermarmelade. War ein schönes Fest.«
»Ist dir ein besonderes Auto aufgefallen? Ein weißer Cayenne? Der drüben am Straßenrand kurz gehalten hat?«
»Nein. Du meinst das Auto von Gottwald, nicht wahr? Ist der Einzige, den ich kenne, der so einen Wagen fährt.« Bedauernd setzte er hinzu: »Nein, nein. Gestern nicht.«
6
Gottwald sah seinen Kopf in der Schlinge.
Er würde einen guten Anwalt brauchen. Einen Strafverteidiger, der seinen Job mit Engagement und Witz beherrschte. Ansonsten käme er wohl hinter Gitter!
Er seufzte tief.
»Scheiße! Ich wusste, dass Agneta irgendwann etwas finden würde, um mich in die Pfanne zu hauen!«
Ingelore setzte sich neben ihn und schmiegte ihren Kopf an seine Schulter. »Ach Gottwald, rede nicht so. Natürlich kann dir niemand einen Mord anhängen.«
»Sieh dir die Sache doch mal nüchtern an. Simone war ein rechter Klotz am Bein. Es wird nicht lang dauern, bis die beiden Polizisten das herausgefunden haben. Und sie werden sich an mir festbeißen.«
»Aber Gottwald, sei doch nicht so pessimistisch! Sie haben keinen Grund, dich zu verdächtigen. Außerdem hast du ein Alibi! Bestimmt finden sie den wahren Mörder ziemlich schnell und es kehrt wieder Ruhe ein.« Ingelore zog die Füße an den Po. Ihr war kalt, trotz der Wollsocken.
»Du bist mein Alibi! Was glaubst du wohl, ist das in den Augen der Polizei schon wert?«, bellte er wütend.
»Nun, immerhin ist es ein Alibi. Im Nachhinein muss man zugeben, dass der romantische Vorteil eines fast leeren Kinos nun eher zu einem Nachteil mutiert ist. Aber man kann dir doch nicht im Ernst vorwerfen, dass der Film so schlecht besucht war. Der neue Scorsese! Unbegreiflich. Egal, bleibt also meine Aussage!«, stellte Ingelore trotzig klar.
Er küsste sie flüchtig auf die Wange. »Ja, ja. Stimmt schon. Und noch sind wir ja nicht verheiratet.« Sie drückte sich von ihm ab und sah ihm prüfend ins Gesicht. »Willst du die Hochzeit etwa verschieben?«, fragte sie, Hysterie in der Stimme.
Der Bräutigam schloss die Augen, lehnte den Kopf zurück, bis er auf der