Hausgemeinschaft mit dem Tod. Franziska Steinhauer

Hausgemeinschaft mit dem Tod - Franziska Steinhauer


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im Zoo getroffen? Aus der Schule vielleicht?«

      Der schwere Mann grunzte ungehalten.

      »Nein! Hört zu: Wir hatten einen ruhigen und entspannten Tag miteinander. Wie immer, wenn es nach Simones Kopf geht. Wir waren essen, zum Abschluss gab es Eis. Dann habe ich sie zu ihrer Mutter gebracht – wie immer. Gemeinsames Abendessen erlaubt Agneta uns nämlich nicht. Da ist sie genauso konsequent wie bei der Pünktlichkeit.« Trauer und Nachdenklichkeit schwangen in diesen Worten mit.

      »Du hast uns schon erklärt, warum du Simone diesmal nicht direkt an der Wohnungstür abgeliefert hast«, leitete Lundquist seine nächste Frage ein. »Aber ich glaube nicht, dass der Wunsch deiner Tochter nach Selbstständigkeit dein einziger Grund war. Warum war es so leicht, dich zu überreden?«

      Die Stille im Raum fühlte sich mit einem Mal unheilvoll an.

      Gottwald schien das auch so zu empfinden.

      Hektisch antwortete er: »Ja, ich habe sie an der Ecke rausgelassen. Und es war mir recht – sehr recht sogar! Ihr macht euch keine Vorstellung von dem Affenzirkus, den Agneta jedes Mal veranstaltete, wenn ich Simone zurückbrachte. Vorwürfe, Anschuldigungen, Nörgeleien, Unzufriedenheiten – an allem, was in ihrem Leben schiefging, trug ich ihrer Meinung nach die Schuld! Ich legte es nicht darauf an, ihr zu begegnen. Simone drehte sich zu mir um, winkte und ich fuhr los. Zu Ingelore. So schnell es ging. Ich wollte den Abend mit ihr genießen. Wir tranken Wein, sahen uns ›Hugo Cabret‹ von Scorsese im Kino an, kehrten dann wieder zu ihrer Wohnung zurück.« Gottwalds Stimme schwankte, als er bitter sagte: »Während ich unvergesslichen Sex hatte, brachte irgend so ein perverses Schwein mein einziges Kind um!« Er drehte sich mit Mühe aus dem Sessel, trat ans Fenster und wandte den beiden Ermittlern den breiten Rücken zu. Lundquist bemerkte einen feuchten Fleck zwischen den Schulterblättern auf Gottwalds Sakko. Warum schwitzte der Vater so? Wegen des Schocks über die Todesnachricht – oder gab es noch einen anderen Grund?

      Vor der Terrassentür stolzierte ein nachtschwarzer Kater vorbei.

      Hormon- und kraftstrotzend den Schwanz steil erhoben. Ganz eindeutig war er hier der Herr des Reviers – zumindest solange die drei Bestien der Hölle eingekerkert waren.

      »Hat er sie …«

      »Nein. Simone wurde nach ersten Erkenntnissen der Rechtsmedizin nicht das Opfer einer Vergewaltigung.«

      »Warum dann?«, flüsterte der Vater.

      »Vielleicht war sie nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Wir wissen noch nicht genau, was passiert ist.«

      »Als du deiner Tochter zugewinkt hast, hatte sie da ihre Tasche dabei?«, wechselte Lars zu einem neuen Aspekt.

      »Ja. Sie liebte diese Tasche. Die habe ich ihr aus Afrika mitgebracht, rot-bunt.« Seine Stimme verdämmerte. Eine kleine beschlagene Stelle bildete sich vor seinen Lippen an der Scheibe, ein blinder Fleck.

      »Nur weil ich sie nicht bei meiner Ex abgegeben habe, ist sie nun tot! Ich bin schuld.«

      »Mit dir war sie nicht in einem Fast-Food-Restaurant?«, fragte Lundquist wie beiläufig.

      »Nein! Wir haben im Zoorestaurant gegessen. Am Mittag, und später ein Eis.«

      »Vielleicht hat sich Simone noch mit jemandem getroffen, nachdem sie ausgestiegen war«, überlegte Sven laut.

      Gottwald drehte sich sehr langsam um. Sein Blick wirkte trübe, wie auf die Ferne gerichtet oder in eine angenehme Vergangenheit.

      »Gesagt hat sie nichts davon«, seufzte er tief. »Aber das musste sie ja auch nicht. Sobald sie mich verlassen hatte, war ihre Mutter wieder zuständig. Agneta hätte es erlauben müssen.«

      »Was würde jemand erzählt haben, der deine Tochter zum Mitkommen überreden wollte?«, wollte Lars wissen.

      Der Vater schlug die Hände fest zusammen.

      »Sie wusste natürlich, dass sie niemanden begleiten durfte. Wie alle Kinder. Tatsächlich gibt es tausend Dinge, bei denen sie schwach geworden wäre. ›O weh, mein kleiner Hund ist hinter den Einkaufswagen eingeklemmt. Ich kriege ihn allein niemals da raus‹ oder ›Eine Katze hat ihre Jungen in einem der Einkaufswagen geworfen. Gleich kommt der Wachmann vorbei. Wenn der das entdeckt, schlägt er die Kleinen sofort tot‹. Simone wäre sofort bereit gewesen zu helfen. Wenn es um Tiere ging, war der Verstand bei ihr ausgeschaltet.«

      Lundquist nickte voller Verständnis. Dachte einen Moment an den Typen mit den Dreadlocks, den er finden musste.

      Gottwald schniefte.

      Wischte sich mit seinen teigigen, weichen Händen über die Augen.

      Einen Wimpernschlag lang hatte Lundquist die Assoziation von klebriger Hitze und Schweißfeuchte an diesen Fingern. Ekel stieg in ihm auf.

      »Außer dieser schwachsinnigen Anschuldigung von Agneta habt ihr keinen Grund, mir zu misstrauen! Ich habe nichts mit Simones Tod zu tun!«, brüllte Gottwald plötzlich cholerisch auf. »Ständig versucht sie, mir irgendetwas anzuhängen. Bei der Steuerbehörde hat sie mich angeschwärzt, behauptete, die Hälfte meiner Gelder läge auf geheimen Konten im Ausland und würde von mir nicht verbucht. Alles haltlos. Natürlich wurde nichts gefunden.«

      »Worin sollte für Agneta das Motiv für solche Anwürfe liegen?«, fragte Knyst, obwohl er glaubte, die Antwort schon zu kennen.

      »Agneta ist krank«, seufzte Gottwald.

      »Krank?«

      »Ja. Psychisch krank. Sie hat im Laufe der Jahre mehrere Therapien gemacht, aber so richtig geholfen hat ihr keine. Es ist nicht so, dass man sie als gemeingefährlich bezeichnen müsste. Tatsächlich sind ihre Fantasien ausschließlich gegen mich gerichtet.«

      Gottwald trat an seinen Laptop und öffnete einige Dateien, trug ihn zu den beiden Ermittlern hinüber.

      »Das sind Fotos von Agneta, als wir noch glücklich verliebt waren. Ich habe sie für Simone aufbewahrt, damit sie später auch Beweise für eine gute Zeit im Leben ihrer Mutter hat. Aber die brauche ich ja nun nicht mehr!«, schloss er bitter. »Die Schwierigkeiten begannen erst während der zweiten Hälfte der Schwangerschaft. Sie fand sich fett, hässlich, nicht mehr begehrenswert. Während sie mir Sex verweigerte, fing sie an, Geschichten zu erzählen von Frauen, mit denen ich sie angeblich betrügen würde, weil sie mit dem Bauch nicht anziehend sei. Sie merke es daran, dass ich sie nicht mehr ins Bett zu kriegen versuche. Doch das war erst der vergleichsweise harmlose Anfang ihrer pathologischen Vorstellungen. Unser Hausarzt riet mir, Ruhe zu bewahren, es handle sich nur um hormonelle Schwankungen und nach der Entbindung käme alles wieder ins Lot. Unnötig zu erwähnen, dass dem nicht so war! Im Gegenteil! Agneta begann, überall blaue Flecken vorzuzeigen und zu behaupten, ich sei für deren Entstehung verantwortlich. Das ganze gipfelte in ihrer Behauptung, sie sei voller Sorge, ich könne auch dem Kind etwas antun. Gegen so etwas kann man sich nur sehr schwer zur Wehr setzen. Ich habe mich scheiden lassen.«

      »Also ging die Entscheidung zur Trennung von dir aus?«

      Gottwald musste wohl das Erstaunen im Ton wahrgenommen haben. »Wieso? Hat sie etwa was anderes behauptet?«, brauste er erneut auf. Diesmal hatte sich seine Gesichtsfärbung schlagartig von rot nach blau verändert. »Nur um das jetzt ein für alle Mal klarzustellen: Simone war auf dem Weg zu ihrer Mutter, als ich sie das letzte Mal sah! Was sich unterwegs oder bei den beiden in der Wohnung ereignet haben mag, kann ich nicht sagen!« Er holte tief Luft. »Ich meine, ihr kommt hierher, ich erfahre vom Tod meines einzigen Kindes und dann werde ich im selben Atemzug verdächtigt, es getötet zu haben! Ist euch klar, wie unglaublich dieses Verhalten ist?«

      »Wir befragen jeden, der in den letzten Tagen Kontakt zu Simone hatte. Das richtet sich nicht gegen dich, sondern ist Routine«, erklärte Lars ruhig.

      »Routine? Routine? Für euch ist der Tod von Simone schon nach so kurzer Zeit Routine?«, brauste Gottwald sofort wieder auf.

      »Nein«, schaltete Sven sich ein, »nicht ihr Tod. Mord wird nie zur Routine. Die Befragung aber schon. Und der muss sich jeder stellen.«


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