Hausgemeinschaft mit dem Tod. Franziska Steinhauer

Hausgemeinschaft mit dem Tod - Franziska Steinhauer


Скачать книгу
als Ziel festgelegt. Sie hat sich gestern darauf gefreut. Es war ein richtig schöner Tag mit Lachen und entspannter Zweisamkeit. Danach habe ich sie zu ihrer Mutter zurückgebracht. Als sie ausstieg, war sie ausgesprochen guter Dinge.«

      »Es gab keine Diskussion über Geld, Wünsche, Pläne? Keinen Missklang?«, blieb Lars hartleibig am Thema.

      »Nein! Sie hatte Wünsche – wie immer – und ich versprach, ein paar davon zu erfüllen. Manche waren ›Auftragswünsche‹ ihrer Mutter, das habe ich sehr wohl erkannt. Die bediene ich natürlich nicht. Simone war auf ein stylisches Outfit aus, das sie bei jemand anderem gesehen hatte. Ich versprach ihr einen Einkaufsbummel.«

      »Kennst du einige ihrer Freundinnen?« Sven registrierte, wie leicht es Gottwald fiel, von seiner Tochter im Präteritum zu sprechen – vielleicht weil er schon lange in der Vergangenheit von Simone dachte? Größtmögliche innere Distanz?

      »Ja. Bloß dem Namen nach. Es gab nur drei, die echte Freundinnen waren – und von denen war nur Ulla so etwas wie eine beste Freundin.« Er zog einen kleinen Notizblock aus der Sakkotasche, notierte etwas.

      »Den Namen von Agnetas Psychologen bräuchten wir auch – und den von deinem Scheidungsanwalt«, meinte Lars.

      Gottwald sah kurz auf, murrte unwillig, setzte zwei Zeilen hinzu und riss das oberste Blatt ab, reichte es Lars hinüber. »Simone war schwierig, da findet man nicht so leicht Kontakt.« Er hob die Arme gen Himmel und ließ sie wieder auf seine massigen Oberschenkel fallen. »Sie war mir wichtig. Für die Störungen ihrer Mutter konnte die Kleine ja nichts.« Er starrte auf seine fleischigen Hände. Schwieg. Hustete. »Agneta ist alles zuzutrauen, wenn es mir zum Schaden gereicht. Ihr solltet nicht unterschätzen, was solch eine Frau tun kann, um das Glück ihres Exmannes zu verhindern.«

      »Wir haben schon verstanden. Und natürlich werden wir in alle Richtungen ermitteln«, meinte Sven und nickte ihm zum Abschied zu. »Wir finden selbst hinaus – es sei denn, die Hunde sind wieder los.«

      »Die sind im Zwinger. Eigentlich laufen sie nur nachts übers Gelände«, murmelte Gottwald und sah aus, als habe er die Anwesenheit der beiden schon vergessen, noch bevor sie den Raum verlassen hatten.

      Doch noch ehe sie durch die Tür getreten waren, stand er unvermittelt neben ihnen. »Dann kann ich die Unterhaltszahlungen mit sofortiger Wirkung stoppen, oder? Spricht doch nichts dagegen, dass Agneta nun für ihren Lebensunterhalt allein sorgt, nicht wahr?«, fragte er und grinste diabolisch. »Ein Kind hat sie ja jetzt nicht mehr zu betreuen!«

      »Was meinst du?«

      »Schwer zu sagen«, knurrte Sven düster. »Ich denke, meine Reaktion auf die Mitteilung, meine Tochter sei Opfer eines Mörders geworden, fiele deutlich anders aus. Gottwald war, hm, so unemotional.«

      »Wäre ich Regisseur und hätte die Karikatur eines pädophilen Serientäters zu besetzen, würde ich Gottwald auf jeden Fall zum Casting einladen!«, spuckte Lars wütend in die kühle Morgenluft. »Ist das ein arroganter, aalglatter Kerl. ›Seht her, ich bin der tolle Gottwald Paulsson!‹«

      »Simone kam nicht nach Hause, die Mutter alarmierte die Polizei. Schon bei diesem ersten Gespräch brachte sie die Möglichkeit ins Spiel, der Vater könne der Kleinen etwas angetan haben. Ist zumindest sonderbar. Sie wollte sicher sein, dass wir als erstes diese Spur verfolgen. Zu dem Zeitpunkt wusste sie nichts vom Tod ihrer Tochter. Und nun behauptet Gottwald, Agneta käme ohne weiteres selbst als Täterin infrage. Rosenkrieg der besonderen Art?«

      »Es gibt keine Anzeichen oder Hinweise auf eine Vergewaltigung, erste ›Tatwaffe‹ war irgendeine beruhigende Substanz, nach der Betäubung benutzte der Täter eine Art Metallrohr. Eine Frau könnte den Mord ebenso begangen haben wie ein Mann. Simone wurde nicht entwürdigend drapiert oder ›weggeworfen‹, sondern auf eine Decke gebettet. Der Täter hat sich um das tote Kind bemüht. Sieht für mich aus, als mochte er sie. Was nicht automatisch bedeutet, dass es sich um ein Familienmitglied handeln muss! Wir beide wissen sehr genau, was manch ein Täter nach dem Mord versucht, um die Tat ungeschehen und alles wieder gutzumachen. Die Haare über ihrem Gesicht – wollte er sie nicht länger ansehen oder sollte sie ihn nicht mehr sehen? Kannst du dich noch an diesen Hugo erinnern?«

      Lars nickte. »Klar. Der hat sich immer auf den ersten Blick unsterblich verliebt und wollte die Frauen dann ganz für sich allein besitzen. Das ging seiner Meinung nach nur, wenn sie willenlos waren …« Sven hatte Recht, räumte er in Gedanken ein. Sie wussten gar nichts! Alles nur Gerüchte, keine belastbaren Aussagen. Er schob energisch die Fäuste in die Hosentaschen. »Nach der Tat hat er sie in eine Decke eingewickelt, komplett, nur die Haare guckten noch raus. Weil er ihnen nicht mehr ins Gesicht sehen konnte, hatte Hugo behauptet. Schließlich hatten sie Sex miteinander gehabt, waren sich nicht mehr fremd. Ich erinnere mich genau.« Lars stockte. »Du willst darauf hinaus, dass er an dem Mädchen etwas wieder ›gutmachen‹ wollte? Mag sein, dass sie ihm nicht gleichgültig war. Er machte es ihr bequem.«

      »Nun, so ganz stimmt das allerdings nicht. Er legte sie nicht ab – er hat sie regelrecht zwischen die Gitter ›gestopft‹. Dazu musste er Kraft aufwenden. An den Knien hat das zu Hautabschürfungen geführt. Liebevoll war das nicht. War doch eher Wut oder gar Hass im Spiel?«

      Nach wenigen Schritten ergänzte er: »Simone hatte einen Freund. Regelmäßige sexuelle Kontakte fanden statt. Ein Geheimnis, von dem die Eltern sicher nichts ahnten. Wo haben die beiden sich getroffen? Bei ihm? Agneta ist den ganzen Tag zu Hause, da waren sie nicht unbeobachtet. Vielleicht hatte sie beschlossen, sich von ihm zu trennen – er konnte diesen Gedanken nicht ertragen, wollte sie auf keinen Fall an einen anderen verlieren. Auch das wäre schließlich ein denkbares Szenario. Wir wissen bisher nichts über das Mädchen, über ihre Vorlieben, ihre Träume, Pläne, Wünsche. Im Grunde nur, dass sie Tiere mochte. Wir sollten uns so schnell wie möglich ein Bild von ihr machen.«

      »Ihre Freundin?« Lars zog die beiden Zettel von Mutter und Vater hervor. »Sieh mal, wenigstens in diesem Punkt waren sie sich einig. Drei gleiche Namen, und von Agneta haben wir auch die Adressen dazu.«

      Den Wagen in einer der Seitenstraßen zu parken, erwies sich als nicht so einfach wie gedacht. Überall waren umfangreiche Aufräumarbeiten im Gange, die Bürgersteige wurden gefegt und geschrubbt, sogar mobile Reinigungsfahrzeuge kamen dabei zum Einsatz.

      »Die nehmen’s aber ernst mit der sauberen Straße zum Wochenbeginn!«, staunte Lars. »Sieht aus, als wäre das ganze Viertel auf den Beinen. Dabei fängt der Montag ja gerade erst richtig an.«

      Die Wohnung der Svenssons war für eine vierköpfige Familie zu klein, Stauraum, trotz der vielen ›Wegräummöbel‹ eines schwedischen Möbelhauses, Mangelware. Mutter Margit musterte die beiden Polizisten unfreundlich.

      »Lasst bloß meine Ulla in Frieden. Die hat eurem Kollegen gestern Abend schon alles erzählt, was sie über Simone weiß. Es ist für ein Kind in diesem Alter nicht leicht zu verarbeiten, dass die beste Freundin ermordet wurde. Wie man hört, vom eigenen Vater!«

      »Simones Mörder kennen wir noch nicht. Wir verfolgen alle Spuren.« Der Tadel war unüberhörbar.

      Das von zu vielen Zigaretten, Alkohol und Entbehrungen gezeichnete Gesicht der Mutter wurde noch abweisender, ihre Augen kalt und trotzig.

      »Meine Ulla hat nichts mehr zu sagen!«

      »Das Gespräch mit Filip Björk fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem sie noch dachte, Simone sei nur mal kurz untergetaucht. Gestern Abend konnte man das Ganze noch für hysterisches Getue der Erwachsenen halten. Doch jetzt weiß Ulla, dass Simone nicht mehr lebt. Das mag ihren Blick auf die Dinge verändern.« Sven Lundquist blieb freundlich, trat aber entschlossen einen Schritt vor, stand nun mitten in einem chaotischen Wohnzimmer. Geschirr auf dem Tisch, Essensreste, die ganz sicher nicht vom heutigen Frühstück stammten, volle Aschenbecher, leere Weinflaschen, Kleidungsstücke in Haufen auf dem Boden verteilt, der Fernseher flimmerte ohne Ton. Margit schien das alles erst jetzt zu bemerken. Sie wirkte verblüfft, als sie sich umsah.

      »Mein Mann hat Nachtschicht. Da muss so manches liegenbleiben. Aufräumen verursacht Geräusche.«

      »Wir


Скачать книгу