England's Dreaming [Deutschsprachige Ausgabe]. Jon Savage
Kleidung aus Too Fast To Live,Too Young, To Die, in »Mahlers«, 1974 (mit freundlicher Genehmigung des Cinema Bookshops)
Er gehörte zu den wunderbar übertriebenen Insignien von Schwarzen und ganz besonders der rasch wachsenden Anzahl von mexikanischen Einwanderern, die es wegen der expandierenden Kriegswirtschaft nach Südkalifornien verschlug. Wie Stuart Cosgrove in Zoot Suits and Style Warfare erklärt, bezeichnet der Zoot Suit die widersprüchlichen Erfahrungen der Einwanderer: ein Stil der Unterklasse, der bis zur Absurdität getrieben wurde.
Zooters waren eine Erweiterung von Rhett Butlers Western-Anzug: an den Schultern, in der Taille, besonders unten am Saum. Dasselbe galt für die Hosen, die sich wie ein Segel an den Knien aufbauschten und unten am Aufschlag auf fast nichts verengten. Diese Anzüge gab es meist in wilden Eiskremfarben wie Gelb und Limonengrün und wurden ergänzt durch Accessoires wie lange Ketten, spitze Schuhe und langes »entkraustes« Haar.
Die Wirkung war absichtlich fremd. Wie der englische Edwardian später, signalisierten die Pachucos – »junge Burschen, die in Banden zusammenleben« (Octavio Paz) – ihre Revolte durch ihre Kleidung: Sich aufzudonnern wie ein irrer Eisbecher war nicht die Art Benehmen, das man von ethnischen Gruppen in Amerika während des Krieges erwartete. Ihre Revolte war instinktiv und existentiell: »Obwohl seine Haltung einen hartnäckigen und fast fanatischen Lebenswillen bekundet«, schrieb Octavio Paz in Das Labyrinth der Einsamkeit, »äußert sich dieser Wille nicht konkret, sondern in dem widersprüchlichen Entschluß, [...] nicht wie die übrige menschliche Umwelt zu sein.«
Diese geschneiderte Aggressivität provozierte gewalttätige Feindseligkeit. Im Juni 1943 waren Tausende in Rassenunruhen verwickelt, die in Los Angeles begannen und sich über das ganze Land ausbreiteten. Diese wurden nach der Aufmachung benannt, die der Stein des Anstoßes war: die Zoot Suit Riots. Schneiderei selbst wurde zum Gegenstand moralischer Entrüstung. In Kalifornien wurden Regelungen für die »Anfertigung von Anzügen« erlassen. Aber Mitte der 40er Jahre war der Stil wieder in den schwarzen Jazz-Look übergegangen, aus dem er entstanden war, und in dieser Form kam er mit den GIs und den Hollywoodfilmen nach Großbritannien.
Eine Abwandlung des Zoot wurde rasch von Kleinkriminellen als Reklame für ihr Gewerbe aufgegriffen. Hätte man das eigene Wissen um den Zauber, der von Amerika ausging und die Verachtung für Rationierungen besser demonstrieren können? Diese amerikanische Form setzte sich bei den Schiebern und Schlägern durch und wurde von den ersten Edwardians aufgegriffen, die die verstörende Grellheit mochten und sich außerdem von den Westernanzügen angezogen fühlten, die Alan Ladd in ihren Lieblingsfilmen trug.
Die erfolgreichen Kostüme für »That’ll be the Day« von Let it Rock führten zu einem weiteren Auftrag, diesmal für Ken Russells pompösen Film »Mahler«. Als McLaren und Westwood gebeten wurden, sich etwas für die Traumsequenz auszudenken, in der der jüdische Komponist seiner arischen Anima entgegentritt, arbeiteten sie an »einer riesigen deutschen, katholischen Kreatur mit Nazihelm«, erinnert sich McLaren. »Wir benutzten ein ›Dominator‹-Reifen-T-Shirt. Der Rock war sehr kurz, aus Leder und hatte einen Reißverschuß vorne, der bis ganz nach unten durchging. Auf jeder Seite brachten wir ein riesiges Jesuskreuz aus Messingnieten an. Das war genau vorne im Schritt. Auf der Rückseite war ein großes Hakenkreuz auch aus Messingnieten.«
Trotz dieses kleinen succès d’estime war McLaren ruhelos. Der Dämon der Langeweile hatte ihn in der Gewalt. Der Laden bewegte sich in keine aufregende Richtung. Seine Beziehung zu Vivienne war geprägt von den üblichen Streits und Trennungen. Stünde ein »Schleudersitz« zur Verfügung, dann würde McLaren auf den Knopf drücken, aus keinem bestimmten Grund, außer um zu sehen, was passieren würde. Im August 1973 kam die Chance. Gemeinsam mit mehreren anderen King’s Road-Läden wurde Let It Rock gebeten, Entwürfe in der National Boutique Show im New Yorker McAlpin Hotel zu zeigen. Als Let It Rock versuchten Vivienne Westwood, Gerry Goldstein und McLaren ihr Glück in Amerika, dem Land ihrer Träume.
Eine Seite aus dem Hauptbuch der Nummer 430, März 1974 (© Malcolm McLaren)
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»Es war das allererste Mal, dass wir in New York waren«, sagt McLaren, »wir kannten niemanden. Es war lachhaft, weil alles so spießig war. Jeder hatte ein Schlafzimmer im Hotel, in dem wir die Kleider zeigen sollten – und wir haben uns wirklich Mühe gegeben.« Das Trio nahm ein paar Zoots, einige Drapes mit und wegen der Atmosphäre 50er Jahre Platten und Fanfotos aus Let It Rock.
Um sich ins rechte Licht zu setzen, hatten sie ein paar einfarbige Handzettel gedruckt, die den Totenschädel und die gekreuzten Knochen von der Ladenfront und den Schriftzug »Kleidung von Let It Rock 430 King’s Road England« trug. Dann lehnten sie sich zurück und warteten. »Wir hatten diese ganzen Blusen mit Zigarettenbrandlöchern drin«, erinnert sich McLaren, »die Amerikaner konnten nicht verstehen, dass da diese Löcher in dem T-Shirt oder der Bluse waren. Das T-Shirt hatte künstliche Löcher, die umgedreht und festgenäht waren, so wildes Zeug in der Art. Wir haben keine einzige Bestellung bekommen.«
Die McAlpin-Show war eine chaotische Zusammenrottung von Hippies, die Weihrauch verkauften, Standbetreiber, die auf der Straße trommelten, fingerschnippende Gauner, die in die Dolly Wog Bar rein und wieder raus liefen. »Da habe ich Malcolm McLaren getroffen«, sagt Syl Sylvain. »Weil ich auch Kleider machte, bekam ich diese ganzen Einladungen. Wenn man damals etwas anders war, bekam man eine Boutique-Show. Er hatte einen kleinen Raum, in dem er seine Klamotten verkaufte: Wir kannten sie, weil wir schon bei unserem ersten London-Besuch bei Let It Rock waren. Ich habe immer noch eine der 40er Jahre-Satinkrawatten mit Schneegestöber. Johnny kaufte einen Drape in blau mit einem schwarzen Samtkragen. Wir liebten es, uns aufzudonnern. Hier in Amerika interessiert man sich einen Scheißdreck für Kleidung, aber in Europa sagt plötzlich jemand: ›Was zum Teufel sind das für irre Hosen?‹«
Sylvain war Gründungsmitglied der Gruppe, die im Sommer 1973 die heißeste Nummer New Yorks war. »Johnny Thunders, Billy Murcia und ich gründeten die New York Dolls auf der New Town High School in Queens«, erzählt er. Als Kleiderfanatiker und Anglophile trieben sich die drei in der Musik- und Modewelt Manhattans herum, Hedonisten im Teenageralter, die versuchten, Zutritt zu Max’s Kansas City zu erlangen. Anfang 1972 wurde die Kerngruppe mit dem Studienabbrecher Arthur Kane am Bass und dem Sänger David JoHansen gegründet, dessen Intelligenz, jaggerartige Erscheinung und hochentwickelter Sinn für alles Lächerliche, der Gruppe ironische Schärfe verlieh.
Wie der Name andeutet, hatten die New York Dolls vor, hochenergetischen, schlampigen Manhattan Rock’n’Roll zu spielen. Die Dolls, sagte JoHansen, waren »ein Spiegelbild ihres Publikums«, das sich in dem winzigen Oscar-Wilde-Zimmer im Mercer Arts Center mitten in Soho versammelte. Die Dolls teilten sich den Raum mit den Ausläufern der 60er Jahre Warhol-Szene, die der Treffpunkt für alle Drag Queens, Speed Freaks, jede Art von gesellschaftlichem Ausschuss war. »Wir spielten in Max’s Kansas City: Das war die Szene«, sagt Sylvain,
»Candy Darling, Jackie Curtis, Warhol-Stars hingen da in den Hinterzimmern rum.« Im Mercer Arts spielten die Dolls mit den Magic Tramps, deren Frontmann ein früherer Warhol-Superstar war, Eric Emerson, Darstellungskünstlern wie Alan Suicide oder Transen wie Wayne County.
Die Dolls schwammen instinktiv mit im Strom des Exzesses. Zu ihren Kostümen gehörten in der Regel Make-up, hohe Absätze und Frauenkleider aus dem Secondhand-Laden. Arthur Kane war am meisten angetan von Frauenkleidung, trug manchmal ein Tutu, während Sylvain als erster die Spandexmode einführte, ein billiges, glänzendes Material, das, wenn man es als Hose trug, alles zeigte. »Die Tatsache, dass die Dolls Lippenstift trugen, deutete darauf hin, dass es Homosexuelle waren«, meint Bob Gruen, »waren sie aber nicht. Jemand fragte JoHansen, ob er bisexuell sei und er antwortete, ›Nein Mann, ich bin prosexuell, ich probiere alles aus‹. Das war ihre Einstellung, aber der eigentliche Grund hinter der sanften Pose und dem Make-up war, dass die jungen, schönen Mädchen