Fremde in der Nacht. Barbara Sichtermann

Fremde in der Nacht - Barbara Sichtermann


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weeßte, wat dich det kosten kann?«

      Ich habe ihren Arm immer noch nicht freigegeben, deshalb kommt sie nicht vom Boden hoch und rollt empört die Augen. Ihr wüstes Haar ist als schwärzliche Gloriole um ihren Kopf gebreitet. Sie riecht eigentümlich nach Wacholder.

      »Jetzt sag was ... Wo ist Karli? Ich will ‚ne Adresse. Und ’ne Zeit, wann ich ihn sicher treffe.« Ein bisschen noch drehe ich an ihrem dürren Arm, ich muss nicht viel tun, denn da sie selbst auf ihm draufliegt, genügen ein paar Millimeter, und es zieht, so hoffe ich, ganz schön. Sie wirft sich aus den Hüften hin und her, als unterzöge ich sie einer Folter. Mit der Linken bändige ich ihren freien Arm. Meine Knie sind gut in Position, um etwaige Ausfälle ihrer Stelzen zu parieren - die beide nackt zu sehen sind in ihrer langen Magerkeit, denn der geschlitzte Rock hat sich im Fall gehoben und ist auf ihren Bauch herabgesunken.

      »Also?«

      Sie bleckt die Zähne und stöhnt, als hätte ich gedroht, auf ihrem Hals eine Zigarette auszudrücken. Ihre Augen flackern in wilder Anklage, ihr Arm in meiner Hand fängt an zu zittern. Warum bloß muss das Kind so übertreiben? Ich will eine Auskunft von ihr und halte sie fest - ist das ein Grund zu erbeben und mich anzustarren wie einen Schänder?

      »Yvonne, ich höre.«

      »Lass mich los, du versauter Scheißtyp, du ekliger!« Sie stößt das heiser hervor, unter Tränen. Wo die plötzlich hergekommen sind, weiß ich auch nicht, denn eben noch haben ihre Augen kalt gedroht. Mir wird das jetzt alles zuviel. Ich mache, schwant mir, keine gute Figur. Lasse einfach ihre Handgelenke los und stehe auf, mit Kopfschütteln und hörbarem Ausatmen ihr die Schuld an der verfahrenen Situation zuweisend. Ich ordne Hemd und Hose. Es ist später Abend geworden, doch taghell und sehr warm. Es ist Mittsommernacht.

      Yvonne rollt sich erst auf die Seite und steht dann so vorsichtig, ihre Gliedmaßen einzeln prüfend und massierend, vom Boden auf, dass man meinen müsste, ich hätte sie durchgeprügelt. Sie wischt sich das Gesicht mit den Händen ab. Ihr Blick, als sie sich zu mir wendet, ist nicht zornig, auch nicht vorwurfsvoll, eher resigniert und etwas spöttisch. Als wolle er bedeuten: Ich wusste es doch, du bist ein Schwein, wie alle. Sie zupft ihr Kleid zurecht und reibt ihr Handgelenk. Dann sagt sie, mit einer völlig unbeteiligten Stimme:

      »Morgen abend um sechs isser da, der Karli, am Mäuseturm, wie wir alle. Wenn du willst, sar ick ihm, er soll ‚ne Viertelstunde früher komm’.«

      Und sie flitzt aus der Küche. Mir ist nicht klar, was dieses plötzliche Einlenken zu bedeuten hat, und wie immer, wenn ich das Gefühl habe, dass etwas zu glatt geht, wird es mir mulmig im Bauch. Ich hebe den Stuhl vom Boden hoch und schiebe ihn mit der Sitzfläche unter den Tisch. Ich wickle das rote Gummibändchen um die fremden Zettel und Kondome und stopfe das Zeug in Yvonnes Tasche. Höre sie den Flur entlanglaufen, dann geht die Klotür. Ich warte, bewege mich raus auf den Flur, das Täschchen in der Hand. Die Kleine hat jetzt zu verschwinden. Sie kommt aus dem Bad, den Hut auf dem Kopf, das Haar druntergestopft und das Gesicht gewaschen. Es ist ein zartes Kindergesicht, das mir entgegenglänzt, ohne Schminke, braun gebrannt, mit freundlichen Sprossen besät. Ihre schiefergrauen Augen lächeln jetzt, ihre Lippen versuchen es auch, breite, schön modellierte Lippen, deren untere sich gerne vorschiebt. Doch sieht’s dann nicht wie Schmollen aus, sondern wie Nachdenklichkeit.

      »Ick kiek ma... ick meene... wegen der Brieftasche.«

      »Was wollt ihr auch damit? So’n Ding ist doch gebraucht nicht zu verkaufen.«

      »Hast du ‚ne Ahnung. Aber ick kiek ma, ob ick det für dich fingern kann.«

      »Und mein Personalausweis?« Ich reiche ihr die Tasche.

      »War nich mit drin.«

      »Ich muss es doch wissen.«

      »Irren is menschlich, Opa. Na denn, bis bald.«

      Sie geht zur Tür. Bewegt sich geschmeidig und weich, obwohl sie fast nur aus Knochen besteht. Ich öffne ihr.

      »Yvonne...«

      »?«

      »Warum kämmst du dir nicht mal die Haare?«

      Sie lacht mit ihrer Mutanten-Stimme. Und macht, dass sie wegkommt. Ich schleiche zurück in die Küche.

      Lasse mich in einen Stuhl fallen und überdenke den Nachmittag. Es war nicht richtig, wie ich mich verhalten habe, es war unkontrolliert. Warum musste ich das Mädchen anfassen? Ja ja, sie hat mich in Wut versetzt, aber ich hätte sie nicht anfassen dürfen. Ich hätte ihr nicht den Arm umdrehen und nicht so tun dürfen, als ginge es mir um Karli Maaßen. Der war mir längst egal gewesen. Ich wollte sie zum Schweigen bringen, wollte sie für ihr obszönes Gerede und den Diebstahl meines Personalausweises bestrafen. Sie hat das alles gemerkt und mir deshalb wie zum Hohn die Sache mit dem Mäuseturm gesteckt. Sie ist eine raffinierte kleine Person, eine wahre Schlange, und es ist Vorsicht geboten. Yvonne... Woher mag sie stammen? Mit Sicherheit ist sie in Berlin aufgewachsen..

      Das Telefon schnarrt. Wer? Lothar wird’s sein. Ich möchte jetzt nicht mit ihm sprechen. Ich rufe ihn morgen zurück und entschuldige mich. Immerhin bringt er mich auf eine befreiende Idee. Ich werde ein bisschen basteln. Erstmal das T-Shirt wechseln, dann das Pomponne-Unglück nachstellen oder einfach den S-Bahn-Viertelzug ein paar Runden drehen lassen. Nichts lenkt so ab.

      Ich kenne mich gut aus in meinen Beständen. Jedes Stück hat seinen Platz, und deshalb seh ich es sofort: Die Ferkel-Taxe fehlt.

      Ich wähle Leos Nummer und will schon wieder auflegen, weil mir, während ich auf das Freizeichen lausche, alle Lust vergeht, von Yvonne zu berichten, aber da ist Magda am Apparat, und ihre liebliche Stimme vertreibt meinen Missmut.

      »O Hahn, wann holen Lukas ab? Er soo viel Spaß mit neue S-Bahn.«

      Morgen ist mein Bürotag. Da ist nichts zu wollen, Schäfers Wochenplan ist aus Gusseisen. Aber Mittwoch nachmittag gebe ich mir stets frei, und ich könnte den Patensohn vom Kindergarten abholen. Magda ist einverstanden und erzählt mir verliebt von Lauras erstem Lächeln. Ich stelle es mir vor und bin überzeugt: Ein schöneres Lächeln gibt es in ganz Neukölln nicht. Dann kommt Leo.

      »Na, Junge, wie isses?«

      »Zu heiß.«

      »Kann man wohl sagen.«

      »Erinnerst du dich an die Bernotat-Zwillinge?«

      »Die mit der Versicherungsphobie?«

      »Ja, die. In ihrem neuen Mietvertrag gibt’s ’ne Klausel, dass sie eine Hausratsversicherung abschließen müssen, und sie weigern sich. Jetzt drängt der Verwalter, und die zwei verlangen von mir, dass ich mit ihnen einen Scheinvertrag abschließe, damit sie ihre Ruhe haben.«

      »Ach du Teufel.«

      Die Bernotat-Zwillinge sind Leos verrückteste Kunden. Er hat sie von einem Kollegen übernommen, die beiden Herren, und alle Gespräche und Besuche, die er bis jetzt investiert hat, dienten nur dazu, bereits bestehende Verträge zu kündigen. Und jetzt wollen sie ihn auch noch zu Ungesetzlichkeiten anstiften. Eineiig sind die Bernotats, absolut ununterscheidbar und von Beruf Klavierbauer. Beide. Leo mag sie, obwohl er mit ihnen nicht ins Geschäft kommt.

      »Mein lieber Mann«, seufzt er.

      »Du hast ihnen doch Bescheid gestoßen?«

      »Ich halte sie hin. Wenn ich gut bin, versichern sie ihren Hausrat demnächst doch noch - inklusive unterschriebener Einzugsberechtigung. - Kommst du Donnerstag zur »Runde«?«

      »Nur wenn’s kühler wird.«

      Die »Runde« ist Erich Kopelkes, unseres Verkaufsleiters, Steckenpferd. Er liebt es, seine Außendienstler um sich zu scharen und sie mit eitel Optimismus vollzupumpen. Ich gehe gar nicht ungern hin, denn hinterher sitzt man oft bis in die Nacht bei einem Tropfen zusammen und erzählt die ausgefallensten Begebenheiten. Es gibt keinen Versicherungsagenten, der nicht mal auf Tour von einem kokainsüchtigen Yuppie


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