Fremde in der Nacht. Barbara Sichtermann

Fremde in der Nacht - Barbara Sichtermann


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höre ich das Mädchen schreien:

      »Mannoo —!«

      Es ist ein langgezogener Schrei, der Überraschung mit Belustigung mischt. Als sie auf der Küchenschwelle erscheint, lacht sie mit ihrem Kindermund von einem Ohr zum andern.

      »Du spielst mit Eisenbahnen!«

      Dann, plötzlich ernst werdend:

      »Oder haste ‚n Sohn?«

      Ich schüttele den Kopf. Sie ist mit dieser Auskunft sehr zufrieden:

      »Det is ja ’n Ding!«

      »Hast du Lust?«

      »Da frachste noch?«

      Ich schalte die Kaffeemaschine aus. Wir gehen ins Eisenbahnzimmer.

      Als wir wieder rauskommen, schlägt meine Büfettuhr halb sieben. Wir sind ganz schön hungrig und völlig verschwitzt.

      Ich muss Lothar anrufen und ihm sagen, dass es später wird. Während ich wähle, höre ich Yvonne in der Küche die Melone schlachten. Ich habe ihr noch Brot und Wurst hingestellt. Gern würde ich Lothar erzählen, dass ich eben die erste Frau kennengelernt habe, die nicht nur ein echtes Interesse für das Eisenbahnwesen, sondern auch noch technisches Verständnis und sogar Vorwissen mitbringt. Wofür das Leben auf freier Wildbahn - und diese Wildbahn ist im Untergrund mit Schienen ausgelegt - doch gut ist! Aber ich sage keinen Ton, denn die Göre würde alles mithören. Lothar ist wie immer tolerant. »Komm, wann du willst, Hagen.« Ich lege auf, mache die paar Schritte auf die Küche zu und bleibe im Türrahmen stehen.

      Yvonne hat ihre Ärmel über die Schultern gestreift, es ist ihr wohl zu heiß. Diese Andeutung eines damenhaften Dekolletes wirkt seltsam an ihrem mageren Torso. Sie futtert. Ich räuspere mich:

      »Warum lasst ihr Karli Maaßen nicht in Ruhe?«

      »Biste sein Papa?«

      »Er hat ’n Zuhause. Er muss nicht auf der Straße schlafen.«

      »Meü Deus«, ruft sie aus und bleckt die Zähne.

      »Was kann ich tun, damit du... damit du ihn zu seiner Tante zurückschickst?«

      Sie bittet um etwas zusätzliche Wurst. Während sie die Stulle schmiert, sagt sie, das Messer an der Rinde abstreichend:

      »Ick halt’ keenen fest.«

      »Es genügt nicht, dass du ihn nicht festhältst. Du musst ihn zurückschicken.«

      »Det hat doch jar keen Zweck. Nächsten Tach isser wieder da.«

      »Wieso? Wie kommt das? Was will er von euch?«

      Sie blickt auf.

      »Na, er jehört dazu.«

      »Wozu?«

      »Zu uns.«

      »Ich glaube, du irrst dich. Er gehört zu seiner Familie.«

      Da lacht sie fauchend. Legt abrupt das Brot ab und ihre Hand auf die Magengegend. Ich sehe sie unter Sonnenbräune und Sommersprossen blass werden. Sie beäugt die Stulle und sagt vorwurfsvoll:

      »Irgendwat stimmt mitter Wurst nich.«

      »Die Wurst ist in Ordnung.«

      »Auch ejal. Haste ’ne Cola?«

      »Ich hab dir doch schon gesagt...«

      »Meü Deus!«

      Sie schließt die Augen und lässt ihren Rücken gegen die Stuhllehne sinken. Allmählich kehrt die Farbe in ihr Gesicht zurück. Die Hitze setzt uns eben allen zu. Wurst passt nicht zu dieser Temperatur. Ich suche Quark, Tomaten, Milch und Salz zusammen und setze mich zu meinem Gast an den Tisch. Bemühe mich, sie aufzumuntem.

      »Hier, iss was Frisches.«

      Doch sie hat keinen Hunger mehr. Sie rutscht auf ihrem Stuhl herum, greift plötzlich zur Milch, trinkt ein paar tiefe Züge aus der aufgeschnittenen Tüte, wobei ihr ein gutes Quantum das Kinn entlang über den Hals in den Ausschnitt rinnt und stößt, als sie, jetzt wieder ganz rotwangig, die Tüte abstellt, lächelnd hervor:

      »Schenkste mir die Ferkel-Taxe?«

      Warum wischt sie sich die vergossene Milch nicht ab? Ich bin eigen mit meinen Modellen, ich schenke nicht gern eins weg. Besonders von dem grünen Schienenbus, der es ihr so angetan hat, einem Einzelstück, das selten ist, möchte ich mich nicht trennen. Ich öffne die Tischschublade, hole eine schwere weiße Serviette heraus und reiche sie Yvonne wortlos hin. Sie nimmt sie und wischt sich mit ihr den Schweiß von der Stirn.

      »Du hast Milch am Hals.«

      »Echt?« Sie lächelt mich abschätzig an. Wirft dann die Serviette zurück, aber zu hoch, so dass sie hinter mir auf den Boden fällt, und reibt sich mit beiden Händen die weißen Tropfen in die Haut. Greift auch in ihren Ausschnitt und zieht dazu die Nase kraus.

      »Kuhmilch is jut für die Haut. He Eddi, schenkste mir die Ferkel-Taxe?«

      »Ich glaube, du wolltest mir ’n paar Sachen geben.«

      »Kommt hin.« Sie stürmt ins Wohnzimmer und erscheint gleich darauf mit ihrer Tasche; sie öffnet den Beutel und entnimmt ihm einen mit rotem Gummiband zusammengehaltenen Stoß kleiner Papiere und Sächelchen. Den reicht sie mir. Ich zögere, bevor ich zugreife. Denn es kommt mir nicht so vor, als ob das da der Inhalt meiner Brieftasche sei.

      »Nu nimm schon.«

      Schaden kann’s ja nicht, wenn ich das Zeug mal mustere. Tatsächlich, da ist sie, meine Meldebestätigung. Und die Quittung von der Reinigung, der Videothekausweis, die Bahn-Card. Nach ein paar Fahrscheinen, Visitenkarten, Einkaufszetteln, originalverpackten Kondomen, Streichholzbriefchen und Supermarktbons, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, stoße ich erfreut auf meine grüne Zehnerkarte. Aber das war’s dann. Das wichtigste Dokument, mein Personalausweis, fehlt. Und natürlich die Kreditkarten. Aber die sind längst gesperrt.

      »Was ist das?«

      »’n Präser, Eddi.«

      »Ich meine: Wo ist mein Ausweis?«

      »Wat denn für’n Ausweis?«

      »Das weißt du genau. Dies kleine Plastikding...«

      »War nicht dabei.«

      »O doch, bestimmt.«

      »Dann wär’s jetzt hier bei dem Jelumpe.«

      Wie sie das sagt - als sei sie felsenfest davon überzeugt, dass ein Mensch wie ich nie und nimmer würdig sei, einen Personalausweis bei sich zu fuhren. Ich werde auf einmal stinkwütend. Was erlaubt sich dieses Balg?

      »Ich will auch die Brieftasche wiederhaben!«

      »Jeschenk von deiner Tussi, wa?«

      »Also her damit!«

      »Wozu haste die Präser dabei? Machste’s mit Nutten?«

      »Die Dinger sind nicht aus meiner Brieftasche.«

      »Wat schämste dir, Eddi? Is doch menschlich. Und besser mit Jummi als blank. Is besser für’t Wohlbefinden.«

      »Halt die Klappe! Sag mir lieber, wo ich Karli Maaßen finden kann und zwar sofort, oder ich mach weiter.« Ja, ich habe mir ihr Handgelenk gegriffen, über den Tisch weg, bin danach aufgesprungen, zu ihr hin und drehe ihr jetzt den Arm auf dem Rücken um. Sie japst vor Überraschung und fängt an zu keuchen. Sie setzt ihre Beine ein und hackt mit ihrem Knie nach meinem Schritt, den sie nur knapp verfehlt. Gleich tritt sie mit dem Ballen hinterher, doch ich bin schon ausgewichen, und die Wucht, mit der sie mich treffen wollte, bringt ihren Stuhl ins Wackeln, er kippt krachend hintenüber. Ich geh mit zu Boden, denn ich habe ihren Arm nicht losgelassen. Ihr Kopf landet auf meiner freien Hand. Sie kann sich nichts getan haben.

      »Det


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