Mycrofts Auftrag. Beate Baum

Mycrofts Auftrag - Beate Baum


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den Fliesen war es zu kalt, dachte John. Laut sagte er: »Also das ist es wieder, die Langeweile? Verdammt, warum hast du mich nicht angerufen?« Er wusste, dass sich der Detektiv früher in Phasen ohne interessante Fälle durch Drogen abgelenkt hatte. Er hatte damit aufgehört, als sie zusammenwohnten und er sich die spannendsten Verbrechen zur Aufklärung aussuchen konnte.

      Mit einer mühelosen Bewegung, als sei er wieder völlig hergestellt, drückte Sherlock sich auf die Arbeitsplatte hoch, saß dort mit baumelnden Beinen. »Nicht die Langeweile. Schlafstörungen, das habe ich doch gerade gesagt. Heroin ist nun einmal das beste Schlafmittel, das es gibt, das wird dir jeder Pharmazeut bestätigen.«

      Nicht darauf eingehen, hielt John sich zurück. Er will dich provozieren. Dich und Ettie. Die Pathologin, die mit dem Schnelltest fertig war, schaffte es ebenfalls, mit kalter Ruhe zu reagieren, obwohl John ihr ansah, dass sie Sherlock am liebsten geohrfeigt hätte: »Reines Heroin vielleicht. Aber diese Cocktails, die Sie auf der Straße kriegen, ganz bestimmt nicht.«

      Touché, dachte John, als Ethel sich an ihn wandte: »Vorwiegend Ketamin. Das war ohne aufwändigere Verfahren herauszufiltern.«

      John nickte. Genau das hatte er von der Kollegin wissen wollen: Welche Drogen noch im Körper des Freundes zirkulierten. »Können Sie ein Bett hier auf der Entgiftungsstation bekommen?«

      Sie hatten es geschafft, Sherlock Holmes aus der Fassung zu bringen. Er gab nur ein empörtes Geräusch von sich, während Ethel schon auf der entsprechenden Station anrief und um einen Gefallen bat.

      *

      Er war todmüde. Die Digitaluhr in Sherlocks Schlafzimmer zeigte 01.59 Uhr. Bereits im Taxi zurück in die Baker Street hatte John Mary angerufen und ihr erklärt, dass er in dieser Nacht nicht nach Hause kommen würde. Sie hatte voller Verständnis und Liebe reagiert, besorgt um Sherlock und um ihn. Manchmal fragte er sich wirklich, wie er es geschafft hatte, diese wunderbare Frau zu finden und womit er sie verdiente.

      Aber er konnte noch nicht schlafen gehen. Die Kollegen im Barts würden Sherlock nicht länger als eine Nacht dort behalten. Er war eigentlich nicht zugedröhnt genug für die Entgiftungsstation und Suizidgefahr schien nicht gegeben. Wenn überhaupt, dann Gefahr für andere. John verzog den Mund zu einem bitteren Grinsen. Wie ein sprungbereiter Tiger hatte Sherlock vor ihm gestanden, als er ihn zu der Station führen wollte. John hatte ihm angesehen, welche Selbstbeherrschung es ihn kostete, ihn nicht körperlich anzugreifen. Die Wirkung des Heroin-Anteils an dem Drogen-Cocktail war verpufft und damit setzte bereits ein Entzugszustand ein. Die Folge: erhöhte Aggressionsbereitschaft. John hatte der diensthabenden Schwester versichert, vor dem Schichtwechsel um sieben Uhr wieder dort zu sein und den Patienten, dessen Namen nach Möglichkeit niemand erfahren sollte, mitzunehmen. Also musste er jetzt die Wohnung durchsuchen.

      Bereits der erste Griff in die Sockenschublade ließ ihn frustriert aufseufzen. Vielleicht sollte er doch besser schnell noch ein Telefonat führen.

      »John. Was ist mit Sherlock?« Trotz der späten – oder frühen – Stunde klang Mycroft Holmes wie immer: komplett ruhig, beherrscht und wissend.

      Tief im Inneren war John auf Sherlocks Bruder fast noch wütender als auf seinen Freund selbst, weil er die ganze Zeit eingeweiht gewesen war und Sherlock unterstützt hatte. Aber seine eigenen Gefühle musste er nun hintenan stellen. Er gab dem älteren Holmes einen kurzen Bericht über Sherlocks Verfassung.

      »Vielen Dank für die Benachrichtigung«, lautete die Reaktion. »Ich schlage vor, wir treffen uns um kurz vor sieben im St Bartholomew’s. Ich bringe eine Liste von in Frage kommenden Einrichtungen mit. Ich würde es dann Ihnen als Arzt überlassen, eine auszuwählen. Dieses Mal.«

      Bevor John noch etwas entgegnen konnte, hatte Mycroft Holmes das Gespräch beendet.

      »Dieses Mal«, schwirrte es in Johns Kopf herum, während er sich zugleich aufregte, wie der nächste Angehörige so ruhig bleiben konnte bei solch einer Nachricht.

      Um kurz vor drei, nachdem er in etwa den Wochenvorrat eines hochgradig süchtigen Junkies in der Wohnung geborgen hatte – wobei Sherlock sich nicht einmal große Mühe mit den Verstecken gegeben hatte –, stellte er den Wecker auf sechs Uhr, zog sich aus und kroch in Sherlocks Bett. Er war zu erschlagen, es noch in sein ehemaliges Zimmer zu schaffen und dort das Bett zu beziehen.

      *

      Trotz der frühen Stunde und obwohl auch er nicht viel Schlaf bekommen haben konnte, sah Mycroft Holmes aus wie immer: Jedes einzelne der dünnen, kurzgeschnittenen Haare lag perfekt an seinem Platz, das rundliche Kinn war makellos rasiert und an dem maßgeschneiderten dreiteiligen Nadelstreifenanzug gab es keine falsch sitzende Falte, auf den handgenähten Lederschuhen kein Staubkorn. Eine Hand ruhte auf dem Griff des Stockschirms, ohne den er – selbst an einem strahlenden Sommertag – nicht das Haus verließ.

      Er stand im Flur und überreichte John, der verschlafen heranstolperte, zwei bedruckte DIN-A4-Seiten, schaute dann fragend zur Zimmertür. John nickte und räusperte sich kurz; Mycroft hob seinen Schirm an, klopfte damit gegen das Holz und öffnete die Tür.

      Zum Glück lagen in dem Raum, der Platz für acht Betten bot, nur zwei weitere Männer. Hinter den jeweiligen Vorhängen konnte man leise, gequälte Geräusche erahnen.

      Die Luft war stickig, der Geruch eine unappetitliche Mischung aus kaltem Rauch, Desinfektionsmitteln, Schweiß und anderen Körperflüssigkeiten.

      Der Vorhang an Sherlocks Bett war zurückgezogen und seine grauen Augen funkelten ihnen aus dem bleichen Gesicht mit den mehr denn je hervorstehenden Wangenknochen entgegen. Er war hellwach und wirkte äußerst aufgebracht. Auf dem Nachttisch sah John ein Tablett mit einem unberührten Frühstück. Unbehaglich warf er einen Blick auf die Blätter in seiner Hand. Es schien sich um Kurzbeschreibungen exklusiver Privatkliniken zu handeln.

      »Reicht es nicht, dass du mich nötigst, die Nacht hier zu verbringen?«, fuhr Sherlock ihn mit schneidender Stimme an. »Musst du auch noch meinen Bruder anschleppen?«

      »Guten Morgen, Sherlock«, schaltete Mycroft sich ein und wieder einmal fragte sich John, wie der Mann es schaffte, seine Stimme gleichzeitig aufrichtig freundlich und komplett herablassend klingen zu lassen. »Ja, ich denke, das musste er. Immerhin habe ich ein wenig Erfahrung mit deinen Drogen-Eskapaden.«

      »Drogen-Eskapaden! Wer von uns ist jetzt theatralisch?«, schnappte Sherlock zurück. »Ich habe kein Drogen-Problem. Ich behandele meine Schlafbeschwerden.«

      »Mit deiner ganz eigenen Therapie, die du aus Afghanistan mitgebracht hast, ich weiß«, entgegnete Mycroft.

      Sherlock biss sich auf die Unterlippe.

      »Ich habe mir das seit deiner Rückkehr angeschaut, aber anscheinend hast du es nicht im Griff, Bruderherz. Also scheint doch wieder eine Intervention angeraten.«

      Während Sherlock Mycroft stumm und finster anstarrte, stellte John fest, dass sein Freund unter keinen schlimmen Entzugserscheinungen litt. Die Pupillen waren vergrößert, das war eine normale Reaktion des Körpers auf das ausbleibende Gift, und auf der Stirn glänzte ein leichter Schweißfilm. Er schien jedoch nicht zu frieren und auch die Hände zitterten nicht.

      Aber da war dieser riesige Drogenvorrat, den er gefunden hatte. Wieder einmal räusperte er sich, um etwas zu sagen, Mycroft kam ihm jedoch zuvor.

      »Ich überlasse das dieses Mal John, Sherlock. Er wird die Einrichtung auswählen, in die du dich unverzüglich begeben wirst. Ich erwarte vollständige Kooperation von deiner Seite, ist das klar?«

      »Sonst?«, zischte der Jüngere. »Ich bin keine 15 mehr, du kannst mir nicht mehr drohen. Außerdem soll ich für dich einen Fall aufklären, erinnere dich.«

      Mycroft wandte sich bereits zum Gehen. »Davon, mein lieber Bruder, bist du selbstverständlich auf der Stelle entbunden. In der Angelegenheit kann ich es nun wahrhaftig nicht brauchen, dass du benebelt oder mit den Gedanken bei dem nächsten Schuss, den du brauchst, durch die Gegend stolperst. Von Detective Inspector Lestrade wirst du auch keine Fälle bekommen, solange du nicht wieder längere Zeit anhaltend clean bist.«

      Er


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