Vitamin K2. Josef Pies

Vitamin K2 - Josef Pies


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Ein Vitamin-K2-Mangel ist hingegen weitverbreitet, macht sich aber erst langfristig bemerkbar, beispielsweise durch Knochenbrüche infolge eines zunehmenden Knochenabbaus oder durch einen Herzinfarkt infolge schleichender Arterienverkalkung.

      Warum das so ist und was es mit dem sogenannten „Kalzium-Paradoxon“ auf sich hat, das wird in den folgenden Kapiteln erläutert. Aber auch die vielen anderen Aspekte rund um das ungleiche Vitaminpaar K1 und K2 werden erläutert.

      Wie erwähnt, sind viele Erkenntnisse brandneu und das Wissen – insbesondere um die Bedeutung von Vitamin K2 –, ist aktuell sehr stark im Fluss. Deshalb kann ein Buch zu diesem Thema in einigen Teilen unter Umständen schon überholt sein, wenn es erscheint. Das gilt auch für den vorliegenden Titel. Trotzdem sind Autor und Verlag sehr zuversichtlich, Ihnen ein gutes Verständnis für das altbekannte Vitamin K1 und seinen Zwilling, das faszinierende Vitamin K2, vermitteln zu können. Auch sind wir sicher, dass nach Lektüre des Buches Ihr Blick für solche Lebensmittel geschärft sein wird, die den Bedarf an Vitamin K2 decken helfen. Ganz sicher wird das Thema in den nächsten Jahren noch stärker an Bedeutung gewinnen und Gegenstand weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen sein. Zugleich wird es immer stärker in das öffentliche Bewusstsein rücken. Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie hierauf vorbereitet sein und das notwendige Verständnis mitbringen, neue Erkenntnisse bewerten und einordnen zu können.

      Ich danke dem VAK-Verlag sehr herzlich für die Idee zu diesem Buch. Frau Nadine Britsch hat die Realisierung wieder einmal sehr professionell und engagiert als Lektorin begleitet. Ihr danke ich für die sehr konstruktive und angenehme Zusammenarbeit.

      Dr. Josef Pies

      Manchmal liegt die Wahrheit zum Greifen nah und doch dauert es Jahrzehnte, bis sie erkannt wird. So verhält es sich auch mit der Entdeckungsgeschichte von Vitamin K2. Zwar wurden Vitamin K1 und K2 mehr oder weniger gleichzeitig in den 1930er-Jahren entdeckt. Die Wissenschaft betrachtete beide jahrzehntelang aber nur als zwei unterschiedliche Varianten desselben Vitamins mit ein und derselben Funktion, nämlich der Regulierung der Blutgerinnung. Während die Beschäftigung mit Vitamin K1 eine Lawine von Forschungen nach sich zog und 1943 zur Verleihung des Nobelpreises führte (zur Entdeckung von Vitamin K1 vgl. beispielsweise ausführlich Suttie 2009), blieb die zweite Entdeckungsgeschichte bis heute weitgehend unbeachtet (zur Entdeckung von Vitamin K2 vgl. ausführlich Masterjohn 2009 und Rhéaume-Bleu 2012). Erst allmählich beginnt man zu verstehen, dass sich die Aufgaben der beiden Vitamine K1 und K2 ganz wesentlich unterscheiden und nur leicht überschneiden.

      Da Vitamin K2 von der Wissenschaft jahrzehntelang sehr stiefmütterlich behandelt wurde, wird in vielen Veröffentlichungen meistens pauschal von Vitamin K gesprochen, auch wenn sich nach heutigem Wissensstand manche Aussagen eher auf Vitamin K2 beziehen. Das erschwert die Interpretation früherer Studienergebnisse oft sehr, was sich auch in diesem Buch wiederspiegelt. In solchen unklaren Fällen wird in den folgenden Kapiteln dann ganz bewusst nur von Vitamin K gesprochen.

       Vitamin K1 – Wissenschaftlicher Wettlauf im Labor

      Den ersten Hinweis auf Vitamin K fand der dänische Wissenschaftler Henrik Carl Peter Dam (1895–1976) im Jahr 1934 bei seinen Forschungen zum Cholesterinstoffwechsel bei Hühnern. Dabei entdeckte er eine Mangelerkrankung, die tödliche Blutungen der Haut und der Muskeln auslöst (Dam 1934). Er erkannte, dass die gestörte Blutgerinnung (Details zur Blutgerinnung vgl. Kapitel Die Rolle von Vitamin K1 bei der Blutgerinnung) seiner Versuchstiere auf das Fehlen eines bis dahin noch nicht bekannten fettlöslichen Vitamins zurückging. Er nannte es Vitamin K (Dam 1935), weil dies der erste Buchstabe im Alphabet ist, nach dem noch kein Vitamin benannt worden war und weil es der Anfangsbuchstabe des Wortes „Koagulation“ (Blutgerinnung) ist.

      Dams Entdeckung löste einen wahren Boom an wissenschaftlichen Veröffentlichungen verschiedener Arbeitsgruppen über Vitamin K aus (vergleiche Suttie 2009). Damals kannte man aus der großen Schar der an der Blutgerinnungskaskade beteiligten Proteine und anderen Faktoren nur das Prothrombin und das Fibrinogen.

      Erst allmählich beginnt man zu verstehen, dass sich die Aufgaben der beiden Vitamine K1 und K2 ganz wesentlich voneinander unterscheiden.

      Schon Anfang der 1940er-Jahre wusste man, dass sich die bei manchen Neugeborenen auftretende lebensbedrohliche Blutungsneigung (Morbus haemorrhagicus neonatorum) durch die Gabe von Vitamin K behandeln lässt (vgl. Kapitel Vitamin-K-Mangel). Anfang der 1950er-Jahre konnte die Bedeutung der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren VII, IX und X nachgewiesen werden. Zwanzig Jahre später wurde die Bedeutung von Vitamin K als Cofaktor bei der Aktivierung von Proteinen erkannt (vgl. Kapitel Ein Aktivierungsprinzip mit unterschiedlichen Folgen) und weitere fünf Jahre später wurden weitere, von Vitamin K abhängige Eiweiße entdeckt.

      Wie erwähnt, hatte 1939 ein Wettlauf in der Entdeckung des neuen Vitamins eingesetzt und verschiedene Arbeitsgruppen versuchten, sich bei der Isolierung und der chemischen Analyse und Beschreibung zu übertreffen. Als Quelle für Vitamin K dienten die Futterpflanze Luzerne (Alfalfa) und gereinigtes Fischmehl. Zwar erkannte man schon damals einen Unterschied in dem gelben Öl aus der Luzerne (Vitamin K1) und dem kristallinen Fischmehlextrakt (Vitamin K2), aber noch jahrzehntelang wurde dies weitgehend ignoriert beziehungsweise nur unzureichend differenziert. Außerdem hatte man aus Bakterien (Mycobacterium tuberculosis) Phthiol isoliert, das ebenfalls blutungsstillend wirkt. Auf die Bedeutung von Bakterien für die Bildung von Vitamin K2 kommen wir später noch ausführlich zurück (vgl. Kapitel Woher kommt Vitamin K?).

      Besonders herausragend auf dem Gebiet der Vitamin-K-Forschung waren der Entdecker Carl Peter Henrik Dam (1895–1976), Edward Adalbert Doisy (1893–1986) und Herman James Almquist (1903–1994). Allerdings wurden nur die Leistungen von Dam „für die Entdeckung von Vitamin K“ und von Doisy „für seine Entdeckung der chemischen Natur von Vitamin K“ 1943 mit der Verleihung des Nobelpreises für Physiologie bzw. Medizin gewürdigt.

      Häufig wird nicht ausreichend zwischen Vitamin K1 und Vitamin K2 unterschieden.

      Seit den 1960er- und 1970er-Jahren gelang es dann zunehmend, Funktion und Wirkungsweise von Vitamin K (vorwiegend Vitamin K1) aufzudecken. Und dieser Erkenntnisprozess dauert noch bis heute an. Wie erwähnt, wurde und wird häufig nicht ausreichend zwischen Vitamin K1 und Vitamin K2 unterschieden, obwohl man schon 1939 beide Varianten kannte (Thayer et al. 1939).

       Vitamin K2 – Empirische Grundlagenforschung eines Zahnarztes

      Ganz neu ist auch die Erkenntnis, dass die Beobachtungen und Schlussfolgerungen des niedergelassenen Zahnarztes Dr. Weston Andrew Valleau Price (1870–1948) ebenfalls mit Vitamin K, nämlich mit Vitamin K2, in Zusammenhang stehen.

      Price, der „Charles Darwin der Ernährung“, stammte aus Newburgh, Ontario, und praktizierte seit etwa 1890 fünfzig Jahre lang in Cleveland, Ohio, als Zahnarzt. Er untersuchte die Ursache von Karies und chronischen Erkrankungen (vgl. hierzu Masterjohn 2009, Price 2010, Price 2011 und Rhéaume-Bleu 2012). Dafür bereiste er zusammen mit seiner Ehefrau die ganze Welt, um insbesondere den Einfluss von bearbeiteter „moderner“ Nahrung auf Karies und andere Zivilisationskrankheiten zu erforschen. Auf seinen teils abenteuerlichen Expeditionen machte er beispielsweise die Erfahrung, dass Menschen in weitgehend unbeeinflussten Gegenden mit noch natürlichen Ernährungsgewohnheiten ein tadelloses Gebiss und symmetrische, ausgewogene Gesichtszüge und Gesichtsproportionen aufwiesen. Kamen solche Naturvölker jedoch mit der Zivilisation in Berührung und stellten sie ihre Ernährung auf stark bearbeitete Nahrungsmittel um, verloren sie ihre natürliche Widerstandskraft und die ab diesem Zeitpunkt geborenen Kinder zeigten nicht mehr die ausgewogenen Gesichtszüge ihrer Eltern, sondern starke Fehlstellungen der Zähne.

      Diese Fehlstellung lässt sich dadurch erklären, dass es durch Mangelernährung (Mangel an Vitamin K2) zu einer falschen


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