Moderne Tauchmedizin. Kay Tetzlaff

Moderne Tauchmedizin - Kay  Tetzlaff


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bei dem Patienten Beinnahertrinken mit schwerer Hypothermie. Aus technischen Gründen ist die Bestimmung der Kernkörpertemperatur nicht möglich. Der Tauchanzug ist in der oberen Körperhälfte jetzt aufgeschnitten. Nach 30 min erfolgloser Reanimation entschließt sich der Notarzt, den Patienten unter den im Hubschrauber extrem schwierigen Bedingungen einer fortgeführten Reanimation zum nächstgelegenen geeigneten Krankenhaus zu fliegen. Nach ca. 15 min Flugzeit und weiteren 15 min Reanimation im Krankenhaus (nunmehr insgesamt 60 min Reanimation und 135 min nach dem letzten Lebenszeichen) wird bei dem Patienten mittels Temperatursonde im Blasenkatheter die Kernkörpertemperatur ermittelt, die 36,2 °C beträgt. Damit ist keine Indikation mehr zur Fortführung der bis dahin erfolglosen Reanimation gegeben. Der Taucher wird für tot erklärt.

      Fazit: Abgesehen von der völlig desolaten Planung und Durchführung des Eistauchganges durch den Taucher und seine Partner ist festzustellen, dass der Trockenanzug in Kombination mit einer mäßigen Fettleibigkeit des Tauchers diesen vollständig vor einer Hypothermie geschützt hat. Da die Hypothermie aber nicht ausgeschlossen werden konnte, hat der Notarzt völlig richtig die Entscheidung getroffen, in der Klinik zweifelsfrei die Kernkörpertemperatur bestimmen zu lassen (… niemand ist tot, bis er warm und tot ist!).

      Tipps für Tauchlehrer

      1. Zur Vermeidung eines Hitzestaus erfolgen Aufbau und Transport des schweren Tauchgeräts in bequemer Kleidung und nicht in der prallen Sonne.

      2. Schnorcheltaucher sind auf die besondere Gefährdung durch Sonnenbrand hinzuweisen.

      3. Sonnenhut und Sonnencreme können ebenso Bestandteil einer vollständigen Tauchausrüstung sein wie ausreichender Kälteschutz (z. B. auch im Sommer unter der Temperatursprungschicht).

      4. Hochgeschlossene Neopren-Bekleidung erleichtert den Aufenthalt im kalten Wasser, ebenso nützlich sind Tauchzeitbegrenzungen, eine Thermoskanne mit warmem Wasser und zwei erste Stufen.

      5. Der Tauchlehrer sollte bei Anzeichen einer beginnenden Auskühlung seiner Tauchschüler umgehend zum Ausstieg zurücktauchen.

      6. Winddichte Jacken dürfen auch über dem nassen Neopren-Anzug getragen werden.

      7. Ein Flüssigkeitsverlust durch Schwitzen und Atmen trockener Luft (v. a. an Land) begünstigt Dekompressionserkrankungen. Eine gefüllte Trinkflasche gehört daher zur Ausrüstung vorbildlicher Tauchlehrer und fortschrittlich denkender Taucher.

      8. Alkohol hat im unmittelbaren Umfeld einer Tauchbasis und an Bord eines Tauchschiffes nichts verloren.

      Weiterführende Literatur ____________________________

      1. Bierens JJLM (Hrsg.): Handbook on drowning. Springer, Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo, 2006

      2. Edmonds C, Lowry C, Pennefather J: Diving and subaquatic medicine. Butterworth & Heinemann, Oxford, 1992

      3. European Resuscitation Council: Kreislaufstillstand unter besonderen Umständen: Elektrolytstörungen, Vergiftungen, Ertrinken, Unterkühlung, Hitzekrankheit, Asthma, Anaphylaxie, Herzchirurgie, Trauma, Schwangerschaft, Stromunfall. Sektion 8 der Leitlinien zur Reanimation 2010 des European Resuscitation Council. Notfall Rettungsmedizin 2010; 13: 679–722

      4. Gilbert M, Busund R, Skaqseth A et al.: Resuscitation from accidental hypothermia of 13.7 degrees C with circulatory arrest. Lancet 2000; 355: 375–376

      5. Oakley EH, Pethybridge RJ: The prediction of survival during cold immersion: results from The UK National Immersion Incident Survey. INM Report No. 97011, 1997

      6. Röggla M, Frossard M, Wagner A et al.: Severe accidental hypothermia with or without hemodynamic instability: rewarming without the use of extracorporeal circulation. Wien Klin Wochenschr 2002; 114: 315–320

      4 Kompression und Dekompression

       S. G. Scholz

      Im Kapitel Kompression und Dekompression werden die Grundlagen der Dekompressionstheorie sowie erfolgreiche Dekompressionsstrategien beschrieben. Ziel ist es, ein fundiertes Verständnis für die Abläufe im Körper während eines Tauchgangs zu entwickeln. Dabei wird generell auf die Herleitung der zum Teil komplexen Mathematik, insbesondere bei den Zweiphasenmodellen, verzichtet. Stattdessen sollen die den Modellen zugrunde liegenden Ideen verständlich erläutert werden.

      4.1 Dekompressionsgrundlagen

      Im Folgenden werden die wesentlichen Zusammenhänge, die für das Verständnis von Dekompression und deren Modellierung notwendig sind, kurz erläutert. Schwerpunkt bildet das Verständnis von Perfusions- und Diffusionsvorgängen zwischen Gas und Körperflüssigkeit, da diese Mechanismen die Grundlage der später beschreibenden Dekompressionsmodelle bilden.

      4.1.1 Auf- und Entsättigung

      Der grundsätzliche Mechanismus für die Dekompressionserkrankung ist das Entstehen von Gasblasen im Körpergewebe, die zu Verschlüssen der Kapillaren und damit zu Sauerstoffmangel in den Geweben, die von den betroffenen Gefäßen versorgt werden, führen können. Bereits 1670 beschrieb Robert Boyle den Effekt der Blasenbildung in Flüssigkeiten. Er zeigte, dass sich Gase unter Druck in Flüssigkeiten lösen und es bei einem plötzlichen Druckabfall zu einem Ausperlen (Blasenbildung) des Gases kommt. Nach dem Gesetz von Henry lösen sich Gase, die unter Druck stehen, in Flüssigkeiten, wobei die Menge des gelösten Gases proportional zum Partialdruck des Gases an der Flüssigkeitsoberfläche ist (s. Kap. 2, Physikalische Grundlagen). Dabei dringen Gasmoleküle, die auf die Oberfläche einer Flüssigkeit treffen, in diese Flüssigkeit ein, bis ein Gleichgewichtszustand zwischen ein- und austretenden Gasmolekülen erreicht ist (Sättigung) und in der Nettobilanz kein weiteres Gas mehr in der Flüssigkeit gelöst wird. Erst durch Erhöhen des Drucks kann wieder Gas gelöst werden. Kommt es dagegen zum Druckabfall, wechselt das bereits gelöste Gas den Aggregatzustand und geht aus der Lösung in die Gasphase über. Dies kann an der Oberfläche der Flüssigkeit geschehen oder auch innerhalb des Flüssigkeitsvolumens. Die Menge des gelösten Gases hängt von der Temperatur, der Art der Flüssigkeit und der Art des Gases ab. Zu beachten ist, dass die von Henry postulierte Proportionalität zwischen gelöster Gasmenge und Druck des Gases über der Flüssigkeitsoberfläche nur für Drücke gilt, die in der Größenordnung des Umgebungsdrucks beim Tauchen liegen (0,7–20 bar).

      Fallbeispiel. Ein Sättigungstaucher mit 80 kg Körpergewicht ist in einer Tiefe von 400 m gesättigt. Er atmet ein Gas mit 98 % He, 1 % N2 und 1 % Sauerstoff. Bei einem Umqebunqsdruck von pUmgebung = 41 bar 2 in400 m Tiefe ergeben sich folgende Partialdrücke (Teildrücke, s. Gesetz von Dalton, S. 21) (p): pHe = 40,18 bar; pN2 = 0,41 bar, p02 = 0,41 bar. Geht man davon aus, dass der Körper des Tauchers aus 60 l Wasser und 20 l Öl besteht (Löslichkeitskoeffizient [α] von He in Öl [αHe–Öl = 0,015] und Wasser [αHe–H2O = 0,009]), ergeben sich folgende Werte für die gelösten Heliummengen (QHe) im Körper: QHe–Öl = 0,015 × 20 l × 40,18 bar = 12 barl und QHe–H2O = 0,009 × 60 l × 40,18 bar = 21,7 barl. Die Gesamtlösungsmenge an Helium bei einem Umgebungsdruck von 41 bar ist demnach 33,7 barl. Bei einem plötzlichen Druckabfall auf 1 bar (Druck auf Meereshöhe) würde nahezu die gesamte gelöste Menge an Helium plötzlich ausperlen. Eine solche massive Gasblasenbildung im Organismus würde zum augenblicklichen Tod des Tauchers führen. Bereits um Zehnerpotenzen geringere Mengen Gasblasen im Körper können extreme Schädigungen verursachen.

      Bei einem Tauchgang verändern sich mit wechselnder Tauchtiefe der Umgebungsdruck und damit die Partialdrücke der Inertgase, was dazu führt, dass sich unterschiedlich viel Inertgas in den Körpergeweben löst. Als Inertgase bezeichnet man Gase, die nicht an der Reaktion im Körper teilnehmen, z. B. Stickstoff oder Helium. Diese Gase diffundieren bei einem Partialdruckgefälle in Richtung des niedrigeren Partialdrucks. Je größer diese Differenz, desto schneller wird Inertgas aus den Geweben abgegeben. Gleichzeitig reagieren unterschiedliche Gewebsgruppen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit auf eine Veränderung des Inertgaspartialdrucks (Abb 4.1). Die Geschwindigkeit für die Auf- und Entsättigung der einzelnen Gewebsgruppen wird dabei durch das Maß der Kapillarisierung und damit der Durchblutung des Kompartiments bestimmt. Stark durchblutete Gewebsgruppen, wie z. B. das Gehirn oder die Nieren, reagieren


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