Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.

Eigensinn und Bindung - Daniel Hoffmann G.


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Betrachtungen hingezogen fühlten, Vertreter der christlichen Philosophie verstärkt über eine natürliche Theologie und deren psychologische Grundlagen nachdachten.

      Grenzüberschreitendes Lob aus ehemals verfeindeten Lagern wurde der Zeitschrift anlässlich des 60. Geburtstages ihres inzwischen in der geistigen und literarischen Welt etablierten Gründers und Herausgebers zuteil, wenngleich natürlich die katholischen Pressestimmen überwogen. Neben vielen anderen gratulierten der „Osservatore Romano“ (Rom), die „Germania“ (Berlin), die „Kölnische Volkszeitung“, die „Augsburger Postzeitung“, die „Rhein-Mainische Volkszeitung“ (Frankfurt am Main), die „Bayerische Staatszeitung“ (München), die „Deutsche Rundschau“ (Berlin), die Salzburger „Katholische Kirchenzeitung“, der „Gral“, aber auch liberale und nationale Blätter wie die „Frankfurter Zeitung“ und die „Münchner Neuesten Nachrichten“. Muth hatte mit seiner freiheitlichen Konzeption viel Anklang, Zustimmung, Beifall und Bewunderung in der öffentlichen Meinung gefunden. Die „Deutsche Allgemeine Zeitung“ (Berlin), immerhin die Nachfolgerin von Bismarcks Hauspostille, der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“, schrieb: „Karl Muth hat eigentlich die neue katholische Literatur geschaffen.“ Das Blatt gab sogar die Anregung (mit der es nicht allein stand), „der Protestantismus sollte diesen 60. Geburtstag benutzen, um sämtliche Bände des Hochlands genau zu studieren und etwas Gleichwertiges zu schaffen“.12 Muths Konzeption, die innere Sammlung voranzutreiben und zugleich durch die objektive Würdigung hochstehender Werke Anerkennung nach außen zu gewinnen, war von Erfolg gekrönt. Das Klima hatte sich gewandelt. Die Inferioritätsdebatte konnte als beendet gelten.

      Dabei hatte Muth sich keineswegs der angeblichen Überlegenheit einer zum Säkularismus tendierenden nationalen Kultur gebeugt. Den säkularen Trends des mächtig ins Kulturleben hineinwirkenden Liberalismus und Säkularismus widersprach es durchaus, wenn er das Paradigma der inneren und eigentlichen Verwandtschaft von Dichtung und Religion aufstellte und sich dabei auf anerkannte Poeten wie Johann Wolfgang Goethe und Joseph von Eichendorff berief. Namentlich Eichendorff hatte die irdische Natur und Sinnlichkeit, wie sie allein von der Poesie erfasst werden konnten, als Abbilder und Chiffren einer höheren, transzendenten Welt der Religion angesehen.13 Die innere Beziehung von Poesie und Religion erschloss sich Muth zudem aus Überlegungen, die um zwei Schlüsselbegriffe kreisten: um die Freiheit und das Ideal. Er rezipierte die Idee des Philosophen und Münchener Universitätspredigers Martin Deutinger († 1864), dass die Ungezwungenheit und Freiheit künstlerischen Schaffens ihr Urbild im freien Walten der alles bewegenden Liebe Gottes fänden.14 Gemäß dieser Freiheitsvorstellung gelangte Muth auch zur Würdigung des weiblichen Elements in der Dichtkunst, träten in diesem doch spezifische Qualitäten hervor, eine dem einseitig ausgerichteten männlichen Intellekt überlegene Einfühlsamkeit, Ausgeglichenheit und Vielseitigkeit.15

      Sodann lagen der Religion wie der Poesie „ideale Prinzipien“ zu Grunde; beide Welten teilten die Ausrichtung auf ein objektiv Vorgegebenes, in der Religion fassbar als die „objektive Welt des Glaubens“, in der Poesie als die objekthaft antreffbare Schönheit und Mannigfaltigkeit der Natur, der Welt und des Lebens. Die Orientierung am „Objektiven“, das letztlich auf die Gottnatur zurückverwies, war damals Allgemeinbesitz des katholischen Denkens. Entsprechend zog Muth die in seinen Augen mehr an objektiven Kategorien ausgerichtete Klassik dem Subjektivismus der Romantik vor. Diese idealistische Sichtweise wurde nur von der Erwägung unterstrichen, dass auch die „subjektivistische Lebensstimmung“ der Romantik der Idee der Einheit nicht habe entraten können, denn einige ihrer Vertreter hätten sie in der Epoche des Mittelalters kristallisiert gesehen.16

      Muths eindringlich-behutsame, von großer Belesenheit zeugende und stilistisch hervorragende Interpretationsversuche, Goethe als einen vom Christentum beeinflussten Dichter und Denker zu verstehen, sind von der Fachgermanistik nie gebührend gewürdigt worden. Der Pfad dieser Interpretation war erst zu beschreiten, wenn das vordergründig-prüde Sittenrichtertum aufhörte, das bisher allzu oft die katholische Annäherung an den Weimarer Dichterfürsten bestimmt oder besser: verhindert hatte. Die hohe Auffassung von der Natur, die Goethe hegte, wird von Muth gemäß seiner die Religion und Poesie verbindenden, die Poesie auf die gottgewollte Natur gründenden Auffassung interpretiert, also nicht auf Neuheidentum oder Pantheismus zurückgeführt. Mehr noch: Goethes hohes Lebensgefühl steht für Muth keineswegs im Gegensatz zu dem diese Welt angeblich nur in ihrer Vorläufigkeit und Sündhaftigkeit zulassenden christlichen Glauben. Goethe habe vielmehr das übertriebene, ihn wegen seiner Begegnung mit dem Pietismus in jungen Jahren belastende „Memento mori“ hinter sich gelassen und sich dem entgegengesetzten Pol christlichen Lebens genähert, dem aus der kraftvollen Überwindung des Leidens, der Entsagung und der Todesfurcht resultierenden Aufschwung zum „Memento vivere“, zum schließlichen Sieg des Lebens über den Tod. Goethe „wollte in der Religion als dem höchsten Leben schon hienieden keinen Glauben des Verzichts, sondern der Aneignung, der Bereicherung, der höchsten Bejahung sehen“. Damit erfasste er die „christliche Religion“ ihrer „großen Idee“ nach: Ist sie doch – „richtig verstanden – die Religion höchster Kraft, intensivsten Lebens, freudigster Zuversicht, rastlosen Wirkens, beglückender Lichtfülle“.17

      Politische Diskussionen

      In die Zeit der Weimarer Republik fiel das wohl bedeutsamste politische Engagement von Karl Muth. Es kam beispielhaft in einem programmatischen „Hochland“-Aufsatz zum Ausdruck, der den aufrüttelnden Titel „Res publica“ trug.18 Muth entwickelte hier nichts weniger als den Ehrgeiz, die deutschen Katholiken endgültig auf die Bahn der Aussöhnung mit der Republik und die Deutsche Zentrumspartei in die zukunftweisende Richtung der christlichen Demokratie zu lenken. Er bewegte sich damit im Rahmen konzeptioneller Erörterungen über miteinander konkurrierende Staatsdoktrinen, zu denen das „Hochland“ mehrmals Gelegenheit bot. So ließ es die Unterschiede zwischen einer liberal(istisch)en, sozialistischen und einer organisch oder thomistisch genannten Staatsidee in seinen Spalten diskutieren. Diese an das Verfahren von trial and error erinnernde Methode ist wohl aussagekräftiger für die politischen Vorstellungen der katholischen Zeitschrift als ein den Katholiken der Vor- und Zwischenkriegszeit unermüdlich von den Historikern unterstellter konservativer Korporativismus,19 der angeblich mitgeholfen habe, die Entwicklung zur Demokratie in Deutschland zu verbauen.

      Erneut ging Muth nicht von einem separierenden, sondern von einem integrierenden Denkansatz aus. Er fasste – ohne Bewährtes zu verwerfen – ein allgemeines (Reform-)Ziel ins Auge. Ihm schwebte, zugleich mit der Erneuerung der Gesellschaft gemäß den Erfordernissen der gewandelten Nachkriegszeit, die Überwindung der seit 1918/19 latent drohenden Verfassungskrise der Republik vor. Dabei richtete er sein Wort zunächst an die weiter an der Kaiserzeit hängenden Konservativen, „die nichts gelernt und nur zu viel vergessen haben“, besonders aber an die unentschiedenen „Opportunisten“, die ebenfalls Distanz zum Weimarer Staat hielten. Die nach Versailles stark erregten nationalen Gefühle berücksichtigend, verwarf er das Vorbild der Dritten Republik Frankreichs, hatte sich hier doch ein unüberwindlicher Gegensatz zwischen der Partei der atheistischen Republikaner und den vereinigten Monarchisten und Klerikalen aufgetan; nicht zuletzt auf Grund dieser Polarisierung war der Staat dann zur Beute der Radikalrepublikaner geworden. Muth proklamierte vielmehr eine andere, eine auf der eigenen Vergangenheit beruhende Konsolidierung der deutschen Republik. Im Unterschied zum Frankreich der 1870er-Jahre, das zunächst noch die Wahl zwischen einer konservativen oder demokratischen Vorherrschaft gehabt hatte, war den Deutschen 1918 nur übrig geblieben, die neue Staatsform als unabwendbare Tatsache hinzunehmen; das nannte Muth aus einer vertieft christlichen Sicht sogar eine aus „Christenpflicht“ zu bejahende göttliche Fügung; an der Staatsform war danach eigentlich nicht mehr zu rütteln.

      Was die Katholiken betraf, so hatte die Republik ihnen entscheidende Vorteile gebracht, ihnen die bisher im Prinzip vorenthaltenen „verfassungsmäßigen Freiheiten“ gewährt. Aber bedeuteten die neuen „Freiheiten“ nicht für alle Staatsbürger einen wesentlichen Fortschritt? Den kirchenpolitischen oder konfessionellen Ansatz überschreitend, forderte Muth die Besinnung auf die Freiheitstraditionen der deutschen Geschichte, auf die in deren „mittleren Zeiten“ herrschenden „jures, libertates et consuetudines“.


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