Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.

Eigensinn und Bindung - Daniel Hoffmann G.


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die Foren auf den Katholikentagen. Es gibt katholische Hochschulen, eine katholische Universität gar. Es gibt theologische Fakultäten, von denen eine stattliche Buchproduktion für die unterschiedlichsten Zielgruppen und Fassungsvermögen ausgeht. Es gibt die Görres-Gesellschaft katholischer Wissenschaftler und eine katholische „Verantwortungselite“ (wenn man Führungskräfte in der Gesellschaft denn beim Wort nehmen möchte). Es gibt ein Zentralkomitee, das fleißig Papiere zu relevanten Fragestellungen produziert. Ein großes überregionales Blatt, in dem eine Debattenkultur ihren Brennpunkt finden könnte, gibt es zwar nicht, dafür aber Zeitschriften jeglicher Schattierung. Doch gibt es in einem Land, das mit alledem so umfassend ausgestattet ist, auch katholische Intellektuelle? Soll, ja kann es sie überhaupt geben?

      In der Schwebelage

      Was eigentlich ist ein Intellektueller? Im deskriptiven wie im normativen Sinne herrscht an Antworten auf diese Frage kein Mangel. Gleichwohl sind Schwierigkeiten bei der Präzisierung des möglichen Erscheinungsbildes unbestreitbar. Ein problemgeschichtlicher Abriss von Karl Mannheim bis in die jüngsten Traktate und Untersuchungen hinein würde leicht den Nachweis erbringen, dass Versuche der Begriffsbestimmung sich von der Vorliebe, oft sogar dem impliziten Plädoyer für einen gewissen Phänotyp nie ganz freizuhalten vermögen. So auch nachfolgende Bemerkungen.

      Im Intellektuellen kreuzen sich die Vollzüge von Neugierde, Beobachtung, Analyse und Kritik. Er bevorzugt die Reflexion, ist also zunächst Denker, kein (oder nur in selteneren Fällen) Täter. Seine Interventionen stützen sich allein auf die ihm zur Verfügung stehende Macht des Geistes und des Wortes. Im darin offensichtlichen Dilemma liegt zugleich jedoch auch eine Stärke begründet. Mannigfaltige geschichtliche Wandlungen hat der Intellektuelle als Erkenntnis fördernder und klärender Typus durchlaufen. Deswegen sind all die periodischen Versuche, ihm ein „Grabmal“ zu errichten,1 ihrerseits verblichen.

      Auch geht es, wenn wir die Intellektuellen betrachten, keineswegs nur um inhaltliche Kompetenzen, über die sie selbstredend verfügen, nicht nur um „einen Habitus des Wahrnehmens und Urteilens“,2 sondern mindestens ebenso sehr um charakterliche Eigenschaften, um „Tugenden“, die zu ihrer Rolle entscheidend beitragen.3 Mit ihnen gehören sie zu einer Kultur der Anregung und des Widerspruchs, welche die öffentlichen Institutionen ergänzt.4 In Frankreich zumal auf diese Weise beispielhaft anerkannt und trotz mancher Fälle von Kollaboration bei autoritären Regimes weltweit gefürchtet, war die Bezeichnung hierzulande oft durch einen anrüchigen Beiklang getrübt.5

      Nicht nur in historisch-genetischer Perspektive, sondern auch bei synchron-struktureller Betrachtung treten, den Intellektuellen betreffend, einander widerstreitende Konzeptionen und Zielvorstellungen zutage. Vom Kritiker und Propheten bis zum Verteidiger des Bestehenden sind verschiedene Alternativen auszumachen. „Häretiker“ gibt es ebenso wie „Vertreter der Orthodoxie“. Die reale Erscheinungsvielfalt zugunsten einer umfassenden begrifflichen Objektivierung aller Typen entwirren zu wollen, wäre illusorisch. Einen aktuellen Gegensatz auf den groben Nenner gebracht, ließe sich die aufklärerische, universalistisch-vernünftige, von einer postmodernen Geisteshaltung unterscheiden, die vernunftkritisch ist sowie auf die Unhintergehbarkeit pluraler, partieller und provisorischer Wahrheitsformen verweist, welche nebeneinander bestehen können.

      Intellektuelle sind artikulationsmächtige kulturelle Deuter, deren Wortmeldungen Aufmerksamkeit finden und manchmal sogar dem Zeitgeist ihren Stempel aufzudrücken vermögen. Es sind – mag sein: über Umwege – meinungsführende Eliten, stilprägende Kommunikatoren, auch Schrittmacher bisweilen: kurz, Menschen, die Interpretationen vornehmen und Trends setzen oder diesen den Konsens aufkündigen. Zuweilen gelingt ihnen Seismographisches: hinter einzelnen Ereignissen die verborgene Anatomie ihrer Gegenwart freizulegen.

      Nicht bloß verschiedenartige Temperamente gibt es unter den Intellektuellen. Ihrer Ausstattung nach muten sie wie Zwitterwesen an: Kälte und Leidenschaft vereinen sie, sind konfliktfreudig und verletzlich, zu Besonnenheit ebenso imstande wie zu Entrüstung. Wenn es sein muss, werden sie zu Störenfrieden, die sich auch durch altbekannte Vorwürfe, wie die der bloßen Aufgeregtheit, der Besserwisserei oder der Praxisferne, nicht einschüchtern lassen. Gegen unbefragte Arrangements, schlichtes Desinteresse oder eingeschliffene Zynismen beziehen sie Stellung. Wo Diskursfeindlichkeit salonfähig zu werden beginnt, bestehen sie auf dem Frevel des kritischen, Übereinkünfte, Verordnungen oder Denkfaulheiten in Frage stellenden Blicks. Bei alledem zeichnet sie nicht nur die Bereitschaft aus, sich zu exponieren, sondern dabei auch gängige Fronten zu unterlaufen und gegen festgefahrene oder „korrekte“ Argumentationsmuster zu verstoßen. Jedenfalls äußern sie sich nicht immer so, wie man es von ihnen erwartet. Gern bevorzugen sie die Orientierung am sokratischen Modell des geistigen „Geburtshelfers“.6

      Auch wenn es in Zeiten der Wertediffusion schwerer geworden sein mag, argumentieren Intellektuelle auf der Grundlage bestimmter Normen und Maßstäbe, wonach die Zustände zu beurteilen wären, stellen sie aktuelle Ereignisse und Entwicklungen in den Horizont übergreifender Prinzipien. Doch obschon sie Überzeugungen haben, sind sie – selbst wenn wir wissen, dass dies keineswegs immer so war – die geborenen Gegenspieler von Ideologen. Unabhängigkeit in Aufrichtigkeit, ganz im Sinne von Friedrich Nietzsches Postulat des „intellectualen Gewissens“:7 Auf dieses Bemühen liefe ihre Existenz hinaus, in ihm besteht deren Würde.

      Der Begriff der „Geschlossenheit“ ist im intellektuellen Vokabular eher ein Fremdwort. Mit Recht pflegt man demgegenüber das „Risiko des eigenen Denkens und Urteilens“ hervorzuheben.8 Die Arbeit der Intellektuellen besteht jedenfalls nicht in einer bloßen Verdoppelung des Gängigen oder Gefälligen, sondern zumindest in seiner Anreicherung. Denkverbote, gleich von welcher Seite diese aufgerichtet werden, fordern sie grundsätzlich heraus. Gegen Verdrängungen leisten sie Erinnerungshilfen. Ebenso sind sie Liebhaber von Experimenten. Als Spezialisten für Irritation verstehen sie im Kampf um öffentliche Aufmerksamkeit ihren Ärger über den Gang der Dinge auch einmal pointiert oder schrill zu äußern, wenn die Sache es erfordert – wobei sie gewärtig sein sollten, dass Provokationen sich leicht abnützen. Auf manches, was schon bekannt sein mag, fällt durch ihre Zuspitzung ein neues Licht.

      Ohne darüber in Selbstgenuss zu verfallen, haben Intellektuelle keine Angst, notfalls gegen den Strom zu schwimmen. Sie sind mögliche Außenseiter, auch Dissidenten, manchmal Querköpfe, dabei in jedem Falle nie ohne das Bewusstsein auch für ihre persönlichen Fragwürdigkeiten. Pier Paolo Pasolini hat eine der sinnigsten Metaphern dafür gefunden. Ihm zufolge turnen die Intellektuellen als geistige „Freibeuter“9 in der Takelage von Politik, Gesellschaft und Kultur herum: ungebunden, ungesichert, ungezähmt.

      Auch wenn sie bisweilen gemeinsam für etwas eintreten, handelt es sich bei ihnen letztlich doch um Einzelne – weniger im Sinne der Individualisierungstheorie der Sozialwissenschaften, als in dem älterer Traditionen. Ihr Eigensinn reagiert auf eine Entwicklung, die John Stuart Mill im embryonalen Zustand der Moderne bereits für starke, selbstbewusste, innerlich freie Persönlichkeiten plädieren ließ, die dem Druck der geistigen Vereinheitlichung standhalten. „In diesem Zeitalter“, schreibt er in „Über Freiheit“ (1859), „tut schon das bloße Beispiel von Nonkonformität, die bloße Weigerung, das Knie vor der Gewohnheit zu beugen, einen Dienst. Gerade weil die Tyrannei der öffentlichen Meinung derart groß ist, dass sie die Exzentrizität zu einem Makel macht, ist es wünschenswert, dass Menschen, um diese Tyrannei zu brechen, exzentrisch sind.“10 Die Koordinaten dessen, wogegen man quer denkt, vermögen natürlich je nach situativem Erfordernis immer neu ausgerichtet zu werden.

      Oft haben Intellektuelle eine öffentliche Präsenz. Um sie herum entstehen Diskussionen. Nicht zu verwechseln ist dies mit bloßer Aufmerksamkeit in den Medien. Intellektuelle sind keine allzeit bereiten Bewerter, die in eines der heute immer irgendwo offenen Mikrophone reden und sich zu Instant-Kommentaren hergeben. Angesichts der Beschleunigung öffentlicher Wahrnehmung in jenem großen Medienverbund, zu dem die Gesellschaft mutiert ist, und insofern der Sphäre gerade der elektronischen Kommunikationsmittel ein Hang zur kurzen Haltbarkeit, zum Indifferentismus und zur Banalisierung inne wohnt, haben sich die Bedingungen für den Typus unverkennbar erschwert.

      Ein


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