Mit der Kraft zu lieben. David V Tulman

Mit der Kraft zu lieben - David V Tulman


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wie es damals Mode war. Und dann kam sehr viel Papier und immer noch und noch weißes Seidenpapier, aber endlich, ganz tief in der Mitte, sehr beschützt lag etwas ... es war eine kleine Thora! Eine wirkliche Thora-Rolle auf Pergament geschrieben, eine wahrhaftige heilige, handgeschriebene Thora für mich.

      Zitternd rief ich Vater: “Papa, Papa, schau – eine wirkliche Thora!”

      Seine Augen wurden ernst, dann sah ich aber, wie er lächelte und sagte: “David, küsse sie!”

      Nie wieder habe ich um Essen gefragt, aber um die Erlaubnis, die Thora in meinen Armen tragen zu dürfen, sie dicht gegen mein Herz zu drücken, das dann vor Freude tanzte. Es war wie ein Traum.

      Für Vater wie für mich war Kurtakeszi das Dörfchen der Hoffnungen! Vater hoffte, in mir einen reinen, frommen Rabbiner für Gott zu erziehen. Ich habe es ihm mit meinem Wandel nicht leicht gemacht! Doch Vater hat mich sehr geliebt und mein späteres Suchen zutiefst verstanden.

      Doch jetzt geschah es, dass meine Schwestern, nachdem ich aus “meiner eigenen Thora” vorgelesen hatte, mich in freudiger Bewunderung und Liebe umarmten und küssten.

      Da ertönte Vaters laute Stimme: “Was soll das, diese Kindereien! David hat jetzt seine eigene Thora, es ist ihm nicht mehr erlaubt, sich mit Mädchen herumzuküssen!”

      Da fiel die ganze Verantwortung, eine Thora zu behüten, auf meine jungen Schultern und bis in meine Seele hinein. Ich fühlte den festen Druck, als die Hand des reichen Herrn sich auf meine Schulter gelegt hatte.

      “Du sollst deine Thora in Ehren als das Heiligste bewahren”, schien diese Hand gesagt zu haben. Aber diese Hand hatte auch Vertrauen zu mir gehabt.

      Bis zu Mutters Todestag haben wir Geschwister uns nicht mehr umarmt und geküsst. Die unschuldige Wärme der Kindheit und dann auch der Kontakt auf unseren Lebenswegen gingen so früh verloren.

      Ein großer Ernst war in meine Seele eingezogen: Die Verantwortung für die Thora.

      Die Herbstmanöver

      Ein Sommer voller Honigduft war vorbei, als die Herbstmanöver der österreichisch-ungarischen Armee das Leben unseres Dörfchens völlig durcheinander brachten.

      Am Morgen wurde ich wach vom Lärm der Pferdehufe, dann klirrten unsere Fensterscheiben, das kam vom Vorbeifahren der schweren Artillerie, damals schon moderne Waffengattungen.

      War es Angst oder Neugier? Ich fühlte mich zur Türschwelle hingerissen. Aber dann sah ich, wie Groß und Klein, Alt und Jung dem Militär nachliefen, die Kinder mit roten Gesichtern, die Frauen ließen ihre Röcke gefährlich hoch um die Taille tanzen, die Männer wollten glauben machen, dass sie etwas verstünden und brüsteten sich damit, ... und ich, ich schaute sie lange an und dachte mir: “Ein Gottesmensch rennt niemandem nach!” und meine Würde wuchs, wenn auch meine Füße eine ganz andere Meinung hatten.

      Vater saß ruhig an seinem Studiertisch, wie immer in die großen Bücher vertieft. Da kam glücklicherweise seine Stimme zu mir: “David, das ist für Gassenjungen, die laufen dem Militär nach. Bleib brav zu Hause, komm setz dich zu mir! Wir werden den Auszug der Söhne Israels aus Ägypten zusammen lesen. Unser jüdisches Leben ist in den heiligen Schriften! Unser Gott will es so.”

      Und wir lasen: Als das Volk Israel von seinem Sklavenlos durch Moses befreit, in die Wüste wanderte und endlich das Rote Meer erreichte, da stand es plötzlich verzweifelt am Ufer, denn es gab keinen Weg durch das Wasser und das Heer des Pharao kam herangeritten, um alle zu vernichten. Da schrie das Volk zu Moses und zu Gott: “Was hast du uns angetan? Warum hast du uns aus Ägypten geführt? Ist es nicht besser, zu dienen als in der Wüste zu sterben?”

      Vater erklärte mir: “Die Israeliten hatten damals ihr Sklavenlos noch nicht abgeschüttelt, und darum mussten sie dann vierzig Jahre durch die Wüste wandern, damit ihre Gedanken wirklich die Gedanken freier Menschen wurden.”

      Moses aber sprach: “Der Allmächtige wird für euch streiten!” Und so war es! Er spaltete das Rote Meer, um dem Volk Israel Durchlass zu gewähren! In Seinem Zorn aber ertränkte Gott in den sich schließenden Fluten die stolze Armee des Pharao.

      “David, durch den Willen und die Taten des Allmächtigen bekamen wir unsere Freiheit und bekommen wir unsere Kraft und wir geben Ihm unsere Liebe. Glaubst du, dass dieses Militär hier für uns streiten würde? Ihre Trompeten schallen nicht zur Befreiung unseres Landes! Nein, nein ... bleib bei mir und vertiefe dich in Gottes Wort, so wirst du stark werden, David, um einstmals für unser Volk zu kämpfen, um dich gegen die Ungerechtigkeiten der Menschen zu erheben.”

      Mit meinen sechs Jahren sah ich noch einen langen Weg der “Kräftigung” vor mir liegen und ich fühlte, neben Vater war mein Platz!

      Am Abend kam Rachel gelaufen, ganz aufgeregt und verzweifelt. “Frau Tulman, Frau Rabbiner, die Offiziere sind alle in unserer Herberge! Es ist kein Platz mehr frei. Wir müssen sie gut bedienen, verstehen Sie? Die Arbeit wächst mir über den Kopf. Bitte, bitte Frau Rabbiner, helfen Sie mir beim Bedienen. Die Offiziere werden sich anständig benehmen. Frau Tulman, Sie riskieren nichts. Wir werden Sie auch gut bezahlen!

      In den Bewegungen von Mutters Händen fühlte ich all ihre Bedenken. Mutter antwortete ruhig: “Glauben Sie, es wäre mein Platz?”

      “Frau Rabbiner, Ihre Kinder gehen mit abgetragenen Kleidern und laufen barfuß. Sie sind eine respektvolle Frau, niemand wird Ihnen nahe kommen! Ist es eine Sünde, seinem Nächsten zu helfen? Wir sind doch Nachbarn.” Meine Barfüße betrachtend, fand ich sie wirklich nicht sehr würdevoll.

      “Ich werde meinen Mann fragen.”

      “Schau Elie, unsere Kinder haben keine Schuhe mehr, David hat kein warmes Höschen, der Winter wird kommen! Karoline und Frieda sind die einzigen Mädchen im Dorf, die keine Ohrringe haben, und sie sind die Kinder des Rabbiners. Nicht einmal zu Ehren des Sabbats haben wir ein Stückchen Fleisch, geschweige denn ein Glas Wein auf dem Tisch. Wenn ich einer jüdischen Frau helfe, was kann es dich stören?”

      Wie ein Ungewitter grollte die Stimme Vaters: “Du willst, dass ich meine Frau in der Schenke diese Krieger bedienen lasse? Diese Männer, die nichts anderes wissen, als ihre Säbel zu meistern? Meine Frau? Ich, der Rabbiner, der Sohn, der Enkel und der Urenkel ...” Vater schien seinen Stammbaum bis zu Moses aufzuzählen.

      Ich war durchwühlt von Angst und Ehrfurcht. Es schien, als hielte Moses selbst Gericht.

      Mamme aber antwortete darauf mit fester Gelassenheit: “Wenn Gott dich mit so vielen würdigen Ahnen beschenkt hat, sei es bedankt, doch können sie eine Weise finden, um uns aus dieser Armseligkeit zu führen? Lass mir die Sorge, unsere Kinder zu kleiden.”

      Mit ruhigen Schritten verließ sie das Haus. Mutters Mut bewundernd dachte ich, sie brauche jetzt den Schutz ihres Sohnes zwischen all diesen Männern mit großen Säbeln! Ich eilte ihr nach.

      “David, geh heim! Dein Platz ist neben deinem Vater.”

      “Nein, Mamme! Ich bleibe bei dir, ich werde dich vor all diesen bösen Männern beschützen!”

      Wie kann ich nur beschreiben, was ich sah, als die Tür des Wirtshauses sich öffnete: Viele, viele Kerzen flackerten. An langen, weiß gedeckten Tischen, gehüllt in Tabakrauch, saßen lauter Könige. Sie hatten goldene Kordeln auf ihrer Brust, goldene Knöpfe, Epauletten und Hosennähte. Für mich sahen sie alle wie Kaiser Franz-Josef aus, von dem ein Bild an der Wand hing. Viele trugen wie er stolze Schnurrbärte, bei denen man die Spitzen sogar zwischen Daumen und Zeigefinger rollen konnte. Sie waren beängstigend schön! Es roch um sie herum nach Leder, nach Pferden und nach Wein.

      Meine Courage schmolz. Ich rutschte hinter Mutters Rockfalten, um unbemerkt mit ihr in die Küche zu gelangen. Mein Versteck war nicht gut; zwei große Arme eines Riesen streckten sich aus und erwischten mich bei meinem Päis.

      “Kuckt mal, was ich da erwischt habe, ein kleiner Jud!” Er hob mich hoch in die Luft, dass alle mich sahen und lachte dazu.

      “In deinen langen Locken wird es aber vor Läusen wimmeln!”

      Ich


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