Mit der Kraft zu lieben. David V Tulman

Mit der Kraft zu lieben - David V Tulman


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waren zwei Welten, die sich begegneten, doch wir wollten uns kennenlernen.

      “Warum bist du am Sonnabend nicht in der Schule? Warum kommst du nicht zum Katechismus? Warum kommt deine Familie nicht in die Kirche?”

      “Weil ich zu Hause alle Tage mit meinem Vater die heiligen Schriften studiere und am Sonntag auch.”

      Eines Sonntags hatte der Geistliche in der Kirche gesagt:

      “Die Juden haben unseren Herrn Jesus Christus an das Kreuz genagelt!”

      Die Schulkameraden wiederholten es mir. Es erfasste mich eine Mischung aus Empörung, Schreck und Hilflosigkeit; ich war ganz allein der Beschuldigte. Seit diesem Tag gingen die Kinder nicht mehr mit mir spielen, sprachen auch nicht mehr mit mir. Ich wurde mehr und mehr mit bösen Blicken angeschaut.

      “Papa, ich will nicht mehr zur Schule gehen.”

      “Und warum, David?”

      “Der Herr Lehrer hat in der Kirche gesagt, dass die Juden den Jesus Christus an das Kreuz genagelt haben und seitdem sprechen die Kinder nicht mehr mit mir.”

      Vater schaute von seinem Buch auf, mir schien, als würde er plötzlich groß und stark, seine Augen schauten weit, weit hinaus, als wenn er einen Feind kommen sähe. “David, schaue ihm in die Augen, diesem Lehrer, du wirst erleben, er wird die seinen niederschlagen. Nicht du sollst dich schämen, sondern er!” Wie gerne wäre ich auch so groß und stark geworden wie Vater. Ich versuchte, von meinem ersten Platz in der Klasse Vaters Vorschrift auszuführen. Tatsächlich, nach einem Moment des “Kampfes der Blicke” wich der Herr Lehrer meinen Augen aus! Aber ich zitterte.

      Im Geheimen beobachtete ich nun das Hineingehen und das Hinausgehen aus der Kirche. Wie kamen sie doch so feierlich mit ihren schönen, buntgestickten Kleidern und so ernst, fast als hätten sie ein schlechtes Gewissen. Beim Herauskommen gingen die Männer gleich ins Wirtshaus nebenan, kamen mit lustigem Lachen heraus zu den Frauen und Mädchen, fassten sie mit ihren Händen an. Die Mädchen kreischten und freuten sich. Vor Scham rannte ich heim. Durfte ich mir überhaupt so etwas anschauen?

      Aber wenn sie alle in ihrem Heiligtum waren, kam eine selten wunderbare Musik dort heraus. Wie konnte ich Vater erzählen, dass diese Musik mich sehr tief ergriff, als spräche der Allmächtige auf diese Weise zu den Seelen. War es ein Harmonium? Eine Orgel? Ich hatte dergleichen Instrumente nie gehört. Mit durchwühlter Seele saß ich bis spät in die Nächte hinein neben Vater, in unseren heiligen Schriften nach Antwort suchend. Waren diese Christen nicht erstaunlich unrein? Aßen das Fleisch vom Schwein, was uns streng verboten ist, aßen sogar sein Blut, worin doch die Seele lebt! Auch kochten sie das Fleisch vom Kalb in der Milch seiner eigenen Mutter und dachten darüber gar nicht nach, es schien ihnen keine Sünde zu sein. Und war es nicht ein Götzendienst, den traurigen Mann am Kreuz um Hilfe anzubeten? Was konnte der schon helfen? Warum sollten wir ihn angenagelt haben? Außerdem musste er eine sehr reiche Mutter haben, sie wurde zu manchen Feiertagen mit ihrer Krone durch das Dorf getragen.

      Wie war unsere Mutter doch dunkel und arm angezogen, und ich bemerkte, dass sie oft für Stunden das Haus verließ und dies ängstigte mich sehr. Eines Tages ließ ich mein offenes Buch auf dem Tisch liegen, um Mutter unbemerkt zu folgen. Unsere Barfüße liefen durch den sanften Staub der Erde, der sie zu streicheln schien. Wie war es gut draußen im warmen Sonnenlicht! Plötzlich verschwand Mutter in einem christlichen Hause. Mit dem Mut, sie zu beschützen, folgte ich und sah, dass Mutter mit ihren Händen die Wäsche der Unreinen wusch.

      “David, was machst du da? Du sollst doch bei Vater bleiben.”

      “Ich komme dich beschützen!”

      “Du brauchst mich nicht beschützen. Die Bauersfrauen haben mich gern. Aber es soll für Vater ein Geheimnis bleiben, dass ich draußen arbeite.”

      “Ist es erlaubt, Mamme, dass du die Kleider der Christen anrührst?”

      “Hast du etwas darüber gelesen?”

      “Nein, aber sie beten den Gekreuzigten an und seine Mutter. Es gibt auch einen Vater, eine ganze Familie! Und was werden sie machen, wenn noch mehr Kinder dazukommen? Es gibt doch nur einen Gott! Also sind sie Götzendiener.”

      “Lass sie nur auf diese ihre Bilder schauen, David, bis eines Tages der Allmächtige selbst zu ihnen sprechen wird. Vielleicht fühlen sie Ihn schon hinter diesen Bildern, wie Er alles überwacht. Auf ihren Kleidern ist nur der Staub der Erde, und der Staub der Erde ist von Gott geschaffen. Weißt du, Davidel, Jude sein ist sehr schwer. Wir haben keine Bilder, ‘Vor-Bilder’ zwischen dem Allmächtigen und uns selbst. Wir beten gleich zu Ihm. Darum müssen wir Ihn wirklich fühlen. Er ist ja überall!”

      Wie wurde alles so still und sanft neben Mamme. Wie konnte ich sie alleine lassen? Mutter erlaubte mir dann, im Brunnen das Wasser zum Spülen der Wäsche zu holen.

      Als wir abends heimkamen, stand Vater mit seinem Wanderstock in der Türe. “David, du lässt dein Buch aufgeschlagen und schleichst wie ein Dieb aus dem Haus. Welche Schande! Was wird aus dir werden? Jetzt sind es deine neugierigen Füße, die sich beschmutzen, später wird es dein ganzer Körper sein!”

      Vater hob den Stock. Im Gefühl meiner Unschuld und Mutters Geheimnis hütend, kam kein Laut aus meinem Munde.

      “Elie, du wirst ihn töten! Hast du dafür Kinder gezeugt?”

      Und da geschah es: Mit der Kraft ihrer sanften Güte nahm Mutter den Stock aus Vaters Hand. Da überfiel mich ein großer Zweifel, ob nicht Mutters sanfte Güte sogar noch schwerer zu erreichen sei als ein prachtvoller Bart der Weisheit? War Mutter nicht stärker gewesen als Vaters Zorn? Trotzdem fühlte ich, dass auch Vater mich liebte. Auf seine Art.

      Die Tage vergingen mit dem Studium der Propheten. Ich habe mit Jesaja angefangen. Ach, das war so traurig, mir kamen immer die Tränen, vor allem wenn Vater das Hebräische auf Jiddisch übersetze. Ich musste diese Sprache auch lernen. Vater erklärte: “Sie ist für alle Tage die Sprache des Volkes und wenn du einmal in die Welt gehst, kannst du dich überall mit den Juden so verständigen.”

      Mir taten aber die Juden sehr leid, die der Prophet für ihre Sünden sehr strafte, ihnen Schmerzen und Kummer weissagend. Ich fürchtete immer, was am nächsten Tag alles kommen würde ... Derweil wurde Mutter im Dörfchen bekannt. Sie befreundete sich mit den christlichen Frauen, die im Geheimen, so dass Vater es nicht merken sollte, gekommen waren, uns anzuschauen. Karoline und Frieda lernten bei Mutter Stricken, Häkeln und Sticken. Ich war für die Frauen eine Kuriosität mit meinem schwarzen Mäntelchen, Hut und weißen Strümpfen und natürlich meinen Seitenlocken! Sie haben mich aber alle lieb gewonnen. Lieb gewonnen? Das wäre vielleicht zu viel gesagt, denn ich ließ mich von niemandem anrühren, und überhaupt, wenn eine es gewagt hätte, meine Päis anzurühren, wären sie für mich entheiligt gewesen. Aber die freundlichen Frauen brachten immer ein paar Eier, Gemüse oder Milch mit und das schätzte ich sehr.

      Ein Wägelchen

      Ach, es war auch lustig in diesem Dörfchen. Es wurde mein Amt, “mit gutem Gewissen” den Mais aus der Scheune zu holen. Das war immer so eine kleine Pause vom Studium. Dort gab es viele große Mäuse. Sie waren ganz rund und vollgefressen und so träge, dass man sie einfach mit den Händen fangen konnte. Natürlich musste man ihnen zeigen, dass man nichts Böses vorhatte. Ich fand sie sehr lustig mit ihren großen runden Augen und kleinen Pfötchen.

      Beim Maisholen sah ich eines Tages ein vergessenes Spielwägelchen im Hof. Es kam mir die Idee, Mäuse davor zu spannen. Von den aufgehängten Maisgirlanden gab es manche kleine Strippenstückchen, die ich zusammensuchte, und so spannte ich etwa acht oder zehn Mäuse vor den Wagen. Sie mussten Steinchen und Maiskolben ziehen. Wenn es auch nicht geradeaus ging, sie “zogen” und das Wägelchen rollte!

      Ich war so verspielt, dass ich gar nicht merkte, wie unser Hausbesitzer zuguckte.

      “Na, David, wohin geht die Reise?”

      “Nach Kurtakeszi!”

      Da tönte Vaters Stimme von der Haustüre. “Komm herein und wasch dir die Hände!”

      Mit


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