Mit der Kraft zu lieben. David V Tulman
auch über mein Gespann gelächelt?
Es gab nur eine Moralpredigt: “Du weißt, dass es verboten ist, Tieren weh zu tun. Du weißt auch, dass du studieren sollst. Wenn du einmal groß bist, darfst du Kurtakeszi besuchen.” Vater nahm Platz am Studiertisch und schaute wieder in sein Buch. Ich ging meine Hände waschen. Diesen Mittag gab es keinen Mais am Tisch, aber ich träumte davon, Kurtakeszi einmal wiederzusehen.
Jakob und seine Söhne
Welch sonniger Freitagmorgen, als zwei Pferdegespanne, über und über vollgeladen mit lauter frommen Juden, vor unserem Haus hielten. Und was für Juden! Nur herrliche Hüte, Päis, kurze und lange Bärte, schöne Levitenröcke und strahlend frohe Gesichter!
Es klang wie eine Musik: “Chalom alechem! Chalom alechem!” Ich rannte zu Vater, um dieses Gotteswunder zu melden.
“Papa, Papa, Jakob mit seinen zwölf Söhnen ist gekommen!” Jakob war der Oberrabbiner von Szerencz, den ganz Ungarn als Wunderrabbi und Weisen verehrte. Sogar die Christen schätzten ihn. Er war mit seinen Talmudstudenten gekommen, um Vater kennenzulernen.
Kaum eingetreten, brachten die Studenten für Mutter alles, was man sich nur denken konnte, um einen herrlichen Sabbat zu feiern. Es gab großes Aufsehen im ganzen Dorf. Unser Hausbesitzer schwoll vor Stolz. Man brachte Tische, Stühle und Strohsäcke herbei, derweil der Oberrabbiner und Vater schon wie alte Freunde beisammen saßen, alle Studenten um sie herum, und auch ich durfte mit dabei sein.
Schon damals besaß ich ein ausgezeichnetes Gedächtnis, ich konnte sogar Texte auswendig lernen, deren Sinn ich noch nicht verstand. Es hat sich so diese fröhliche und tiefe Unterhaltung zwischen dem Rabbi und Vater in mir tief eingeprägt. Sie sprachen über die “Kabbala” und verstanden einander sehr gut. Vater nannte die Kraft der Kabbala das ewige Licht, das unsichtbare Licht, das durch alles Sichtbare hindurchgleitet. “So spricht der Ewige”, sagte er. Dann erzählten der Rabbi und Vater von der Lebenskraft, dem Samen des Lebendigen im Mann und in der Frau. Sie fanden beide, dass viel Kraft in diesem Samen schläft, eine wundersam heilige Kraft.
“Eine Musik aus Licht”, sagte Vater, “diese Musik ist unser Geschenk an die Messianischen Zeiten!”
Der Rabbi nickte dazu ... lange Zeit. Ich glaube der Ribeuno-Schel-Eulam hat zu uns gelächelt.
Dann sprach Vater: “Dieses Licht ist Kraft! Dieses Licht bringt Wissen und Weisheit! Das Licht verlässt uns, wenn wir sterben. Es geht dann zurück zum Ewigen.”
Und Vater fügte hinzu: “Es bringt ihm unsere Musik.”
Da sah ich mich, den kleinen David, wieder vor Gott gerufen, um Ihm alles zu sagen, was ich im Leben getan habe, und ich schaute im Kreis umher, ob es den anderen Studenten auch so ging? Mir schien, sie waren auch von dieser Musik ergriffen und es war ganz still und schon tief in der Nacht. Es floss wie Balsam in mein Herz, Vater so verehrt zu sehen. Wie war dies Leben im Dienste des Allmächtigen doch glücklich! Auch Mutter strahlte vor inniger Freude.
Diesen Sabbat hatte es ein Festmahl gegeben, um Geist und Körper zu stärken. Es fehlte nichts! Meine Vorstellungen für ein späteres Leben als Talmudist und Kabbalist waren beflügelt.
Dann kam aber viel zu schnell der Sonntagmorgen heran. Wenn wir auch fast die beiden Nächte gänzlich durchwacht hatten, hätte es noch lange so weitergehen können. Aber “Jakob mit seinen Söhnen” verließ uns so, wie sie gekommen waren – mit einem frohen Abschied. Vater und ich begleiteten die Gäste bis zum Rande des Dorfes, dann begannen die Pferde zu traben und die Wagen wurden in der Ferne immer kleiner, bis sie am Horizont verschwanden. In mir war aber eine neue Kraft erwacht: die stolze Verehrung Vaters. Steht es nicht geschrieben: “Ehre deine Eltern, auf dass du lange lebest”? Der Sohn meines Vaters zu sein, war überwältigend. Wie hatte Gott das nur gemacht?
Der freie Mensch
Das Osterfest kam heran. Vater sagte zu mir: “David, du bist nun alt genug, um unsere schwere Aufgabe in der Welt zu verstehen. Eine schwere Aufgabe! Pessach ist ein geschichtliches Ereignis im Leben des Volkes Israel. Wir wurden damals für unsere Aufgabe vorbereitet: Pessach ist das Fest, welches die Befreiung feiert, nicht alleine die unsrige, nein, die Befreiung der Menschen, aller Menschen. ‘Auf dass der Mensch sich nicht knechten lasse vom Menschen. Auf dass der Mensch nicht den Menschen knechte‘. Dazu waren vierzig Jahre des Wanderns unseres Volkes durch Hunger und Durst, durch steinige Wüsten nötig, ja, nötig, David! Auf dass wir uns der Liebe und Kraft des Schöpfers bewusst wurden, seine Gesetze verstehen lernten und so auch befreit von Götzendienst leben konnten! Zur Freude des Schöpfers mit all unserer Liebe und Lebenskraft zu leben! Zu seiner Freude und der unsrigen sind wir geschaffen! Für dieses Zeugnis, ja, für dieses Zeugnis starben viele unserer Besten! Beschimpft, verleumdet, gemartert und als Fakkeln lebendig verbrannt! Für dieses Zeugnis, für diesen Gott: Ein gütiger Gott, ein Gott der Liebe. Vergiss es nie, David, die Schaffenskraft des Allmächtigen ist die Liebe! Auch die unsrige.”
Vater hatte mir dies alles gut erklärt, aber solch ein freier Mensch zu werden, und auch die anderen Menschen frei zu lassen, das ist eine schwere Sache, das hatte ich auch verstanden. Der freie Mensch, der steht vor Gott, Ihm Rechenschaft zu geben, ja, von unseren Dummheiten zu lernen und sie zu fühlen. So erzieht Gott den Menschen zu Verständnis und Gehorsam und Gewissen. So erhält der Mensch sein “Geh-wissen”, “um zu wissen, wie man geht”, hatte Vater gesagt.
Derweil ich meine Seele auf die Befreiung vorbereitete, um als Jude das Vorbild dieser Befreiung zu sein, derweil strahlte unsere Mutter schon beim Arbeiten. Alle jüdischen Frauen des Dorfes waren zu ihr gekommen, um unter ihrer Leitung das Pessach-Fest zu bereiten. Unser Hausbesitzer betrachtete dieses geschäftige Treiben mit viel Genugtuung. Mit Wasser, Seife und frischem Kalk wurde das ganze Haus wie neu. Die speziellen Ostergeschirre blitzten schon vor Sauberkeit. Der Backofen wurde peinlichst gesäubert und Vater sprach den Segen der Reinigung. Dann wurde das Brot der Wüste, die Matze, gebacken, so wie damals beim Auszug aus Ägypten, es wurde Mehl mit Wasser vermengt und der Teig auf die heißen Steine gestrichen. Dies alles, damit wir an Leib und Seele die Befreiung, die vierzig Jahre des Wanderns durch die Wüsten, wahrhaftig neu erleben sollen. Ein schweres Erinnern. Bis endlich Moses das verheißene Land dem Volke Israel zeigen durfte.
“Papa, die Christen feiern aber auch Ostern und sind doch Götzendiener. Sie haben Jesus, Maria und Joseph. Ich bin einmal heimlich in die Kirche gegangen, es gibt noch viele andere Bilder dort. Man soll doch keine Bilder anbeten!?”
“David, die Christen sind noch nicht mit uns vierzig Jahre durch die Wüsten gewandert, darum ist ihr Osterfest anders. Sie machen sich alles viel leichter.”
“Aber ist das Gott gefällig?”
“Das weiß Gott. Er hat viel Geduld mit seinen Kindern. Wir müssen alle noch viel von Ihm lernen. Die Christen sagen, Gott hätte ihnen seinen Sohn geschickt, damit Er ihnen alles besser erkläre, und so glauben sie, dass sie alles am besten wissen.”
“Aber Papa, wir sind doch alle die Kinder von Gott, Er hat uns doch alle geschaffen?”
“Du hast Recht, David, aber das haben die Christen noch nicht an Leib und Seele gefühlt. Sie sagen auch, Jesus hätte ihre Sünden auf sich genommen. Wollen sie sie nicht selber tragen, verantworten und verstehen lernen? So haben sie viele Frevel gegen uns Juden begangen. Wir stören sie. Sie wollen, dass wir an ihren Jesus glauben wie an einen Gott.”
Ich war ganz aufgeregt, als der Sederabend begann. Seder heißt “Ordnung”, denn unser Erinnern soll ordnungsgemäß erlebt werden. Aber trotz der schweren Erinnerungen ist unsere Befreiung ein sehr großes Fest. Wir saßen an weiß gedeckten Tischen mit dem Hausbesitzer und allen jüdischen Familien. Vater in seinem weißen Talar leitete die Zeremonie und war für mich Moses, der sein Volk vom Pharao befreit. Die Vergangenheit wurde lebendig. Ich fühlte, dass in Gottes Kraft das ganze Volk Israel ruht, um beschützt, bestraft und geliebt zu sein.
Endlich wurde das Festmahl gereicht: Wir aßen zuerst kleine Stückchen Matze mit lauter Erinnerungen darin und darauf. Man trank die vier vorgeschriebenen Gläschen gesegneten Weines und kaute viele bittere Kräuter, dann krachte