Evolution und Schöpfung in neuer Sicht. Hans Kessler
ist es, die Grundzüge eines naturalistischen Weltbildes sowie einer säkularen, evolutionär-humanistischen Ethik/Politik zu entwickeln“ und in der Öffentlichkeit, in einem „Werte-Unterricht für alle Schüler“, bei der „Besetzung von Rundfunk-, Ethikräten etc.“ zur Geltung zu bringen. Der Stiftung geht es nicht nur um Verteidigung von Evolutionsdenken, sondern um die Durchsetzung eines bestimmten partikularen Weltbildes, nämlich des atheistischen Naturalismus, der ausdrücklich dem biblisch-christlichen Weltbild den Platz in unserer Kultur streitig machen will. Das wird überdeutlich in den kulturkämpferischen Entgleisungen gegen religiösen Glauben, die sich Schmidt-Salomon auf der Homepage leistet. Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle hält er für falsch: „Wer auf ,religiöse Gefühle‘ Rücksicht nimmt, der stellt damit weltanschauliche Borniertheit unter ,Denkmal-Schutz‘.“ Wer hier wohl borniert ist? – Von Schmidt-Salomon stammt übrigens auch ein Bilderbuch „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel“, das bereits Sechsjährige in „amüsanter Weise über den Gotteswahn“ aufklären will, indem es die drei monotheistischen Religionen allesamt als bedrohlich und Angst einflößend darstellt und lächerlich macht.
Im Sinne der allgemeinen Stoßrichtung der Stiftung schreibt ihr Beiratsmitglied Thomas Junker, Mitstreiter von Kutschera: „Als wissenschaftliche Theorie gewährt sie [die Evolutionstheorie] der religiösen Wundergläubigkeit und damit [!] dem christlichen Gott keinen Raum. Er ist schlichtweg überflüssig, ein phantastischer Fremdkörper ohne Relevanz.“ (T. Junker 2007, 81) Für Junker ist offenbar Darwinismus unvereinbar mit Glauben an Gott, weil er Gott nur als den begrenzten Lückenbüßer zu denken vermag, der noch vorhandene Lücken in evolutionstheoretischer Erklärung schließen soll und mit deren Verschwinden natürlich überflüssig wird.
c) Kein Atheist: Wie Darwin zu Religion und Schöpfungsglauben stand
Charles Darwin (1809 – 1882) war fasziniert von der Vielfalt der Lebewesen auf unserer Erde. Und er war ein großer Naturforscher, der eine riesige Fülle von Beobachtungsmaterial gesammelt und viele Bücher dazu geschrieben hat. Weltberühmt aber wurde er durch die Theorie, die er in dem Buch Über die Entstehung der Arten (1859) darlegt und begründet: Die Deszendenztheorie oder Abstammungslehre (Darwin sprach nicht von Evolution, sondern von Transmutation, Abwandlung, Abstammung u. ä.). Den Kerngedanken dieser Theorie kann man kurz so zusammenfassen:
Alle Lebewesen haben sich aus gemeinsamen Urformen allmählich entwickelt, im Laufe von langen Zeiträumen. Die verschiedenen Arten von Lebewesen kommen also nicht fertig vom Reißbrett des Schöpfers, sie wurden nicht jede in einem eigenen Schöpfungsakt erschaffen. Sie haben sich vielmehr entwickelt, sind entstanden durch Mutation und Selektion, d. h. durch zufällige kleine Abänderungen (Mutationen) an dem, was schon da war, an den schon vorhandenen Lebewesen, so dass es bei deren Nachkommen zu Variation kam und sich dann im Kampf um Nahrung und Sexualpartner nur die Lebensfähigeren fortpflanzten, während die weniger Lebensfähigen ausstarben: natürliche Auslese (Selektion). Diese beiden Faktoren Mutation und Selektion (Abwandlung und Auslese) reichten aus, um die allmähliche Entstehung der Vielfalt der Lebewesen zu erklären. Darwin hat damit das Fundament einer Biologie geliefert, die von religiösen Überzeugungen frei ist.
Er hat damit nichts anderes getan als das, was der bedeutende mittelalterliche Theologe und Naturforscher Albertus Magnus (1200 – 1280) propagiert hat: „In der Naturforschung haben wir nicht zu untersuchen, wie Gott der Schöpfer ... sich seiner Geschöpfe bedient, um durch Wunder seine Allmacht kundzutun. Wir haben vielmehr zu erforschen, was im Bereich der Natur durch natureigene Kräfte auf natürliche Weise alles möglich ist.“8
Wie stand Darwin zur Religion, zum Glauben an einen Schöpfer? War er ein Gegner oder gar Feind von Religion und Schöpfungsglauben?
1) Darwin hat nie einen ideologisch-atheistischen Darwinismus vertreten, auch nicht in seiner agnostischen Endphase. Er war aufgewachsen in einer dekadenten Form von Christentum, das einerseits mit Moral, Sünde und Furcht vor ewigen (Höllen-)Strafen operierte, dessen damals vorherrschende rationalistische Physikotheologie andererseits überall in der Natur eine auf den Nutzen des Menschen bezogene Zweckrichtung sah, daraus die göttliche Vernunft ablesen und Gott aus angeblichen Lücken wissenschaftlicher Welterklärung beweisen wollte (wie es heute wieder die ID-Lobby tut).
In den Jahren zwischen seiner Weltumseglung auf dem Forschungsschiff Beagle (1832 – 1837) und der Veröffentlichung von Über den Ursprung der Arten durch natürliche Zuchtwahl (1859) wandte sich Darwin, wie er im Kapitel „Religious Belief“ seiner Autobiographie ausführt, von dem Glauben, in dem er erzogen worden war, und von der Sicht der Physikotheologie – etwa des in Cambridge damals viel zitierten William Paley (1745 – 1805) – allmählich ab und einem vorsichtigen Deismus zu.
Er lehnte die Einzelerschaffung der einzelnen Arten durch zahllose getrennte Schöpfungsakte ab, ebenso Wunder, sofern sie als Durchbrechung der Naturgesetze verstanden wurden, und er war aus moralischen Gründen gegen die „abscheuliche Lehre“ von ewigen Strafen. Das grausam qualvolle Leiden in der Natur, das er so oft gesehen hatte, war für ihn nicht mit einem Schöpfungswerk Gottes vereinbar, wohl aber mit der natürlichen Selektion. Die Überzeugung von der Evolution war für ihn eine Befreiung von bedrückenden religiösen Vorstellungen.
Im allerletzten Satz seines Werkes On the Origin of Species (1859) deutet er dann aber kurz eine andere Auffassung von Gott und von Schöpfung an: „Es liegt etwas wirklich Erhabenes in der Auffassung, dass der Schöpfer den Keim allen Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht hat und dass, während sich unsere Erde nach den Gesetzen der Schwerkraft im Kreise bewegt, aus einem so schlichten Anfang eine unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen entstand und noch weiter entsteht.“ Es ist bemerkenswert, dass 1500 Jahre vor Darwin ein griechischer christlicher Theologe, Gregor von Nyssa (335 – 394), eine ganz ähnliche Sicht vertreten hat, und zwar ganz umfassend ausgedehnt auch auf die kosmische Evolution (s. u. II. 3. a).
Darwin nahm eine allgemeine Vorsehung bei der Planung der Gesetze an, die die Evolution überhaupt erst möglich machen. Eine Welt, die so „wunderbar geordnet“ ist, könne als Ganzes nicht das Ergebnis puren Zufalls sein, wenngleich die Details wenig perfekt und zufällig sind. In einem Brief von 1870 an seinen Freund, den Biologen Joseph D. Hooker, den er in „Entstehung der Arten“ öfters erwähnt, schrieb er: „Ich kann das Universum nicht als Resultat blinden Zufalls ansehen. Gleichwohl kann ich im Detail keine Evidenz von einem wohltuenden Plan (design) sehen, oder überhaupt einen Plan von irgendeiner Art.“ (F. Darwin & Seward 1903, I, 321) Und in einem anderen Brief an den Naturwissenschaftler Asa Gray in Harvard schrieb er: „Ich neige dazu, alles so zu betrachten, als folge es den Gesetzen des Schöpfungsplans, während die Details dem überlassen bleiben, was wir Zufall nennen.“ (F. Darwin 1887, II, 105)
2) Drei Jahre vor seinem Tod schrieb Darwin (1879): „In meinen extremsten Gedanken war ich nie ein Atheist in dem Sinne, dass ich die Existenz Gottes verneint hätte. Ich glaube meistens, aber nicht immer (doch je älter ich werde, desto öfter), dass ,Agnostiker‘ eher auf mich zutrifft.“ (F. Darwin 1887, I, 274) Agnostiker ist einer, der meint, dass wir das, was über die sinnliche Wahrnehmung hinausgeht, nicht erkennen, es aber auch nicht bestreiten können.
Dazu erläutert er in seiner Autobiographie (1879): „Das ergibt sich aus der äußersten Schwierigkeit oder vielmehr Unmöglichkeit, einzusehen, dass dieses ungeheure und wunderbare Weltall, das den Menschen umfasst mit seiner Fähigkeit, weit zurück in die Vergangenheit und weit in die Zukunft zu blicken, das Resultat blinden Zufalls oder der Notwendigkeit sein soll. Denke ich darüber nach, dann fühle ich mich gezwungen, mich nach einer ersten Ursache umzusehen, die in Besitz eines dem des Menschen in gewissem Grad analogen Intellekts ist, und ich verdiene Theist genannt zu werden ... Dann entsteht aber wieder der Zweifel: Kann man sich auf den Geist des Menschen verlassen, der, wie ich glaube, sich aus einem so niederen Geist wie dem der niedersten Tiere entwickelt hat, wenn er solch großartige Schlussfolgerungen zieht?“ (F. Darwin 1887, I, 282 f)
Darwin fragt also sehr ernsthaft und ehrlich.9 So beklagt er auch den Verlust seiner früheren Freude an Naturerlebnissen, an Poesie und