Das purpurne Tuch. Wolfgang Wiesmann

Das purpurne Tuch - Wolfgang Wiesmann


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und der Gemahlin des römischen Neubürgers in Karthago zu gewährleisten.

      Khoman schwärmte für Farben. Purpur sei ihre Königin, philosophierte er. Blau war reserviert für das Dach der Welt und seine Meere. Rot gehörte der Sonne. Alle anderen Farben standen den Menschen zu. Aber – so habe er selbst gesehen – hätten manche von ihnen blaue Augen und rotes Haar. Vor denen müsse man sich in Acht nehmen, weil sie an falsche Götter glaubten. Dann blickte er zum Horizont und ein verschmitztes Lächeln kroch über seine sonnengegerbte Haut, denn er wusste, dass die heimlich geplante Reise nach Britannien, von der sie ihm im Vertrauen erzählt hatte, ohne ihn stattfinden würde.

      Ein eisiger Wind zog auf. Sie sah trotzig auf ihre Hände, bevor sie abrupt unter ihrem Umhang verschwanden. Die Vorboten von Khomans Weisheit verschafften sich unmissverständlich Raum, eroberten das Schiff still und ohne Gegenwehr. Immer häufiger versanken die kleinen Tropfen nicht mehr im Stoff ihres Gewandes, sondern klammerten sich aneinander zu einer Schicht aus schillernden Kristallen. Sie richtete ihren Blick auf die Sterne und sah den Mond in voller Blässe, kalt wie der Schiffsboden und ihre Füße. Der Mond war ein mächtiger Verbündeter auf See. Das wusste sie aus eigener Erfahrung und aus Erzählungen der Männer, aber nun klagte sie das bleiche Himmelsauge der Komplizenschaft an. Warum huldigte er dem Eis in dieser sternenklaren Nacht, so dass sie sich mehr vor dem blauen Tod fürchtete als vor dem, der ihr bevorstand? Leider musste sie in den letzten Tagen öfter an Khoman denken, als ihr lieb war. Aber hatte er nicht alle Wetter überlebt? Was war es also, das sie fürchtete? Das Eis war fremd, während sie das Wasser wie eine Heldin durch viele stürmische Manöver zu beherrschen gelernt hatte. Das Fremde war unberechenbar und wenn es stark war, waltete ein Gott darüber. Wie es schien, war dieser Gott ihnen nicht wohlgesinnt und könnte gar die Mission zum Scheitern bringen. Einen Augenblick spürte sie Erleichterung bei dem Gedanken, ihrem Opfertod zu entrinnen, doch welches Schicksal ereilte sie stattdessen?

      Sie entstammte dem edlen Blut eines Kriegsfürsten aus Iberien, wurde als Kind von dort verschleppt und diente als Sklavin bei einer römischen Aristokratenfamilie in Karthago. Mit zwölf ließ sie sich die Haare stutzen und heuerte unter dem Namen Carruso als Schiffsjunge an. Seit vier Jahren segelte sie über die Meere. Dem Tod hatte sie mehrfach ins Auge gesehen, sodass er ihr keine Panik mehr einjagte, doch einem eisigen Gott wollte sie nicht in die Hände fallen.

      Mit der Kälte hatte auch die Stimmung an Bord einen Tiefpunkt erreicht. Mit jedem Tag, den sie die Küste Galliens entlanggekrochen waren, war es stiller geworden. Selbst Kafur, dessen Mund einen ständigen Singsang oder eine unwahre Geschichte von sich gab, stöhnte, dass ihm die Kehle schmerzte. Mit jedem Wort, so hatte er sich entschuldigt, rieb es wie Feuer in seinem Schlund. Er musste sich schonen, da er am Opfertag zu singen hatte.

      Carruso kauerte sich nieder und lehnte sich neben Kafur an die Planken des Schiffs. Es wäre nur zu natürlich gewesen, sich gegenseitig zu wärmen, besonders, da sich zwischen ihnen eine Freundschaft angebahnt hatte. Der zuletzt verstrichene Sommer war der sechzehnte in Carrusos Leben und ihre weibliche Anmut war, trotz ihrer Mannsgewänder und ihrer Bemühungen sich maskulin zu geben, kaum mehr zu verbergen. Manchmal, in unbeobachteten Momenten, und nur wenn es dunkel war und der Mond zur Sichel schrumpfte, fasste sie an ihre Brüste und gestand sich ein, dass auch die Lust in Anwesenheit so vieler Männer nicht immer leicht zu kontrollieren war. Seit Monaten spürte sie, wie sich den Blicken mancher Seefahrer Verlockung beimischte. Zwischen Verlegenheit und Unwissenheit versuchte sie, ihr männliches Auftreten nicht zu verletzen.

      Kafur neigte sich ihr zu, aber nur durch eine leichte Drehung seines Kopfes, der bis auf einen Schlitz zum Atmen vollständig von einer Fellmaske verhüllt war. In gewisser Weise teilte er Carrusos Schicksal. Als keltischer Stammesführer wurde er von den Römern nach verlorener Schlacht nordöstlich der Alpen gefangen genommen und sollte wegen seines barbarischen Aussehens und seiner hünenhaften Statur zum Gladiator ausgebildet werden, konnte aber vorher fliehen. Seitdem verdiente er sich seinen Sold als kundiger Navigator auf Schiffen, die vor allem zwischen Karthago und Iberien kreuzten. Oft hatte er Flottenverbände der Römer zu aufständischen Regionen entlang der iberischen Mittelmeerküste geführt, aber auch das kalte Meer an der Westküste bis hoch nach Britannien war ihm vertraut.

      Fünfundzwanzig Goldstücke hatte ihm Assuman, das Oberhaupt der Reisenden, in einem Ledersäckchen in die Hände gedrückt. Das reichte für den Rest seines Lebens, ohne je wieder schwankende Planken betreten zu müssen. Als er eingewilligt hatte, wusste er allerdings nicht, dass sie ihn auch ausgewählt hatten, weil er Kelte war. Als sie bereits Tage auf See waren, wies Assuman ihn in die Mission der Reise ein:

      „Drei Punische Kriege sind verloren. Augustus hat das zerstörte Karthago neu aufgebaut, aber das stolze Volk der Phönizier wurde zerschlagen. Sieh mich an, Kafur! Vor dir steht der letzte Nachfahre der Barkas. Von Generation zu Generation haben wir das Erbe Hannibals verehrt und überliefert. Sein Heldentum und sein Ruhm im Kampf um das phönizische Reich sollen für die Nachwelt erhalten bleiben. Dafür stehe ich mit meinem Leben. Das römische Imperium verschlingt alles in seinem gierigen Rachen und wird der Geschichtsschreibung seinen Stempel aufdrücken. Hannibal starb vor 190 Jahren. Sein Angedenken schwindet unter der fremden Kultur. Mischehen, Besetzung, Vertreibung und Sklaverei haben unser Volk unkenntlich gemacht und nun bin ich es, der kinderlos vor einer unlösbaren Aufgabe steht. Sieh mich an, Kafur! Ich habe bemerkt, dass deine Augen Carruso öfter suchen, als es nötig wäre. Beschäme dich nicht und wisse, dass du sie am Ziel unserer Reise den Göttern opfern wirst. Bedauere sie nicht, denn sie kennt ihr Schicksal. Sie ist meine letzte Hoffnung darauf, Hannibals Vermächtnis durch einen lebenden Nachfolger im Blute in die Zukunft zu führen. Sie wird mit ihrer Jugend die Götter betören, dass sie mir als Lohn Frauen schicken, die mir Söhne gebären.“

      Kafur hatte nicht widersprochen und somit sein Einverständnis erklärt, Carruso von seiner männlichen Begierde zu verschonen und sie am Ziel ihrer Reise zu töten. Würde er Carruso nicht töten, stünden zwanzig Krieger bereit, um Assumans Befehl auszuführen, oder sie würden ihm mit dem Tod drohen, wenn er sich widersetzte. Ein Kelte sollte den Opfertod vollstrecken und Stonehenge in Albion war das Ziel ihrer Reise.

      Kafur schaute an den Haaren seiner Fellmaske vorbei und sah Carrusos Atem im Nebel. Er erinnerte sich daran, was Assuman ihm unter vier Augen gesagt hatte und schaute auf das anmutige Gesicht des vermeintlichen Jünglings neben ihm. Er würde Carruso töten, wie es geplant war. Ob ihr Tod einen Sinn machte, lag nicht in seiner Hand, aber er würde seine Rolle ehrenvoll und den Regeln entsprechend ausüben. Nur einen Wunsch hatte er. Sie sollte keine Schmerzen erdulden.

      „Hier! Nimm!“, hörte Carruso ihn sagen. Sein krächzender Bass war für die Mitreisenden nicht zu überhören, zumal der aufkommende Nebel alle Sinne der Seefahrer anspannte. Kafur schob ihr zwei graue Fellstücke über den Schiffsboden zu.

      „Kaninchen, vom Koch. Wickel es um deine Waden, dann kann die Kälte nicht hoch.“

      Carruso nahm das Geschenk, krempelte ihr Gewand bis zu den Knien hoch und befestigte die Felle mit Lederriemen um ihre Waden. Als sie das Gewand wieder über ihre Beine stülpen wollte, griff Kafur ihre Hand und legte etwas hinein.

      „Klemm es zwischen deine Beine, jede Nacht.“

      Carruso war zu neugierig, als nur seinem Rat zu folgen. Sie schaute sich die kleine Figur an und sah eine Frau mit ausladenden Brüsten. Auch das Hinterteil prahlte mit üppigen Kurven. Nun wusste sie, was Kafur in den letzten Tagen so ausdauernd geschnitzt hatte, wenn er gelangweilt am Mast stehend darauf gewartet hatte, dass der schlafende Wind von kräftigen Böen vertrieben wurde. Er flüsterte:

      „Assuman will Kinder. Wenn du vor die Götter trittst, sei bereit, denn sie werden dich schwängern. Dein Kind bekommt Assuman durch den Leib einer anderen Frau. Du huldigst den Göttern, wenn sie sehen, dass du gut vorbereitet bist. Nichts schätzen sie so sehr, als dass man an sie denkt. Dein Opfertod bedeutet ihnen nichts. Sie werden sich über dich hermachen und dich mit Kindern überschütten, Kinder, die ganz Rom verändern werden.“

      Kafurs Worte munterten sie auf. Sie würde bei den Göttern wohnen und ihre Kinder würden ihr irdisches Leben vollenden. Sie stülpte das Gewand über die Knie und steckte die Figur in ihre Gürteltasche.

      „Du


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