Das purpurne Tuch. Wolfgang Wiesmann

Das purpurne Tuch - Wolfgang Wiesmann


Скачать книгу
ihr Herz überschlug sich vor Scham und Wonne. Unweigerlich wandte sie sich ab, damit er ihre Rührung nicht lesen konnte, aber als sie sich wieder zu ihm drehte, war er es, der sich entfernte und ihrem Blick entschwand. In diesem Moment brach es ihr das Herz, denn sie hatte noch erkennen können, dass das Leuchtende in seinen Augen erlosch und dunkle Schatten sich über ihn neigten. So würde nun doch der Tod mit ihm kommen und die Mission sollte sich erfüllen. Sie sah hin zur fernen Sonne. Eine kurze Weile noch und Assumans Männer würden sie holen.

      V Siobhan

      Assuman hat alles gut vorbereitet. Das war ihr erster Gedanke, als sie den Ort ihrer Tötung betrat. Ein Orientteppich lag ausgerollt in der Mitte des steinernen Zirkels auf einem verzierten Podest. Vier Vasen mit brennenden Fackeln darin standen an den Ecken. Zwischen den senkrechten Felskolossen hatte Assuman Wachen postiert. Ihre Blicke waren starr und unantastbar auf das Zentrum gerichtet. Assumans Begleiter, Verwandte und Freunde seiner Sippe, Kandahar, der ranghöchste Kommandant, und alle Soldaten trugen ihre volle Ausrüstung mit Helmen und Schwertern. Assuman hatte bestickte Tücher und Decken der Reihe nach auf den Boden legen lassen, vom Eingang bis zur Mitte, sodass sie einen Weg aus edlen Stoffen bildeten. Carruso sollte rein und makellos vor die Götter treten. Sie und Assuman, der nun ihre Hand nahm, standen unter einem gewaltigen Fels, der links und rechts von zwei säulenförmigen Trägern gehalten wurde. Eine Harfe erklang, dann hörte Carruso Kafurs heisere Stimme. Ihr Blick schweifte umher, aber er war nicht zu sehen. Wieder schlug ihr Herz, wie sie es nicht kannte, aber diesmal lag Trauer in seiner Stimme und die legte sich auch auf ihr Herz, dass es ihr schwer wurde.

      Assuman ließ ihre Hand los und deutete auf die ledernen Schuhe, die vor ihr standen.

      „Diese Schuhe wurden für dich und diesen Tag vom besten Meister in Karthago gemacht. Zieh sie an.“

      Carruso tat, wie ihr befohlen. Dann legte Assuman noch ein purpurnes Tuch über ihre Schulter und reichte ihr die Zipfel nach vorne, sodass nun jeder sehen konnte, dass dort eine anmutig schöne Frau neben Assuman unter dem Torbogen stand. Kafurs Stimme verstummte. Er trat hinter einem Felsen hervor und verneigte sich vor allen. Assuman bat ihn mit einer Handbewegung zu sich. Kafur trug sein Schwert, sein Gewand wurde von einer großen Schnalle aus verzierter Bronze gehalten. Sein Haar hatte er gewaschen und nach hinten gebunden. Als er vor ihnen stand, sah sie in seinen Augen das gleiche Feuer wie in jener Nacht, als er ihr die Kaninchenfelle geschenkt hatte. Diese Augen verrieten ihr seinen Glauben an alles, was zwischen ihnen war. Sie erinnerten sie auch an das Versprechen eines schmerzlosen Todes, und dass sie dafür seinen Anordnungen zu folgen hatte. Kafur kniete sich vor sie und küsste ihr Gewand. Dann stand er auf und Assuman nickte ihm zu. Kafur führte Carruso ein paar Schritte aus dem Torbogen heraus, drehte sie mit dem Gesicht zur Sonne und sprach:

      „Vollkommen sollst du sein, wenn sie dich aufnehmen in ihr Reich. Deiuos, deiuos. Ihr Name ist Siobhan. Ihr keltischen Götter und vor allem ihr, Matres, Matres, Siobhan kommt zu euch, um Fruchtbarkeit für Assuman, ihren Herrn, zu erbitten. Siobhan, verneige dich vor der Sonne.“

      Sie tat, wie ihr geheißen. Kafur hatte einen keltischen Mädchennamen für sie ausgesucht. „Siobhan“, sagte sie leise und schloss die Augen vor der Sonne. Wenn er sie nun zum Zentrum geleiten würde, wären das ihre letzten Schritte in diesem Leben. Doch es war Assuman, der sie berührte, und als sie die Augen öffnete, stand Kafur bereits in der Mitte. Assuman rief einen Begleiter herbei, der zwei Kästchen auf einem Tablett vor sie abstellte. Assuman öffnete die Kästchen und entnahm dem ersten einen Ring aus Elfenbein.

      „Nimm diesen Ring, den Hannibal trug, als er die Alpen gen Rom überquerte.“ Ein anderer Begleiter kam herbei und band ein dünnes Flachsband, getränkt mit Pinienharz, um ihren zierlichen Ringfinger. Das Band klebte fest. Dann streifte Assuman den Ring über ihren Finger, sodass auch er fest haftete. In dem zweiten Kästchen lag ein ledernes Säckchen. Assuman nahm es und reichte es ihr.

      „Darin befindet sich ein wertvolles Geschenk für die Götter. Nimm es mit auf deinem Weg zu ihnen.“

      Siobhan wog das Säckchen in ihrer Hand. Es fühlte sich weich an, vielleicht ein Gewürz, Salz oder edle Kräuter. Einen Augenblick war sie fasziniert davon, Geschenke zu bekommen. Aber nun sah sie Kafur, der seine rechte Hand neben sein Schwert hielt und erhobenen Hauptes auf sie blickte. Sie steckte das Säckchen in ihr Gewand, wo es neben der geschnitzten Figur zu liegen kam. Assuman geleitete sie zu Kafur. Eine Enthauptung kam nicht infrage. Ein Stich ins Herz. Das war mit Assuman abgesprochen. Siobhan küsste den Ring Hannibals und stellte sich in die Mitte des Teppichs. Kafur trat zu ihr, nahm sie bei der Schulter und drehte sie so, dass ihr Gesicht zur Sonne wies. Er wartete, dass Assuman sich wieder zu seinen Begleitern zurückzog, was er aber nicht tat. Zu verlockend war es, den Göttern so nah zu kommen, schließlich sollten sie sehen, wer das Opfer brachte und wer den Lohn verdiente. Kafur begann zu singen und sprach dabei: „Matronae Aufaniae, Badb tuath, Goll mac Duilb, Dian Cecht, Morrigan und Andraste, ich rufe euch.“ Mehrfach wiederholte er die Namen und jedes Mal klangen sie bedrohlicher. Alles deutete darauf hin, dass es nun zum Höhepunkt kommen sollte. Kafur stimmte erneut an, aber nun rief er nur einen Namen: „Scáthach, Scáthach, Scáthach ...“ Er wurde lauter und lauter. Der Name dröhnte wie Trommelschläge. Siobhan erzitterte. Kafur griff zum Schwert. Siobhan riss die Augen weit auf und hielt den Atem an. Da schlug er Assuman den Kopf ab und schrie sie an: „Lauf zur Sonne! Lauf! Lauf!“ Dann stürmte auch er in die gleiche Richtung und erschlug jeden, der sich ihnen in den Weg stellte. Siobhan war leichtfüßig, während die Soldaten ihre volle Montur und Schwerter trugen. Sie sah sich um, als sie durch den Torbogen floh. Kafur wurde von zwei Soldaten attackiert. Er ging zu Boden. Sie schlugen auf ihn ein, bis ihm das Schwert aus der Hand fiel und sie ihn wehrlos erstachen. Siobhan rannte. Ihre Gazellenbeine trugen sie schnell außer Sichtweite. „Kafur, Kafur, Kafur ...!“ rief sie, weinte und hörte nicht auf zu rennen. Als sie die Trauer um ihn in die Knie zwang, gab sie auf, aber Assumans Tod hatte seinen Begleitern die Kraft genommen. Es machte keinen Sinn mehr, sie zu verfolgen. Und so entkam sie.

      VI Der Schwur

      Erschöpft torkelte sie durch einen lichten Wald, setzte sich für eine Pause ins Laub und wünschte sich für die Nacht einen sternenklaren Himmel. Auf See wäre sie nicht so hilflos wie in diesem fremden Land. Sie musste einen Handelsweg finden, der ihr Orientierung gab und sie letztlich an die Küste führen würde, dorthin, wo das Meer ihr eines Tages ein Schiff schicken würde, um zurück in ihre Heimat kehren zu können.

      Ihr gefiel der Gedanke, von nun an Siobhan zu heißen. Den Namen hatte Kafur ausgesucht. Ein gälischer Name machte sie zu seiner Braut, zu seiner Schwester, seiner Stammesfürstin. Ein Blick auf ihre von Schlamm und Lehm verdreckten Schuhe veranlasste sie, sich zu fragen, warum sie sich immer noch auf der Flucht glaubte. Dann brach ihre ganze verhängnisvolle Lage über ihr zusammen. Sie war seit Stunden unterwegs. Niemand verfolgte sie. Nein, in Wirklichkeit war sie weggelaufen von den Blicken Kafurs, der ihr die Freiheit erkämpfte und ihr glückerfüllt nachsah, als sie den Wachen entkam. Sie erkannte nun unter Tränen, dass sie den Mann verloren hatte, den sie liebte, als Schwester, als Braut, als ewige treue Hälfte seines Lebens. Er war tot und sie lebte und das bedeutete von nun an auch sein Leben weiterzuführen. Vor allem seine Tugenden: die Kunst der Diplomatie und eine Kraft, die so neu und stark für sie war, dass es nur die Liebe sein konnte.

      Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, wobei ihr Haar an den klebrigen Stellen des Harzes haften blieb, mit dem der Ring des legendären Hannibal an ihrem Finger befestigt worden war. Die filigranen Schnitzereien zeigten den Kopf des einstigen Feldherrn, der sich im zweiten Punischen Krieg gegen die Römer geschlagen geben musste. Das karthagische Reich zerfiel, aber nicht der Ruhm des größten Feldherrn seiner Zeit. Sicher hatte Assuman das wertvollste Erbstück Hannibals ausgesucht, um den Göttern zu huldigen. Doch Kafur hatte mit List und Todesmut das Schicksal zu ihren Gunsten entschieden. War er ein Gott, einer in Menschengestalt? Er hatte es gewagt, sich vor die Götter von Stonehenge zu stellen, hatte ihnen das Opfer streitig gemacht und gesiegt. Sie lebte und trug das Abbild Hannibals an ihrem Finger. Wenn Kafur ein Gott in Menschengestalt war, sollte ihr Schicksal von nun an besiegelt sein. Nicht Assuman hatte sie erwählt, sondern


Скачать книгу