Das purpurne Tuch. Wolfgang Wiesmann

Das purpurne Tuch - Wolfgang Wiesmann


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einer Lüge bezichtigt hatte, war das Verhältnis der beiden Frauen getrübt. Jetzt hatte Siobhan Carmelita übel genommen, über ihren Farbstoff verfügen zu wollen.

      „Einen Mann, den du dir kaufen kannst, den verdienst du auch, aber mein Purpur bekommst du nicht.“

      Plötzlich schoss Totenblässe in Siobhans Gesicht. Wie zu Eis erstarrt stand sie noch in Angriffspose da, aber der Flügelschlag einer Fliege hätte sie zum Umfallen bewegen können. Ihr Blick sprach Bände des Entsetzens. Das Chaos in ihrem schockstarren Körper fand seine Sprache:

       „Bitte nicht! Ich will dir all mein Purpur geben“, jammerte sie kläglich und bat mit einer unterwürfigen Verbeugung um Erhörung ihrer Bitte. Ihre Augen flehten, aber Carmelita badete unbeeindruckt in ihrer Macht. Sie war im Besitz einer rundlichen Form aus Blei, die sie zwischen Daumen und Finger über Bord hielt.

      „Wusste ich doch, dass du mich belogen hast. Ist es der Ring, den du hier drin eingeschmolzen hast? Ist er die Quelle deines Purpurs? Verleiht er dir die Gabe, immer neues Purpur zu machen? Du wolltest nicht, dass ich ihn bekomme und nun habe ich dich mit Haut und Haar und den Ring dazu.“

      Carmelita lachte laut auf, krächzte wie eine heisere Krähe und verlor einen Moment die Kontrolle. Aurelius war ein Krieger, der genau wusste, wann ein Gegner am besten zu schlagen war: im Moment der Ablenkung. Einer Kobra gleich schnellte sein Arm vor und ergriff die bleierne Form, entriss sie Carmelitas Hand und reichte sie weiter an Siobhan, die sie in ihrem Gewand verschwinden ließ, nicht ohne zu prüfen, ob das zweite Bleistück auch dort war. Siobhan verstand sofort, dass sie auf der Überfahrt ihr Geheimnis nur schützen konnte, wenn sie Aurelius für sich gewinnen würde. Sie machte ihm schöne Augen und fasste seine Hand.

      „Ich bitte zu entschuldigen, verehrter Aurelius. Meine Begleiterin hat sich soeben selbst als Diebin entlarvt. Nun ist es an der Zeit, dass ich mich von ihr trenne. Komm, wir gehen zum Heck des Schiffes. Dort können wir besprechen, wie dir das Purpur am besten zu Dienste sein kann.“

      Die beiden Frauen warfen sich giftige Blicke zu, aber in Anwesenheit des Soldaten wollten sie sich nicht weiter zanken. Siobhan und Aurelius entfernten sich.

      Die Nacht brach ein und sie fanden kein Ende, sich leidenschaftlich von ihren Erlebnissen zu erzählen. Aurelius hatte ihr imponiert und das Wichtigste in ihrem Leben gerettet. Nun war er ihr Held und als sie zusammen auf dem Schiffsboden saßen, sich an die Bordwand lehnten, er ihre Hand nahm und sie in seinen Ärmel schob, um sie zu wärmen, da war ihr, als wäre Kafur ganz nah. Sie schwärmte für Aurelius, aber Liebe war es nicht. Er durfte gar seine Hand an ihre Brust legen, aber als das geschah, war sie sich dessen nicht bewusst, sondern träumte von Kafur und ihrem Schwur und wusste, dass sie für immer und ewig nur den Mann suchen würde, der Kafur das Wasser reichen konnte.

      XI Lippia

      Die Überfahrt verlief schneller als erwartet und so ruderten sie schon nach ein paar Tagen den Rhein flussaufwärts, bis sie an die Mündung der Lippia stießen und Kurs auf das Feldlager Haltern nahmen. Dort hatte Aurelius Weisung, sich die fähigsten Männer auszusuchen, um sie mitzunehmen und als Signifer auszubilden.

      Die Fahrt entlang endloser Wiesen und Wälder zog sich hin, aber die Abwechslung der Szenerie gestaltete sich als unterhaltsam. Die Lippeauen waren belebt von Kranichen und Wildgänsen. Auerochsen grasten auf höher gelegenen Weideflächen und einige Frauen waren unterwegs, um Fische aus Tümpeln aufzusammeln, die durch das letzte Hochwasser gestrandet waren. Es hatte im Jahre 9 n. Chr. viel geregnet und es regnete immer noch, kurz bevor ein neues Jahr beginnen sollte.

      Durchnässt landeten die Reisenden an den Schiffshäusern unterhalb des Feldlagers. Aurelius verabschiedete sich von Siobhan. Er hatte all seine Überredungskünste und Schmeicheleien in die Waagschale geworfen, um Siobhan von seiner Gunst zu überzeugen, aber sie hatte nie einen Zweifel an ihrem Schwur empfunden.

      Carmelita hatte mit allen anderen Männern an Bord versucht anzubandeln, aber sie musste wohl doch erst ein Bad im salzigen Wasser nehmen und die feurige Sonne bitten, ihre eitrigen Pusteln zu trocknen. Unsicher, wie es weitergehen sollte, sprach sie Siobhan an.

      „Zu zweit sind wir besser dran. Ich hörte den Steuermann sagen, dass wir erst in drei Tagen weiterfahren und sonst kein Schiff ausläuft. Die Handelsleute sind schon früher von Bord gegangen, weil das Gebiet um Haltern gefährlich sei. Es könnte durchaus zu Angriffen germanischer Stämme kommen. Das Lager ist nach der Niederlage geschwächt und die Stimmung gespannt. Sollten wir nicht besser gemeinsam diese drei Tage überstehen?“

      Siobhan hatte die Zeit mit Aurelius genossen und war nun sehr entspannt. Natürlich hatte Carmelita recht. Sie brauchten einen geschützten Unterschlupf, nicht zuletzt wegen ihrer beiden Schätze. Vom Purpur war nur noch wenig übrig und es lag noch ein langer beschwerlicher Weg vor ihnen. Siobhans Ziel war Rom und Carmelita wollte an das Meer hinter den großen Bergen von Bavaria und Austria.

      Warum sich länger streiten? Im Grunde war nichts passiert. Carmelita hatte ihre Lektion gelernt und gemeinsam würden sie die Wartezeit schon schaffen.

      „Lass uns zu Aurelius gehen“, schlug Siobhan vor. „Er soll uns ein Quartier im Lager besorgen, eins, das nicht bei den Baracken der Soldaten liegt, eins an der Via Principalis, wo es die Männer nicht wagen, uns am Tage zu behelligen. Und nachts schlafen wir bei den anderen Frauen.“

      Aller Streit schien vergessen und so stiegen die beiden Frauen den schlammigen Weg hoch zum Lager und erhielten dort sofort Einlass, wohl auch wegen ihrer purpurnen Gewänder.

      XII Wolkenbruch

      Die Temperatur stieg am nächsten Tag stark an, sodass sie leicht bekleidet das Quartier verlassen konnten. Allerdings regnete es unaufhörlich seit ihrer Ankunft, was nur kurze Gänge von Haus zu Haus erlaubte. Ihre Essensvorräte waren aufgebraucht und so boten sie an, Kleider zu färben. Die Nachfrage war groß, aber der Lohn war zu dürftig, um den wertvollen Farbstoff zu verwenden. Niemand hatte Geld oder Waren, die für die lange Reise von Nutzen sein konnten. Sie lehnten oft die Nachfragen ab, was zu Unmut unter den Lagerbewohnern führte. Hinzu kam, dass auch Siobhan und Carmelita oft uneins waren über den Einsatz des Farbstoffs, sodass auch zwischen ihnen der alte Zwist wieder zu gären begann.

      Siobhan teilte den restlichen Farbstoff in drei gleiche Häufchen und ummantelte sie mit weichem Ton. So war das Pulver geschützt und sie konnte sicher sein, dass Carmelita nicht heimlich etwas abzweigte.

      In der dritten Nacht überschlugen sich die Ereignisse. Ihre Lagerstätte befand sich in der Nähe des Haupttores, das zur Lippe wies. Bis dorthin waren in den frühen Morgenstunden germanische Krieger vorgedrungen. Der Himmel über dem Feldlager glich einem Meer von schwarz-blauen Wolken, aus denen es immer wieder wie aus Eimern goss. Im Lager selbst hatten sich Sturzbäche gebildet und die Häuser und Befestigungsanlagen unter Wasser gesetzt. Die Germanen warteten bei jedem Vorstoß auf einen neuen Wolkenbruch, der ihnen Sichtschutz bot, wodurch sie sich unbemerkt nähern konnten. Die Wachen der Römer hatten sich in sichere Nischen und Unterstände verdrückt, sodass sie ihre Aufsicht vernachlässigten. Dann plötzlich begann der Angriff. Auf den Palisaden wurden Wachen von germanischen Bogenschützen erschossen. Es folgte ein Sturmangriff auf das Haupttor. Im Lager wurde Alarm geschlagen, aber der Regen hatte alle Wege aufgeweicht, weshalb die römischen Soldaten Mühe hatten, kurzfristig eine Abwehr aufzustellen. Die Germanen hatten den Spitzgraben überwunden und erklommen mit Leitern einen Wehrabschnitt. Es gelang ihnen, die wenigen Wachen zu erschlagen und das Tor zu öffnen. Grölende germanische Krieger stürmten ins Innere des Feldlagers. Vom triumphalen Siegeszug des Arminius beflügelt, glaubten sie, die geschwächten und demoralisierten Römer vernichten zu können. Sie metzelten nieder, was sich ihnen in den Weg stellte.

      Siobhan sah die blutrünstigen Männer näher kommen. Bliebe sie im Haus, wäre sie des Todes. Es war auch zu spät, sich hinter die Linie der römischen Soldaten zu schlagen, da die Germanen bereits ihren Straßenzug erobert hatten. Es blieb ihr keine andere Wahl als zu fliehen und zwar aus dem Tor heraus zum Hafen, wo vielleicht einige Römer ein Schiff zur Flucht klarmachten. Sie verstaute


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