Das purpurne Tuch. Wolfgang Wiesmann

Das purpurne Tuch - Wolfgang Wiesmann


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am Tor? Welches Huhn möchtest du?“

      „Was? Dein Einsatz besteht aus Diebesgut? Du verwettest Sachen, die dir nicht gehören?“

      „Ich bin eine ehrliche Haut. Das muss ich zugeben. Wenn ich beim Diebstahl erwischt werde, bekommst du nichts, aber gelingt er mir, kriegst du das Huhn, das du dir jetzt aussuchst. Schau rüber und beeil dich. Die Würfel werden ungeduldig.“

      „Und was verlangst du, wenn ich verliere?“

      Claudius zog ein Hauch Verlegenheit übers Gesicht, aber dann senkten sich seine Augenbrauen.

      „Du gibst mir dein Gewand.“

      Siobhan überlegte einen Moment und sah dann die ganze Verzweiflung des Mannes.

      „Du glaubst mit einem purpurnen Gewand deinem elenden Bettlerleben zu entfliehen, täuschst den Wohlhabenden vor, damit du wieder mitspielen darfst. Wenn du dann verlierst, könnte es dich dein Leben kosten.“

      Claudius ignorierte ihren Kommentar und schüttelte bereits den Becher. Dem Mann war nicht zu helfen, aber vielleicht konnte er ihr einen Dienst erweisen.

      „Einverstanden! Wir machen ein Spiel“, sagte Siobhan zuversichtlich. „Aber ich will kein Huhn, sondern Blei.“

      „Bekommst du“, sagte Claudius und stutzte erst dann.

      „Blei? Meinetwegen!“

      Er warf die Würfel und es begann ein langer Abend, an dem immer wieder neu verhandelt wurde, über Diebesgut und seltene Frauenwünsche. Zum Einsatz kam zuletzt genau das erste Abkommen. Siobhan gewann. Claudius machte sich in den frühen Morgenstunden auf den Weg durch die Stadt, um eine Handvoll Blei zu besorgen. Als Schmied kannte er die anderen Handwerker, aber seitdem er all seine Werkzeuge verspielt hatte, waren sie auf der Hut, wenn er auftauchte. Allerdings schliefen die Kollegen in der Dunkelheit dieses frostigen Morgens, sodass ihm auf einer Baustelle einige abgeschnittene Bleireste in die Hände fielen und er unerkannt entkommen konnte.

      „Endlich kann ich meine Spielschulden bezahlen“, rief er Siobhan freudig entgegen und legte ihr die Bleistücke in die Hände. Sie hatte in einer Tornische auf ihn gewartet. Dort schlief er für gewöhnlich. Tatsächlich war die Hütte mit dem großen Tor einst seine gewesen. Darin hatte sich die Schmiede befunden. Nun hieß es in den Augen des Schmieds, wieder getrennte Wege zu gehen, aber Siobhan machte keine Anstalten, sich zu verabschieden.

      „Ich möchte dir einen Handel vorschlagen“, sagte sie betont geziert und hoffte ihn bei seiner Männer-ehre zu packen. Claudius schaute sie aus übermüdeten Augen an, war aber ganz Ohr.

      „Du wirst mir zwei kleine Gegenstände in Blei gießen und ich werde dir dafür dein schmutziges Hemd waschen und es purpur färben. Wenn du damit durch die Lande ziehst, werden sich die Leute für dich interessieren und du kannst ihnen mit deinen Spielchen das Geld aus der Tasche ziehen.“

      Sie wusste, dass sie ihm mit ihrem Vorschlag keinen Gefallen tat, aber die Sorge um Hannibals Ring und Kafurs geschnitzte Figur ließ ihr keine Wahl.

      Claudius reagierte zurückhaltend. „Aber dazu müssten wir das Tor aufbrechen. Die Nachbarn werden uns erschlagen, wenn sie uns erwischen.“

      „Ich bin schlank genug, um durch den Kamin zu schlüpfen. Hilf mir, aufs Dach zu klettern.“

      Claudius zögerte einen Moment, als müsste er erst begreifen, ob das überhaupt klappen konnte. Schließlich half er ihr hoch aufs Dach. Sie rutschte durch den Abzug und fiel auf die ehemalige Feuerstelle, in der sonst das Eisen glühte und dann geformt wurde. Sie strich sich den Schmutz von den Kleidern und öffnete das Tor. Claudius trat ein und machte sich sogleich an die Arbeit, ein Feuer zu entzünden. Siobhan sah ein Fass mit Wasser, in dem das glühende Eisen abgekühlt wurde, und bat um sein Hemd. In einem Eimer wusch sie es und tunkte es dann in die angerührte Färbung.

      Die Bleistücke wurden in einem Tiegel erhitzt und nach geraumer Zeit schmolz auch der letzte Rest.

      „Hier, nimm!“, forderte Claudius Siobhan auf. „Das ist Flachs. Wickel die Gegenstände darin ein, dann kannst du sie später leichter vom Blei lösen. Und dann reich mir die Gussformen dort drüben.“

      Siobhan schaute zu, wie Claudius den Ring und die Figur in die Formen legte und mit flüssigem Blei bis an den Rand vollgoss. Dann tauchte er beide Formen in kaltes Wasser. Kurze Zeit später schlug er die Bleiklumpen aus den Formen heraus und kratzte mit einem Messer die rauen Stellen glatt. Sein purpurnes Hemd tropfte noch, aber er betrachtete es mit wonniger Vorfreude. Sie tauschten ihre Sachen und gingen ihrer Wege.

      Siobhan befühlte die noch warmen Bleiklumpen, die etwa so groß wie ein Hühnerei waren und schwer in ihrer Tasche wogen. Carmelita lag schlafend am vereinbarten Treffpunkt. Sie sollte nichts von der Aktion wissen. Siobhan weckte sie am frühen Morgen und erklärte ihr gleich, dass ihr der Ring am Finger fehlte, weil sie ihn gegen ein üppiges Mahl getauscht habe. Carmelita sah sie noch schlaftrunken an, aber kniff ein Auge zu, als sie die Geschichte sacken ließ.

      „Lügst du mich an? Niemand würde dir für den billigen Ring etwas zu Essen geben.“ Carmelita hatte recht. Elfenbein kannte man dort nicht. Bronze oder Gold wären beachtet worden.

      Siobhan schwieg und wurde rot im Gesicht. Lügen war nicht ihre Stärke. Sie schämte sich, aber hielt nun Schweigen für die beste Lösung.

      X Die Versuchung

      Nach sieben Tagen erreichten sie einen Hafen an Britanniens Küste. Dort bestiegen sie ein römisches Schiff, das bei guter Wetterlage nur in wenigen Tagen die Rheinmündung erreichen sollte, wo sich linksseitig sichere Stützpunkte der Römer befanden.

      Ein junger römischer Signifer hatte sie im Hafen auf ihre purpurnen Kleider angesprochen und schnell stellte sich heraus, dass sie das gleiche Ziel hatten. An Bord des Schiffes gesellte sich der Soldat zu den beiden Frauen. Es waren außer der Besatzung nur Handelsreisende anwesend und die kannten nur ein Thema: Waren und Preise.

      „Mein Name ist Aurelius“, verkündete der Jüngling sehr zu Carmelitas Gefallen, denn er hatte sich ihr zugewandt und zeigte Siobhan die kalte Schulter. „Wir haben Glück mit dem Wetter. Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich werde leicht seekrank und hasse diese Überfahrt. Es wird das letzte Mal sein. Publius Quinctilius Varus wurde vom Cheruskerfürsten Arminius verheerend geschlagen. Rom hat angeordnet, den Vormarsch rechtsseitig des Rheins zu drosseln. Wahrscheinlich werden sie ganz abziehen. In Gallien herrscht auch noch keine Ruhe. Zweieinhalb Legionen wurden niedergemetzelt, unter ihnen viele Feldzeichenträger wie ich es bin. Mich hat man abkommandiert, die Ausbildung neuer Fahnenträger in Germanien zu organisieren. Das liegt mir mehr, als im langweiligen Britannien Wache schieben zu müssen, was meines Ranges sowieso unwürdig ist.“

      Das war Siobhans Einsatz.

      „Ach, wir sind zu stolz für niedrige Arbeiten, wollen hoch hinaus. Was schwebt dem jungen Römer denn so vor? Erst Kohortenführer und dann eine Legion ins Feld schicken, aber über ein bisschen Geschaukel auf einem Schiff meckern. Bescheidenheit, junger Mann, ist eine oft vernachlässigte Tugend.“

      Carmelita blickte grimmig, als sich Aurelius zu ­Siobhan umdrehte. Dass sich eine Frau erdreistete, ihn zu maßregeln, warf zornige Falten in sein Gesicht.

      „Hüte deine Zunge, Mädchen. Auf diesem Schiff bin ich der Ranghöchste und du wirst mir gehorchen.“

      Carmelita mischte sich ein.

      „Lass sie. Ihr loses Mundwerk ist nicht der Rede wert. Plaudern wir über deine Karriere. Als Ausbilder kommst du bestimmt viel herum und lernst große Feldherren kennen.“ Carmelita warf Siobhan einen stechenden Blick zu und fuhr fort. „Vielleicht möchtest du mit einem purpurnen Gewand Aufsehen erregen und dich bei den Mächtigen hervortun. Ich könnte das für dich arrangieren.“

      Siobhan trat mit stampfendem Schritt zur Seite und bäumte sich vor Carmelita auf. Ihr spontan brüskes Auftreten irritierte Aurelius. Carmelita wich rücklings an die Bordwand. Siobhan ließ sie nicht aus den Augen und feuerte einige


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