Problemzone Ostmann?. Ellen Händler
Meinung sagen, Verbesserungsvorschläge einbringen oder sich über den Chef beschweren. Heute kann man sich zwar auf den Marktplatz stellen und jeden Politiker öffentlich kritisiere. Aber in der Firma konkrete Probleme deutlich ansprechen, ist kaum möglich. Als kritischer Geist bin ich vermutlich genau deshalb selbstständig tätig.
In der Wendezeit wurde auch ich, obwohl ich selbst noch keine 30 Jahre alt war, für 40 Jahre DDR verantwortlich gemacht. Das waren manchmal sehr skurrile Situationen, mit denen ich erst mal schwer umgehen konnte. Heute ist es anders. Meine Stimme hat ein anderes Gewicht als direkt nach der Wende. Die Bürger wissen, dass sie mich jederzeit ansprechen können und dass ich mich für sie einsetze. Vermutlich trug das bei den Kommunalwahlen immer dazu bei, dass ich viele Stimmen erhalten habe. Ambitionen, mich politisch auf höherer Ebene zu engagieren, habe ich nicht. Egal in welcher Partei man sich engagiert, wer Karriere machen will, muss sich letztendlich verbiegen, teilweise die eigene Meinung verleugnen. Das ist nicht mein Ding.
Zu DDR-Zeiten wurde körperlich schwerer gearbeitet. Es fehlte oft die notwendige Technik. Die Umwelt-Sauereien waren deutlich gravierender. Allerdings gibt es heute auch noch genügend Umwelt- und Lebensmittelbelastungen. Wir versuchen als Familie gesund zu leben. In der Freizeit sind wir viel im Wald und am Wasser unterwegs, mal zu Fuß und mal mit den Rädern. Mehr und mehr bin ich ein Grüner geworden. Ich sammle Wildkräuter und bereite daraus Smoothies, Salate und Suppen zu. Das macht mir Spaß und hält uns fit und gesund. Mittlerweile essen wir deutlich weniger Fleisch, dafür aber qualitativ hochwertigeres. Leider gibt es in der näheren Umgebung keinen Bauernhof, auf dem man sich sein Stück quasi schon am lebenden Tier aussuchen kann. Auch wenn es anfangs lange Zähne gab, machen mittlerweile alle in der Familie bei der grünen Ernährung mit.
Kulturell sind wir vielseitig interessiert. Wir gehen ins Theater, in die Oper und gelegentlich zu Konzerten. Ins Kino eher selten. Da ich nicht so der Fernsehgucker bin, liegt das vermutlich an mir. Ich habe nie an einen Vaterschaftstest gedacht. Über so etwas habe ich mir, wie vermutlich die meisten, damals nie Gedanken gemacht. Unserem Sohn sieht man ohnehin an, dass er von mir ist. Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu ihm, meistens reicht ein Blick, und wir wissen genau, was der andere meint. Sicherlich liegt es daran, dass wir immer Zeit für ihn hatten und sie uns genommen haben. Die ersten Jahre sind doch die entscheidenden in der Erziehung. Und du erziehst durch dein Vorleben. Ich wäre zum Beispiel nie auf die Idee gekommen, am Wochenende als Installateur zusätzlich arbeiten zu gehen. Lieber bin ich mit ihm, oft auch mit seinen Freunden, im Wald oder am Wasser unterwegs gewesen. Viele Jahre war ich sein Trainer beim Handball. Das war bestimmt nicht immer leicht für ihn, da man an den eigenen Sprössling meist höhere Ansprüche stellt als an den Rest der Mannschaft. Auf sein Lernen haben wir, zumindest wissentlich, nie Druck ausgeübt. Auch dadurch ist er ein lockerer und offener Typ geworden, der bei den meisten gut ankommt. Kurz gesagt, der Junge ist uns gut geraten, und wir sind wahnsinnig stolz auf ihn.
Ich hoffe, dass es für die Generationen, die nach uns kommen, keine Rolle mehr spielt, ob sie im Osten oder im Westen des Landes geboren wurden. Bei unserem Sohn ist das bereits jetzt der Fall. Da er so weit weg wohnt, kann man sich leider nicht einfach mal auf die Schnelle besuchen. Das ist zwar schmerzlich für uns, aber wichtiger ist, dass er glücklich ist.
Bei Familientreffen mit seinen Schwiegereltern ist es für uns manchmal etwas schwierig. Wir wollen den Familienfrieden wahren und die Kinder nicht in einen Zwiespalt bringen. In den Unterhaltungen merkt man manchmal, dass sie sich als Sieger der Geschichte fühlen. Zum Teil ist das verständlich, haben sich doch die Bilder verfestigt, dass in der DDR alles grau und kaputt war. Auch wenn wir in den Gesprächen versuchen, einiges vom Kopf auf die Füße zu stellen, geraten wir dabei in eine Verteidigungs- bzw. Rechtfertigungsposition. Wir wollen keine Ostalgie betreiben, wenn wir darauf hinweisen, dass das eine oder andere aus unserer Sicht besser geregelt war als heute. Es kann doch nicht richtig sein, wenn einem andere erzählen wollen, wie man selbst gelebt hat.
Matthias, Jahrgang 1953 | 3 Kinder, verheiratet in zweiter Ehe
Ost: Dipl.-Ingenieur für biomedizinische Kybernetik, West: Oberbürgermeister von Potsdam,
Direktor für Ökonomie und Technik im Krankenhaus, Umweltminister und Ministerpräsident des
Umwelthygieniker, Minister in der Modrow*-Regierung Landes Brandenburg
Die Seele der Demokratie
ist die Liebe zum Kompromiss
Ich bin in Potsdam geboren und habe dort in der Berliner Vorstadt meine ersten 20 Lebensjahre verbracht. Wir haben in Potsdam in einer Gegend gewohnt, in der heute nur noch wenige alte Potsdamer leben, nämlich da, wo jetzt eher die Neupotsdamer zu Hause sind, es ist mittlerweile ein sehr teures Pflaster. Von meinen alten Nachbarn und Klassenkameraden wohnt so gut wie keiner mehr dort. Es ist auch damals ein sehr schönes Stadtviertel gewesen, war aber runtergekommen, wie alles in der DDR, aber so schön gelegen am Wasser zwischen Heiliger See und der Havel, gerade rüber vom Babelsberger Park, nicht weit von der Glienicker Brücke. Und wenn man als Kind Garten, Steg und Ruderboot hat, dann kann nur noch wenig fehlen. Es gab viele Nachbarskinder. Das Großwerden damals hatte einen gravierenden Unterschied zu heute, denn wir waren fast nur draußen. Ich kann mich erinnern, wenn wir abends nach Hause kamen, waren wir ausgepowert. Unsere Eltern mussten sich nie Gedanken darüber machen, wie sie uns beschäftigen können.
Meine Familie war für DDR-Verhältnisse eine sehr christlich-konservative. Meine Mutter Pfarrerstochter, mein Großvater einer der ersten Rundfunkpfarrer bei Radio DDR. Er hat dort oft die Morgenfeier sonntags um 9:00 Uhr gehalten. Mein Vater arbeitete am katholischen Krankenhaus in Potsdam als Arzt. Es ging uns gut, bürgerlicher ging's kaum. Wir hatten keine materielle Not, sondern eine sehr behütete Kindheit. Ich habe nur gute Erinnerungen. Ein Spezifikum unserer Kindheit war, dass um uns herum viele Russen in den Häusern lebten, weil der alliierte Grenzübergang Glienicker Brücke auf der Potsdamer Seite von Russen und auf der Westberliner Seite von Amis bewacht wurde. Nicht weit weg waren die Kommandantur und das russische Magazin, hier konnten wir einkaufen. All das prägt natürlich und gehörte zum Alltag. Das hat man gar nicht mehr bemerkt. Ich weiß aber auch, dass es sehr unterschiedliche Erlebnisse gab, denn nicht weit weg war das Gefängnis in der Leistikowstraße, wo u.a. der Bürgermeister von Potsdam 1952 verschwand und nie wieder auftauchte. Ich habe später, nach 1990, sein Grab auf einem Friedhof in Moskau besucht, er ist ermordet worden. Aber ich war damals Kind und zu uns Kindern waren die Russen immer sehr, sehr freundlich.
Ich habe zwei Schwestern und natürlich gab es den üblichen Streit zwischen Geschwistern, wir mögen uns aber bis heute sehr. In den ersten sechs Jahren besuchte ich in Potsdam die POS* Nadeschda Krupskaja*. Dann habe ich die Schule gewechselt. Walter Ulbricht hatte in den 1960er Jahren weiterführende Spezialschulen initiiert, denn er wollte der DDR einen technologischen Sprung verschaffen. Für seine Großforschungszentren, die er plante, benötigte er Leute, die eine fundierte mathematisch-physikalische Ausbildung hatten. Und so ließ er in jedem Bezirk eine sogenannte Spezialschule für Mathematik und Physik errichten. Und die für Potsdam war in Kleinmachnow, sie ist das heutige Weinberggymnasium. Um dort aufgenommen zu werden, musste man – und das war eine Novität – in der 6. Klasse eine Aufnahmeprüfung ablegen. Wir lernten dort von der 7. bis zur 12. Klasse. Diese Aufnahmeprüfungen waren schriftlich und mündlich und einige Tempoabfragen ganz schön heftig. Sie legten dabei sehr viel Wert auf logisches Denken. Es gab ein Internat, aber wir Potsdamer Schüler wohnten noch zu Hause, fuhren als Crew gemeinsam täglich mit dem Bus. Die Schule war richtig gut, die Klassen relativ klein. Die jungen und sehr gut ausgebildeten Lehrer haben sich viel Mühe gegeben. In den Hauptfächern Mathe, Physik und Chemie gab es geteilten Unterricht nur mit der halben Klasse. Das war sehr intensiv. Man kam permanent dran, konnte sich hinter niemandem verstecken. Wir hatten einen tollen Klassenlehrer. Allerdings war die Schule sehr jungslastig, für die Entwicklungsphase nicht ganz so schön. Aber das wurde dadurch ausgeglichen, dass in dem Gebäude noch eine normale Schule war. Wir legten schon in der 11. Klasse die Abiturprüfung ab. In der 12. Klasse bekamen wir Zusatzstoff. Von dieser guten Ausbildung habe ich lange gezehrt. Das erleichterte auch meinen Start im Studium deutlich. Ich habe biomedizinische Kybernetik und Bionik in Ilmenau an der heutigen Technischen Universität studiert.