Problemzone Ostmann?. Ellen Händler

Problemzone Ostmann? - Ellen Händler


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      Ich ging zur Bank und lotete die vielen finanziellen Möglichkeiten für eine neue Büroeinrichtung und natürlich für den Weiterbau unseres Hauses aus. Ich kaufte mir eine ordentliche Büroausstattung, die es in der DDR so nicht gab. Als Freiberufler konnte man da richtig zulangen. Und es ging sehr viel Geld drauf. Es gab Förderkredite, und ich habe die gerne in Anspruch genommen. Heute würde ich sagen, dass ich in die Falle gegangen bin. Man hat mir zwar gesagt, dass ich in den nächsten 20 Jahren möglichst nicht krank werden sollte. Aber das habe ich verdrängt. Wir waren noch relativ jung und dachten, dass das schon klappen wird. Ich konnte also materiell meinen Beruf ausüben und mein Talent kannte ich. Es entdeckte mich ein Wessi, der mich unter Wert einkaufte. Ich sammelte Erfahrungen, lernte andere Kreise kennen, die mich weiterbrachten. Dass Häuser mit Tiefgaragen gebaut werden, so etwas gab es im Osten nicht. Ich bin also in die kapitalistische Arbeitsweise hineingerutscht. Meine Aufträge lagen vorwiegend im Osten, es waren schöne Sachen dabei, und das Geld war ordentlich. Ich hatte zwar keinen Ruhm, aber meine Arbeit wurde geschätzt. Ich war Anfang der 2000er Jahre in Usbekistan, in Moskau, Kasan, in Taschkent, und habe dort große Gebäude entworfen. Aber diese Firma ging als Auftraggeber insolvent. Ich hätte mich davor anders orientieren müssen. Man kann sich niemals – und das lernt man im Kapitalismus – auf nur einen Auftraggeber konzentrieren, jedenfalls nicht als Freiberufler. Das habe ich versäumt. So fehlte mir die Alternative.

      2004 wurde ich mit einem Burn-out krank. Und das war das Ende des Geldverdienens für uns und die Bank. Ein nobles Haus kostet nobles Geld und die Kredite musste ich abzahlen. Durch das Schwächeln ging das nicht mehr so. Ich war krankgeschrieben und für vier bis fünf Wochen in der Reha-Klinik für psychosomatische Krankheiten. Das half mir zwar sehr, ich musste aber wieder neu anfangen. Diesmal setzte ich auf Fotovoltaikanlagen. Leider kannten und wollten die Leute so etwas nicht. Es lief schleppend. Die Bank bekam das mit und kündigte meine Kredite. Banken neigen dazu, ihr Geld zügig wieder zurückbekommen zu wollen. Die Methoden sind nicht angenehm. Sie haben unser Haus versteigert. Es war weg, und ich musste mich wieder neu orientieren. Das wurde eine holprige Zeit und ich bin deshalb heute trotz Rentnerstatus noch immer im Beruf tätig. Über die Jahre fand ich wieder feste Partner. Man kennt meine Fähigkeiten und mein Durchsetzungsvermögen. Heute arbeite ich an altlastigen Militärobjekten, die zu Wohnungen umgebaut werden.

      Ich habe mit West- und Ostleuten zusammengearbeitet. Aber es stellte sich schnell heraus, dass das mit West nicht zusammenpasst. Die unterschiedliche Entwicklung über 40 Jahre in beiden deutschen Staaten hat zu erheblich unterschiedlichen menschlichen Entwicklungen geführt. Obwohl Wessis, die mich haben wollten, mich umgarnten, nie einer sich erlaubte, frech zu werden, zeigten sich die Unterschiede knallhart. Einmal sollte ich nach einem Entwurf ein Einfamilienhaus bauen, der Flur hatte aber keine Fenster, also keinerlei natürliches Licht. Ich schlug deshalb vor, den Kunden zu beraten und ihm zu vermitteln, das Tageslicht wichtig sei. Das ist mein Verständnis von meinem Beruf. Der Wessichef aber sagte: »Wir können nicht beraten, wir müssen Geld verdienen.« Das ist sicherlich nicht die Denkweise aller meiner Berufskollegen. Aber Geld ist die einzige Moral, die uns sofort nach der Wende entgegenschlug. Wir bauen zwar für Menschen, es geht aber meist zuerst um das eigene Honorar. Ein Grundstück maximal auszunutzen. Die Ämter haben dafür gesorgt, dass man nicht alles komplett bebauen darf. Aber wenn es zur damaligen Zeit nach den Investoren aus dem Westen gegangen wäre, wäre Berlin heute zubetoniert. Je höher und je mehr Gebäude, desto mehr Miete, und umso mehr erhielt der Architekt als Honorar. Mit Architektenphilosophie vom menschlichen Bauen hatte das nichts zu tun. Ich wollte schön bauen und gleichzeitig Geld verdienen. Aber ich hatte meine eigenen Ansprüche, und daran bin ich manchmal gescheitert. Ein Apotheker wollte zum Beispiel ein großes Haus haben. Ich entwarf es in vielen Sitzungen mit allem Drum und Dran, Pool und Sauna im Keller. Eines Tages kam er mit einem Katalog eines großen Villenanbieters, in dem ein völlig kitschiges Haus war, Villen mit Kitsch-Säulen, und ich fragte ihn, ob er mich veralbern wolle. »Wenn das die ästhetischen Vorstellungen sind«, so sagte ich, »nehme ich meine Tasche und meinen Hut.« Ich machte einen letzten, gestalterisch ausgewogenen Entwurf für sein Schloss. Wir mussten uns trennen, es war ihm zu teuer. Trotzdem wurde mein Entwurf verwirklicht – mit meinen Urheberrechten. Jetzt steht es. Er gab viel Geld aus, aber für meinen Entwurf, so wie ich das vorgeschlagen hatte. Darauf bin ich stolz, aber so etwas ist anstrengend.

      Bestimmte Posten in meiner Berufsgruppe sind eine Männerdomäne, das war auch im Osten so. Auf dem Bau war es für eine Frau schwer, besonders für Architektinnen. Frauen waren weniger in Leitungspositionen, obwohl es im Studium mindestens so viel Mädels wie Jungs gab. Viele haben sich nach dem Studium aber unsicherer gefühlt, manche sind später aus dem Beruf rausgegangen. Frauen mehr als Männer. Auf dem Bau war es schon immer sehr rüde. Saufen, die Art des Miteinanders, eine Frau ist da unter den Jungs gefährdet. Eine Architektin auf dem Bau hatte allein kaum eine Chance. Und wenn die noch hübsch war, gab es die alten Klischees. Man muss aber sagen, dass manche Frauen die Fähigkeiten für den Beruf nicht hatten. Das Auswahlkriterium für das Studium der Architektur war die Durchschnittszensur im Abi und nicht das Talent, das Technikverständnis. In so einem komplexen Beruf reicht eine gute Marxismus-Leninismus Note nicht aus. Talent, Mathe, Management und Führungseigenschaften sind gefragt.

      Der Ostmann hat sich in den Westen eingebracht. Es fehlt ihm aber manchmal an Individualität. Viele meiner Ostkollegen sind in den Westen gegangen und dort erfolgreich. Es fand mit der Völkerwanderung von Ost nach West eine Durchmischung statt. Auch Ostbüros haben sich ohne und mit Partnerschaften im Westen etabliert. Ich kann mir vorstellen, dass der Ostmann den Westmann beeinflusst hat. Die Solidarität des Ostens hat den Westen beeinflusst. Die Leute, die nach der Wende vom Westen in den Osten kamen, hier arbeiteten, das waren oft nicht die Besten, denn wenn sie gut gewesen wären, wären sie zu Hause geblieben. Das gab es überall und es schwappten die rüber, die im Westen keine Chance hatten. Wir haben zuerst nur diese Wessis kennengelernt. Das relativierte sich dann auf etablierte gute und tolle Geschäftsleute, solide und menschlich. Geblieben ist aber auch, dass in solchen Krisensituationen wie hier im Osten nach der Wende schon immer Leute fragwürdige Sachen durchgesetzt haben. Dazu gehört auch die AfD. Es ist logisch, dass die Leute immer dahin rennen, wo sie glauben, ihre Gesinnungsanknüpfung und ihre Gerechtigkeit zu finden. Ich kenne die Besetzung der AfD nicht gut genug, aber viele haben auf die anderen Parteien keine Lust. Und die angeln natürlich diese Enttäuschten und Frustrierten. Man muss den Menschen nur ein Bild malen, das sie sehen wollen, und dann kommen sie. Das ist ein uraltes Spiel.

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