Chimära mensura?. Группа авторов

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Stammrollen im Falle Buchenwald nachweisen das direkte Nachfahren von KZ-Wachhunden um 1947 auch im Speziallager Nr. 2 eingesetzt wurden.20

      Beide totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts einte also dieselbe Gewalttradition. In einem fast schon dynastischen Verhältnis wurden mehrere Generationen von Schäferhunden als Instrumente totalitären Terrors eingesetzt und missbraucht. Die Implikationen dieser bisher unerforschten Kontinuität für eine Gewaltgeschichte des „Jahrhunderts der Extreme“ sind immens. Während die NS-Vergangenheit einer bestimmten Gruppe von Funktionären und Parteimitgliedern in der vermeintlich „antifaschistischen“ SBZ sowie der späteren DDR bekannt und in Teilen gut erforscht ist, hat sich bisher niemand die Mühe gemacht, auch Kontinuitäten im Mensch-Tier-Verhältnis nachzugehen.

       Die Hunde der DDR-Grenztruppen

      Die DDR hatte ein ambivalentes Verhältnis zum Deutschen Schäferhund. Einerseits nahm sie sich im Sinne der Debatte um „Erbe und Tradition“ des Hundes als Teil der eigenen Nationalgeschichte an. Dabei konnte der Unrechtsstaat DDR durch seine Missachtung von Markt und Privateigentum ganz anders regulierend eingreifen in Bereiche, die in der Bundesrepublik als „Privatsphäre“ galten, wie etwa die Heimtierhaltung. Die Hundezucht unterlag hier deutlich strengerer Kontrolle, was unter anderem zur Verbesserung der Hundegesundheit führte: In der DDR wurde bei der Zucht von Deutschen Schäferhunden großer Wert auf das Zurückdrängen der Hüftdysplasie (HD) gelegt.

      Während 1968 noch mit Hunden mit mittlerer HD gezüchtet wurde, wurden ab 1972 nur Hunde mit leichter HD zur Zucht eingesetzt. Ab 1979 wurde dann nur noch mit komplett HD-freien Tieren gezüchtet, diese Restriktionen führten zu einem deutlichen Rückgang. Statistiken der DDR weisen für 1985 sogar 94,4 Prozent HD-freie Tiere aus – ein Wert der in Westdeutschland nie erreicht wurde.21 Dieses Positivurteil relativiert sich jedoch bei näherer Betrachtung zu einer beunruhigen Ambivalenz.

      Einerseits ist zu bedenken, dass diese Zahlen nicht nachprüfbar sind und wie alle anderen Statistiken der DDR-Gesellschaft unter dem Diktum der Planerfüllung standen. Nimmt man sie als real an, so waren sie nur erreichbar durch massive Auslese und Ausmerzung – es entstand eine ganze Klasse von Hunden, die in der Zucht nicht verwendet wurden. Sie wurden nicht etwa sterilisiert, sondern fanden eine ebenso geheime wie gewaltvolle Verwendung an der innerdeutschen Grenze – doch dazu später mehr. Zu den angeblichen Erfolgen der DDR-Hundezucht, die auch heute von Ostalgikern aller Couleur noch hochgehalten werden ist zudem zu bedenken, dass die eugenische Zucht des Hundes in der DDR nur möglich war, weil die innerdeutsche Grenze spätestens 1961 auch zur Populationsgrenze für zwei sich auseinander entwickelnde Populationen von Schäferhunden wurde. 40 Jahre lang wurden ost- und westdeutsche Hunde nicht miteinander gekreuzt, das entspricht auf die Lebensdauer der Hunde gerechnet 280 Menschenjahren. Die Mauer, die menschliche Familien für zwei Generationen auseinanderriss, trennte die Hundepopulationen für über 20 Generationen.22 Dieser Zusammenhang, den ich hier nicht weiter ausführen kann, macht deutlich, dass die Auswirkungen der Politik des SED-Staates keineswegs marginal für das Mensch-Tier Verhältnis waren, sondern trotz der oben dargestellten Kontinuitäten gleichzeitig einen radikalen Einschnitt bedeuteten. Doch nun zurück zum Thema meines Vortrages, den Hunden im Staatsdienst. Hunde dienten bis 1950 nicht nur in sowjetischen Speziallagern der SBZ als Wachtiere, sondern wurden gleichzeitig auch bei der kasernierten Volkspolizei und den NVA-Hundestaffeln eingesetzt, mit Tieren aus derselben Zucht und Hundeführern, die aufgrund von Personalmangel mehrere Institutionen bedienten. Aus den NVA-Hundestaffeln entwickelte sich dann ab 1961 jenes spezifische Grenzregime, das Marie-Luise Scherer 1994 in einer bahnbrechenden Artikelserie im Spiegel, die später auch als Buch herauskam, als „Hundegrenze“ bezeichnete.23 Denn Hunde waren, neben Mauerschützen und Selbstschussanlagen, die zentrale Größe im DDR Grenzregime. An der innerdeutschen Grenze waren im Jahr 1989 ca. 5-7000 Hunde eingesetzt, eine enorme Zahl. Geführt wurden die Hunde von den Grenztruppen der NVA, die hierfür bevorzugt Deutsche Schäferhunde einsetzten, in einem zweiten Verwendungsschritt allerdings fast wahllos auf alle Hunderassen zurückgriff. Diese Zweistufigkeit des Hundeeinsatzes im Grenzgebiet ist wenig bekannt und soll daher kurz erläutert werden. Zum Ersten waren da die Wach- und Fasshunde, sogenannte „scharfe Hunde“ die stets gemeinsam mit einem menschlichen Hundeführer eingesetzt und gezielt auf die Ergreifung von Flüchtenden trainiert wurden. Diese Hunde mussten von hoher Intelligenz sein, sowohl folgsam als auch lernfähig, aggressiv aber auch diszipliniert. Ihr Training dauerte mehrere Monate und wurde ihr Leben lang in laufenden Übungen fortgeführt: In den staatlichen Hundeschulen der DDR-Bezirke mussten sie im DDR-Deutsch „Bezirksscheintäter“ genannte Trainer in gepolsterter Ausrüstung ergreifen und sich gezielt in bestimmten Körperregionen, meist im Unterarm, festbeißen. Offiziell diente dies zur „Ergreifung Verdächtiger zwecks späterem Arrest“, faktisch wurden damit die Hunde gezielt zum Reißen von Mauerflüchtlingen abgerichtet – Flüchtlinge, die anders als der „Bezirksscheintäter“ keine „Scheintäterjacke mit Spezialwattierung“ am Leibe trugen, ein Kleidungsstück das als Spezialanfertigung vom Berliner VEB Herrenbekleidung „Fortschritt“ an die Grenztruppen geliefert wurde.24 Enorme Verletzungen bei Fluchtversuchen waren die Folge und wurden von den DDR Grenztruppen billigend in Kauf genommen. Bei dieser ersten Art der Verwendung wurden fast ausschließlich Deutsche Schäferhunde in eigens aufgestellten Hundestaffeln eingesetzt, quasi die Elite unter den Hunden der DDR-Grenztruppen. Weniger bekannt ist, dass es noch eine zweite Linie der DDR-Grenzsicherung gab, die ebenfalls durch Hunde geleistet wurde – die sogenannten „Leinenhunde“. Sie liefen, unbeaufsichtigt im Todesstreifen Patrouille, fixiert an sogenannten „Laufleinen“, eine Weiterentwicklung des bekannten „Kettenhundes“. Scherer beschreibt das Prinzip folgendermaßen: „Eine Laufleinenanlage bestand aus einem zwischen zwei Böcken mannshoch gespannten Drahtseil, dem Laufseil. Je nach Gelände war es zwischen 50 und 100 Meter lang. An dem Laufseil hing, mit einer Laufrolle oder einem Ring verbunden, die zweieinhalb Meter lange Laufleine des Hundes. Da sich die Laufstrecke des nächsten Hundes unmittelbar anschloß, die Hunde aber nicht aufeinandertreffen durften, waren vor dem jeweiligen Ende des Laufseils Stopper oder Seilklemmen angebracht.“25 Die Hunde an der Laufleine genossen anders als die „scharfen“ Greifhunde keine besondere Ausbildung, gehörten verschiedenen Hunderassen an. Die Auswahl erfolgte, ich zitiere die Aussage eines von Scherer interviewten Hundebeschaffers namens Schween, nach mehr als laxen Kriterien: „Letztere mussten im Unterschied zu den Diensthunden weder Fähigkeiten mitbringen noch später erwerben. Sie hatten nur nach einem Hund auszusehen, worunter Schween eine gewisse abschreckende Größe verstand. Im Idealfall waren sie dunkel und stämmig und durch eine dichte Unterwolle winterhart. Sie sollten nicht von augenfälliger Treuherzigkeit sein und möglichst ohne geringelte Rute. Schween bevorzugte reizbare Kettenhunde vom Dorf mit spitzen Ohren.“26 Hier diente die dritte und vierte Reihe der DDR-Hundezucht, Hunde, die in der Eugenik des DDR-Zuchtsystems zum Ausschuss gehörten, zur Fortpflanzung nicht geeignet waren – ich zitiere: „Neben den tadellosen, zum Schutz- und Fährtendienst geeigneten Exemplaren gaben sie ihre Mängelexemplare an die Grenztrasse ab; der Zucht abträgliche Hunde mit Zahn- oder Gebäudefehlern, mit sogenannter Wesensschwäche, die Einhoder oder auch den langhaarigen, vom Standard abweichenden altdeutschen Schlag.“27 Ob altdeutsche Einhoder oder Kettenhund mit spitzen Ohren – an den Leinen der Grenze war fast jedes Tier zu gebrauchen. Entsprechend ihrer Einstufung als Mängelexemplare wurden die Hunde an den Leinen auf elendste Weise vernachlässigt. Sie liefen unbeaufsichtigt, ohne Gesellschaft von anderen Tieren. „Es gab keinen Schatten für die Hunde, außer dem schmalen Streifen, den gegen Abend die Hütte warf [...] Auch die Hütten selber, zerlegbare Holzwürfel mit windgeschütztem Seitenglass, … waren Brutöfen im Sommer, aus denen es sogar die Verschreckten trieb.“28 Nur einmal am Tag gab es Wasser, achtlos in Stahlnäpfe gefüllt, an heißen Tagen laut Order zweimal – wenn die Order denn erfüllt wurde. Doch, ähnlich wie Mühsam über die Schweiz von 1910 berichtet, lief auch in der DDR mit dem Diensthund nicht alles nach Plan. Der Zeitzeuge Tewes, Anwohner der Grenze, berichtet von einem Fall in dem ein männlicher Rüde durch einen durchgescheuerten Ring dem Laufseil entkommen konnte und frei im Grenzraum herumirrte. Aus Kontakten zwischen ihm und weiblichen Grenzhunden resultierten zahlreiche Schwangerschaften. Doch statt die Hündinnen wenigstens an diesem Punkt von der Leine zu nehmen, sahen die Grenztruppen die Trächtigkeit


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