Chimära mensura?. Группа авторов

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außerhalb Berlins gab es ähnliche Verluste durch Auslösung von Selbstschussanlagen. Betroffen waren hier vor allem freilaufende Hunde. Die Zahlen sind hier unklar, die Gesamttodeszahl von 13 toten Hunden West und 21 toten Hunden Ost bezieht sich nur auf die mir bekannten, aktenkundigen Fälle – es ist sicherlich von einer weit höheren Dunkelziffer auszugehen. Insbesondere die Laufleinenhunde der NVA wurden in zynischer Manier als entbehrlich und nicht zählenswert behandelt. Hier muss es hunderte weitere tote Hunde gegeben haben, über die wir nichts wissen.43 Im BGS, der deutlich weniger Tiere, diese jedoch gezielter einsetzte, ist dagegen eine geringere Dunkelziffer an toten Hunden zu vermuten. Hunde des BGS kamen an der innerdeutschen Grenze nur zweimal durch Schüsse von NVA Grenztruppen ums Leben – 1962 und 1981.44 In der Regel wurden Zwischenfälle solcher Art, der ja im Ernstfall diplomatische Konsequenzen bis hin zu einem dritten Weltkrieg gehabt hätte, durch strikte Einhaltung des Leinenzwangs vermieden.45 Nicht nur zur Vermeidung diplomatischer Zwischenfälle oder gar des Anscheins einer Aggression wurde der Leinenzwang für Diensthunde durch den BGS strikt eingehalten. Es galt zudem, der Bevölkerung für den in den 1950er Jahren auch in westdeutschen Städten und Landgemeinden zunehmend eingeführten Leinenzwang ein Vorbild zu sein.46 Wichtiger jedoch: Die Tatsache, dass Republikflüchtlinge im Westen grundsätzlich willkommen waren und als Beweis für die Überlegenheit des Westens galten, machte den Einsatz scharfer Hunde faktisch unnötig. Die defensive Rolle der BGS-Hunde änderte sich jedoch in den 1990er Jahren, als die innerdeutsche Grenze fiel. Während die Mehrzahl der NVA-Hunde in den Ruhestand versetzt wurde, rückte der Bundesgrenzschutz nun nach Osten und nahm die Schäferhunde mit. An der deutsch polnischen Grenze wurden ihn nun ganz neue Aufgaben übertragen und sollten aggressiv gegen Flüchtlinge und „Schleuser“ vorgehen.

       Fazit und Ausblick

      Als Ausblick stehen meiner Ansicht nach zwei Konsequenzen im Raum. Erstens muss die Geschichte des Mensch-Tier Verhältnisses an der innerdeutschen Grenze weiter aufgearbeitet werden und im Falle der Grenzhunde, ob nun Schäferhunde oder andere, erinnerungspolitisch thematisiert werden. In diesem Sinne wären die mindestens 34 an der Mauer getöteten Hunde in die Planungen des Berliner „Einheits- und Freiheitsdenkmals“ mit einzubeziehen und symbolisch zu würdigen. Ob dies über eine gesonderte Namenstafel oder über eine eher metaphorisch-künstlerische Form geschieht, wäre zu diskutieren. Denkbar ist beispielsweise die Integration einer symbolischen Stahlleine in Erinnerung an die Laufleinen der NVA, gleichzeitig Anspielung auf die Metapher der Ankettung innerhalb des SED-Staates im Allgemeinen. Eine zweite, vielleicht utopischere Forderung wäre im Sinne der „animal liberation“ das Ende der Projektion von menschlicher Staatsgewalt durch Hundekörper. Insbesondere alle auf Verletzung und Ergreifung von Menschen dressierten Wach- und Fasshunde müssen entlassen und in ein ziviles Leben resozialisiert werden. Es kann schlicht nicht sein, dass 25 Jahre nach dem Fall der Mauer und 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Deutsche Schäferhund ungebrochen Träger und gleichzeitig Opfer eines Gewaltverhältnisses ist, vor dem die Mehrheit der Bevölkerung ihre Augen verschließt.

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      1 Der Vorgang ist dokumentiert in: Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv (Freiburg), Kommando der Grenztruppen, Stellvertreter des Chefs der Grenztruppen und Chef Technik und Bewaffnung, BArch GT, DVH 321124

      2 „Hitler hatte das größte Vergnügen, wenn Blondi wieder ein paar Zentimeter höher springen konnte [...], und er behauptete, die Beschäftigung mit seinem Hund sei seine beste Entspannung.“ Hitlers Sekretärin Traudl Junge in ihren Memoiren. Vgl. Junge: Bis zur letzten Stunde. Düsseldorf 2001, S.47.

      3 Benedict Anderson. Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Berlin 1988. Vgl. Wolfgang Wippermann u. Detlef Berendzen, Die Deutschen und ihre Hunde. Ein Sonderweg der deutschen Mentalitätsgeschichte. München: Siedler, 1999.

      4 Krug-Richter, Barbara, Hund und Student - eine akademische Mentalitätsgeschichte (18.-20. Jh.), Jahrbuch für Universitätsgeschichte 10 (2007), S.77-104. (Online: http://www.burschenschaftsgeschichte.de/pdf/krug-richter_hund_student.pdf)

      5 Max v. Stephanitz: Der deutsche Schäferhund in Wort und Bild. 6 Auflage. Verlag des „Verein für Deutsche Schäferhunde (SV)“, Jena 1921.

      6 Es gibt allerdings Vorläufer: Eine polizeiähnliche Tätigkeit eines Hundes wurde zwar erstmals Anfang des 12. Jahrhunderts bekannt, als Stadtwächter einen Hund in der französischen Hafenstadt Saint-Malo nachts einsetzten. Bekannt wurden Polizeihunde auch 1816 in England zum Aufspüren von Whiskyschmugglern. 1896 stellte die Stadt Hildesheim für Nachtwächterdienste Doggen ein, dem sich die Städte Schwelm und Braunschweig anschlossen. Eine planmäßige Einsetzung von Hunden erfolgte jedoch erst um 1900. Vgl. Die Geschichte des Polizeihundes bei: Reiter- und Diensthundeführerstaffel Hannover, Zirkulare, Heft 8/1967.

      7 Erich Mühsam, Tagebücher Heft l, Château-d'Oex, Freitag d. 26. August 1910, onlineausgabe: http://muehsamtagebuch.de/tb/diaries.php

      8 Mieke Roscher, Human-Animal Studies, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte,25.1.2012,URL: http://docupedia.de/zg/Human-Animal_studies?oldid=84625. Vgl. auch: Pascal Eitler/Maren Möhring, Eine Tiergeschichte der Moderne: Theoretische Perspektiven, in: Traverse - Zeitschrift für Geschichte (2008), H. 3, S. 91 - 105.

      9 Mieke Roscher, Human-Animal Studies, Version: 10, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.1.2012, URL: http://docupedia.de/zg/Human-Animal_studies?oldid=84625. Vgl. auch: Jason C. Hribal, Animals, Agency, and Class: Writing the History of Animals from Below, in: Human Ecology Review 14 (2007), H. 1, S. 101-112; Clay Mcshane/Joel Tarr, The Horse in the City: Living Machines in the Nineteenth Century, New York 2007.

      10 Steinbrecher, Aline, Fährtensuche. Hunde in der frühneuzeitlichen Stadt, in: traverse 2008/3.

      11 Eric Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, übersetzt von Yvonne Badal. Hanser, München/Wien 1995.

      12 Vgl. Wilhelm Henck, Der Hund auf dem Schlachtfelde - Briefe über seine Geschichte, Erziehung und Verwendung im Felde, Berlin, o. J. [1919]; online im EU-Archivprojekt „EUROPEANA“: http://www.europeana1914-1918.eu/de/europeana/recordl9200231/BibliographicResource_3000060330274#sthash.OjvMcMjI.dpuf

      13 Ebenda.

      14 Henry Picker: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, Berlin 2003, S. 235.

      15 Auf die Aktualität der politischen Instrumentalisierung von Hunden im Wahlkampf verwies der Kynohistoriker Prof. Wolfgang Wippermann in einem Interview mit der ARD: „Wenn Politiker sich mit Hunden in der Öffentlichkeit zeigen, so soll das Sympathie hervorrufen, es ist sogar eine Werbung. Warum ruft das Sympathie hervor? Weil sich damit der Politiker als Mensch wie du und ich darstellt, er ist nicht so unmenschlich, er ist nicht nur Politiker, er ist auch Mensch und er zeigt, dass er Gefühle hat, Gefühle die er dem Hund gegenüber zeigt und wenn der Hund diese Gefühle erwidert, so ist gewissermaßen eine Art Symbiose hergestellt, zwischen den Politikern, dem Politiker und dem Hund, und das weckt eine Welle der Sympathie.“ ARD-Interview, 24. Februar 2002. online unter: http://web.archive.org/web/2008061 1050301/http://www.ndrtv.de/doku/20010705/folge1/wippermann.html

      16 Heinrich Hoffmann, Hitler wie ihn keiner kennt, Berlin 1932.

      17 Das Motiv erhielt auch eine literarische Verarbeitung - Michael Degen erzählt eine Geschichte des NS aus der Perspektive eines Hundes, vgl. ders., Blondi. München 2004.

      18 Die „Standort- und Kommandanturbefehle des Konzentrationslagers Auschwitz 1940-1945“ verzeichnen zahllose Verordnungen zum Gebrauch von Hunden, vgl. die gleichnamige Edition des Instituts für Zeitgeschichte, München 2000, herausgegeben von Norbert Frei.

      19 Im Archiv der Gedenkstätte Buchenwald haben sich Quittungen mit den Namen Heinz Mengelmaier und Arthur Grylitzki erhalten, jeweils vom Juni 1940 und Mai 1944. Archiv Buchenwald, Bestand Lagerleitung, Abrechnung 1940, Sig. 444/129. Über eine Anfrage beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit ergab sich, dass dem MfS die NS-Verstrickung Heinz Mengelmeiers, der den Rang eines SA-Obertruppführers bekleidete, bekannt war, dort fand sich auch der Hinweis auf Hundelieferungen an das Speziallager


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