Chimära mensura?. Группа авторов

Chimära mensura? - Группа авторов


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      CSF: Haben Sie die Chimaira-Erklärung einmal genauer durchgelesen? Dort wird geleugnet, dass die „Schäferhund-Thesen“ absurd seien. Der Hoax wird auch nach der Enthüllung noch für bare Münze genommen. Chimaira schreibt: „Weiterhin ist bisher weder bewiesen noch widerlegt, dass Wachhunde aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nicht von KZ-Hunden abstammten.“

      Man muss sich das einmal vor Augen führen: Es gibt einen Beitrag mit erfundenen Thesen, der einer wissenschaftlichen Strömung nach dem Mund redet, und die Vertreter_innen dieser Strömung antworten: Beweisen sie uns doch mal, dass ihre Thesen wirklich erfunden sind! Jetzt soll also die arme Christiane Schulte beweisen, dass die NVA-Hunde nicht doch von KZ-Hunden abstammen. Zum Glück gilt in der Geschichtswissenschaft das Primat der Quellen, das heißt, wer eine Behauptung über die Vergangenheit aufstellt, muss eine historische Quelle dafür anbringen. Die Antwort von Chimaira zeigt, dass die Human-Animal Studies kein Wissenschaftsverständnis haben. Sie folgen dem Dogma der animal agency und Kritiker_innen sollen ihnen das Gegenteil beweisen. In der Astrologie wird recht ähnlich argumentiert: Beweisen Sie uns erst einmal, dass Sternzeichen nicht doch etwas über Ihren Charakter aussagen!

      Das zeigt auch, was passiert, wenn sich eine wissenschaftliche Strömung nur mit sich selbst beschäftigt ist und in einer Selbstbestätigungschleife festhängt. So etwas passiert auch Vertreter_innen von Ansätze, die sich selbst als kritisch begreifen – wie in den Human-Animal Studies, deren Vertreter_innen sich ja ständig als total radikal inszenieren, die die ultimativ unterdrückten Tiere zurück in den Diskurs holen wollen etc. Kritische Wissenschaft braucht eben immer auch ein Außen, mit dem sie diskutieren kann. Aber mit Schäferhunden können sie nicht diskutieren, auch wenn manche aufs Wort hören. „Außen“ bedeutet, dass gerade Kritische Wissenschaft immer auch mit dem Mainstream diskutieren muss. Andererseits bedeutet dieses Außen auch, dass Kritische Wissenschaft immer eine Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse ist. Und Gesellschaft ist ein Verhältnis zwischen Menschen und Menschengruppen, es geht um Herrschaft, um Privilegien, um Verteilung von Ressourcen und Arbeitskraft nach Geschlecht, Klasse oder anderen Kategorien. Diese Ungleichheiten zu thematisieren, sie überhaupt sichtbar zu machen und gesellschaftliche Gleichheit einzufordern: Das ist Kritische Wissenschaft!

      Dazu gehört auch das gesellschaftliche Naturverhältnis, also der Umgang von Menschen mit der Natur. Die agency-These in den Human-Animal Studies baut hier jedoch einen Fetisch auf. Dadurch werden ethische und politische Kategorien wie „Ausbeutung“ auf Tiere projiziert und Herrschaftsverhältnisse zwischen Menschen somit unsichtbar gemacht.

      Eine ähnliche These gibt es in der Klimadiskussion beim „Anthropozän“, dem „Menschenzeitalter“ als geologische Epoche. Hier gibt es die Tendenz, die Menschheit als Block zu sehen, verantwortlich für Klimawandel und Naturzerstörung. Doch schon ein Blick auf die Klimaverhandlungen zeigt, dass es „die Menschheit“ nicht gibt. Es gibt ökonomisch starke Staaten, die seit Jahr hunderten die Natur in Besitz genommen und andere Menschengruppen unter drückt haben und damit gerne ungestört weitermachen würden. Es gibt Unternehmenslobbys, die enorme Ressourcen mobilisieren, um sich ihr Geschäft nicht zerstören zu lassen. Der Klimakonflikt ist eben kein Konflikt zwischen „Menschheit“ und „Natur“ oder gar zwischen Menschen und Eisbären. Es ist ein gesellschaftlicher Kampf zwischen Menschengruppen mit Macht und anderen, die von Geld, Macht und Ressourcen ausgeschlossen werden.

      Lange Rede, kurzer Sinn: Kritische Wissenschaft braucht einen Begriff von Gesellschaft. Und Gesellschaft ist die Arbeitsteilung und Machtverteilung zwischen Menschen.

      s\u: Ist Kritische Wissenschaft für Sie nur jenseits des sogenannten Posthumanismus möglich? Es gibt doch auch innerhalb dieser Strömung Ansätze, deren Vertreter_innen sich durchaus als feministisch, antikapitalistisch etc. verstehen, so z. B. Donna Haraway (die Sie ja auch zitieren) oder die Debatten um das Capitaloscene.

      CSF: Wichtig ist, dass unser Beitrag nicht als pauschales Bashing von Dekonstruktivismus, postmoderner Theorie oder gar von Geisteswissenschaften generell verstanden wird. Geschichtswissenschaft muss stets Mythen dekonstruieren, etwa wenn es um Nationalismus geht. Das ist auch im Mainstream anerkannt. Aber jede Geschichtsschreibung baut auch eine neue Erzählung auf. Die „reine“ Dekonstruktion ist also nicht möglich. Man kann nur eine revidierte, anders begründete, weniger pauschale Rekonstruktion vorlegen.

      Das Problem am Posthumanismus ist, dass die totale Dekonstruktion versucht wird. Auf der Strecke bleiben dabei wesentliche ethische Grund­ideen, die zum Glück nicht nur von der politischen Linken geteilt werden. Es ist nämlich nicht möglich, den Begriff „Spezizismus“ zu verwenden oder von „menschlichen und nicht-menschlichen Tieren“ zu reden, ohne Mensch und Tier gleichzusetzen. Die Human-Animal Studies haben explizit zum Ziel, diese Grenze zu verwischen. Ergebnis sind Gleichsetzungen wie „Hühner-KZ“ oder die PETA-Werbung, in der die Schweinemast mit dem Holocaust verglichen wird. Auch wenn sich von diesen Auswüchsen innerhalb der Human-Animal Studies distanziert wird, bleibt das grundsätzliche Problem dahinter bestehen: Sobald man Tieren denselben Status wie Menschen zuschreibt, ist das Ergebnis nicht die Aufwertung von Tieren, sondern die Abwertung von Menschen. Der Tierrechtler und Ethiker Peter Singer hat das auf die Spitze getrieben. Er fordert Menschenrechte für Affen und stellt in seiner Praktischen Ethik fest, dass die Tötung behinderter Säuglinge gerechtfertigt sein könne.

      Posthumanist_innen müssen sich nicht auf diesen gefährlichen Stuss einlassen. Die Kritik am klassischen Humanismus der Renaissance, der von einem per se „guten Wesen“ des Menschen ausgeht, ist natürlich notwendig. Die essentialisierende Annahme vom „an sich“ guten Menschen ist schon seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr zu halten. Doch die Lehre aus der Gewalt von Menschen gegen Menschen kann nicht sein, die Menschlichkeit als Konstrukt einzureißen.

      Die Menschenrechte sind eine soziale Konstruktion: irgendwann erfunden, 1948 in einer Konvention festgeschrieben. Und dennoch kämpft man für ihre Durchsetzung und sollte das auch weiterhin tun, man sollte sie auf die soziale und ökonomische Sphäre ausweiten.

      Der Kampf um soziale Rechte ist alles andere als ausgekämpft. In Pakistan gibt es eine NGO für Esel, in der Londoner U-Bahn werden dafür per SMS Spenden gesammelt. Aber Flüchtlinge will man in Großbritannien und auch anderswo nicht so gerne aufnehmen und hält sie lieber in Calais im Lager fest. Es stellt sich doch die Frage, ob wir in solchen Zeiten mehr Tierrechte und Posthumanismus oder nicht eher einen neuen Humanismus brauchen?

      s\u: Es ist aber doch bemerkenswert, dass die Stellungnahme des AK Chimaira mit Vorwürfen des „Vertrauensbruchs“ argumentiert, die Zeitschrift Totalitarismus und Demokratie die Intervention als „arglistigen“ Missbrauchs des „liberalen Grundverständnis der Zeitschrift“ kritisiert. Hier werden die Kategorien der Redlichkeit und des Vertrauens als zentrale Elemente von Wissenschaft postuliert, die Dimension der Wahrheit jedoch nicht. Ist dies Ihrer Ansicht nach ein Teil des von Ihnen dargestellten größeren Problems konformer Wissenschaft?

      CSF: Diese Vorwürfe lenken davon ab, dass in beiden Fällen wissenschaftliche Standards nicht kontrolliert wurden, weil die Inhalte einfach zu gut klangen. Wer so offensiv Vertrauen einfordert, der sagt nur, dass er versäumt hat, kritisch nachzufragen und zu prüfen.

      Es ist klar, dass Zeitschriftenredaktionen und Konferenzorganisator_innen nicht ins Archiv gehen und alle Signaturen überprüfen. Aber unser Text lag vor Konferenzbeginn ausformuliert vor, und in dieser Vorlage war jedes zweite Zeitungszitat erfunden. Wir warten bis heute auf ein wikiplag, auf dem das mal auseinandergenommen wird. Zudem gab es offensichtliche Hinweise: Unser fiktiver Mauerhund hieß ausgerechnet Rex, nach dem bekannten „Kommissar Rex“ aus der SAT.1-Serie. Und ganze 280 Hundejahre dauerte die deutsche Teilung – das waren Winks mit dem Zaunpfahl! Die Absurdität des Beitrags lag offen zutage. Doch wie sagte schon Kirchenvater Augustinus: Credo quia absurdum – Ich glaube, weil es absurd ist. Extremismus und Demokratie ist zudem keine liberale, sondern eine rechtskonservative Zeitschrift. Sie ist nur da liberal, wo es in ihren Kanon passt: Die DDR mit Nazis gleichsetzen, das darf man auch mit postmoderner Begründung und Hundegebell. Es ist außerdem vielsagend, dass die im Aufsatz enthaltene Kritik am EU-Grenzregime kräftig geschrumpft und in Randbemerkungen grundsätzlich abgelehnt


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