Chimära mensura?. Группа авторов

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       Zur Vorgeschichte: Die Staatswerdung des Schäferhundes

      Der Deutsche Schäferhund hat ein schlechtes Image: In Film und Populärkultur US-amerikanischer Prägung gilt er nicht erst seit Hitlers „Blondi“ als Symbol von Nazismus und Autoritarismus.2 In keinem Weltkriegsdrama darf er fehlen, wird mitunter wie im Film „Gladiator“ aus dem Jahr 2000 gar rückversetzt in die Germanenzeit: Wilde Gesellen greifen dort die Römer in den germanischen Wäldern an, begleitet von deutschen Schäferhunden. Waren deutsche Hunde also immer schon Täter? Ein quasi zeitloses Gewaltwerkzeug, Ausdruck einer spezifisch deutschen Kulturferne?

      Das besondere Verhältnis von Deutschen und Schäferhunden hat ihren Ursprung selbstverständlich nicht in den germanischen Wäldern, sondern nahm erst im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts seinen Anfang. Denn der Schäferhund als tierischer Teil einer „imagined community“, einer imaginären nationalen Gemeinschaft, gehört zu den jüngeren, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gezüchteten Hunderassen.3 Doch bald schon erfreute er sich größter Beliebtheit, unter anderem bei den deutschen Verbindungsstudenten, wie Barbara Krug-Richter in ihrer mentalitätsgeschichtlich angelegten Studie aufgezeigt hat.4 Als Rassestandard definiert wurde der Deutsche Schäferhund erstmals in den 1890er Jahren vom Züchter Max von Stephanitz. Einer der damals vorgestellten Modellhunde trug den Namen „Hektor von Linksrhein“ – ein Name, der auf die spezifische Verbindung jener Hütehunde mit Anspruch und Tragik der deutschen Nationalgeschichte verwies.5 Tragisch ist die Geschichte dieser Hunde deshalb, weil der Deutsche Schäferhund – anders als andere national konnotierte Rassen, wie etwa als die „dänische Dogge“ – bereits früh von staatlichen und militärischen Stellen eingesetzt wurde.

      Bereits zehn Jahre nach Erstzüchtung dienten die ersten Exemplare bei der Polizei,6 zwanzig Jahre später auch im Schweizerischen Luzern. Hier aber noch mit gemischten Ergebnissen, wie der Schriftsteller Erich Mühsam in seinen Tagebüchern aus dem Jahr 1910 berichtete. Damals kam es in Luzern zu einem Vorgang, der viel Aufregung verursachte. Er ging folgendermaßen, ich zitiere Mühsam: „Die Polizei dort hatte sich einen teuren Polizeihund zugelegt, ihn schön dressiert. Das Vieh fühlte sich aber in seiner amtlichen Stellung nicht wohl und kniff aus. Jetzt hat die Behörde eine Prämie für seine Wiederbeschaffung ausgesetzt.“7

      Ein Hund der die Seiten wechselt, vom Verfolger zum Verfolgten wird und steckbrieflich gesucht wird – diese Anekdote verdeutlicht, dass Hunde im Staatsdienst schon früh nicht nur handzahme Kreaturen, Opfer oder gar willenlose, verdinglichte Werkzeuge waren. Sie waren Teil des Staatsapparats, der sich im Sinne Bruno Latours als ein Netzwerk menschlicher und nichtmenschlicher Wesen begreifen lässt.8 Als Akteure bzw. Aktanten verfügten sie über Agency innerhalb dieses Apparates, die sich unter anderem in „unorganisierten Widerstandsformen wie Arbeitsverweigerung, Zerstörung und Flucht“ niederschlug.9 Doch gerade im Zusammenwirken von Mensch und Tier im modernen Staatswesen offenbarten sich auch die Grenzen der Animal-Agency.

      Aline Steinbrecher hat darauf hingewiesen, dass bereits mit der Herausbildung des Verwaltungsstaats in der Frühen Neuzeit, „das Zusammenleben von Mensch und Hund im Kontext obrigkeitlicher Disziplinierungsmaßnahmen zunehmend reglementiert [wurde].“10 Aus der repressiven Gewalt im liberalen Nachtwächterstaat, die mit Steckbriefen für einen entlaufenen Hund noch recht unbeholfen daherkam, wurde bald der Repressionsstaat des „Zeitalters der Extreme“ – das mit dem industriellen Massentöten im Ersten Weltkrieg begann.11

      Ab 1914 dienten Schäferhunde im deutschen Militär als Minensuchhunde, ebenso als Wachhunde der Feldpolizei.12 War letztere Tätigkeit trotz aller Gewalt bei der Abwehr von Eindringlingen in Sperranlagen oder der Jagd nach den ab 1917 immer zahlreicher werdenden Deserteuren noch von einem kooperativen Ansatz geprägt war, so stand die Tätigkeit als Minensuchhund ganz im Zeichen der „Materialschlacht“. Der Hund galt in dieser „Materialschlacht“ als unbelebtes Kriegsmaterial und wurde nicht nur genutzt, um Minen per Geruch zu orten, sondern immer wieder auch geopfert, um Minenfelder zu neutralisieren.13 Dahinter stand der Versuch, die menschliche Kriegsführung in einer Art Ersatzhandlung dem Tier aufzubürden – ein Versuch, der freilich fehlschlug. Denn im Stellungskrieg vermochte auch der Hundeeinsatz nicht eine Entscheidung zu erzwingen. Insbesondere die Ostfront sah Zusammenbruch und Niederlage auf beiden Seiten. Aus dem Kollaps des Zarenreiches entwickelte sich dann mit der sogenannten Oktoberrevolution von 1917 das System kommunistischer Diktatur, aus dem Revanchismus der Kriegsverlierer in Deutschland 1933 der Nationalsozialismus – ein deutscher Sonderweg, den auch der deutsche Schäferhund mitgehen musste.

       Der Hund im Nationalsozialismus

      Der Hund im NS wurde, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, geprägt durch „Blondi“, einen weiblichen Schäferhund im persönlichen Besitz Adolf Hitlers. Der „Führer“ bekam das Tier nach dem Tode seines geliebten Schäferhundes „Muck“ vom Führerbegleitkommando geschenkt. Hitler selbst scheint sich in der Beziehung zum Hund unsicher gefühlt zuhaben – eine Schwäche, die er mit Dominanz und Dressur zu kaschieren versuchte. Henry Picker, Protokollführer bei den offiziellen Diners im Hauptquartier des Führers, berichtete später in seiner Edition „Hitlers Tischgespräche“, dass er den Eindruck gehabt habe „... es nicht mit einem Hund, sondern mit einer Maschine zu tun zu haben“. Er stellt sich die Frage, „ob Hitler bei der Dressur ... nicht im Grunde von der Absicht beherrscht wurde, selbst in diesem Tier den eigenen Willen auszulöschen.“14 Weit wichtiger als diese individuelle Beziehung zwischen Hund und Hundeführer ist jedoch die kollektive visual history von Hitler und Hund, die das Bild des deutschen Schäferhundes prägte – kein Zufall, sondern eine wohl inszenierte Darstellung.15 Denn das Bild von Hitler mit Hund war bereits lange vor der Machtergreifung ikonographisch. Der 1932 vom Leibfotografen Hitlers Heinrich Hoffrnann, herausgegebene Fotoband „Hitler wie ihn keiner kennt“ zeigt als Deckblatt des Schutzumschlages Hitler mit Schäferhund in den Bergen.16 Die Gesamtauflage von 400.000 Exemplaren lässt ahnen, wann und wo der Schäferhund seinen zweifelhaften Ruf erwarb.17

      Die eigentliche Tragik des Schäferhundes im NS war jedoch nicht Blondi, sondern der Einsatz von Hundestaffeln der deutschen Wehrmacht beim Kriegszug durch Europa, besonders aber der Missbrauch als Wachtier in den NS-Konzentrationslagern.18 Schäferhunde erwiesen sich im Unterschied zu anderen Rassen für diese Tätigkeit als besonders geeignet, da sie sich durch zuverlässige Unterordnung und zuverlässiges Aufnehmen von Fährten auszeichneten. Doch auch ihnen musste die nötige Aggressivität im Umgang mit Häftlingen erst antrainiert werden. „Gefühlige“ Hunde wurden aussortiert, erschossen oder eingeschläfert. Gezielt wurde die Abrichtung der Hunde auf Menschen vorangetrieben. Aus den Konzentrationslagern gibt es Berichte von gezielt auf Verstümmelung abgerichteten Wachhunden. Obwohl nach 1945 der Einsatz von Hunden an der späteren innerdeutschen Grenze unter völlig verschiedenen politischen Vorzeichen erfolgte, so muss das gezielte Fasstraining auf Menschen doch als systemübergreifende Kontinuität gelten: Der Hund diente als Mittel zur Projektion von Gewalt im zwischenmenschlichen Verhältnis – zur Projektion staatlicher Gewalt.

       Sowjetische Speziallager und ihre deutschen Hunde

      Bei meinen Recherchen über die Herkunft der Hunde der DDR-Grenztruppen stieß ich jedoch auf erschreckende Kontinuitäten über den Epochenbruch 1945 hinweg. Es ist in der zeitgeschichtlichen Forschung bekannt, dass zwei ehemalige NS-Konzentrationslager von 1945 bis 1950 als „sowjetische Speziallager“ umfunktioniert und zur Inhaftierung von Regimegegnern benutzt wurden: Sachsenhausen und Buchenwald. Völlig unbekannt und ausgeblendet wurde jedoch bisher, dass sich die Weiternutzung der Lager nicht nur auf das tote Inventar wie Grundstücke und Zaunanlagen, sondern auch auf das „lebende Inventar“ bezog. Für Buchenwald als auch Sachsenhausen konnte ich nachweisen, dass zwei private Hundezüchter sowohl die NS-Lagerverwaltung als auch später die Sowjetische Militäradministration (SMAD) mit Wachhunden, teils Junghunde, teils vorausgebildete Rüden, versorgten. Die Zuchtbetriebe waren kleine Familienunternehmen, konkret handelte es sich um die „Deutsche Hundezucht“ der Familie Mengelmeier aus Oranienburg bei Berlin und den Züchter Grylitzki


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