Die Räuberbande. Leonhard Frank

Die Räuberbande - Leonhard Frank


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die grüne Mütze im Nacken, schritt mit winzigen Schrittchen sehr schnell an ihm vorbei und blickte streng aufwärts zur Festung, deren viele Fenster glühten, vom letzten Sonnenschein getroffen, als müßten unvermittelt die Flammen heraus in den abendlichen Himmel schlagen.

      Erschrocken, als habe er unverhofft Sägemehl anstatt Wurstfülle in den Mund bekommen, standen die Kinnbacken des Knaben still. Voller Grauen starrte er auf seine zweite Leberwurst, trat hinter den heiligen Kilian und steckte den Finger in den Mund. Befriedigt blickte er auf den Mageninhalt.

      Die über seinem Zeigefinger hängende zweite Leberwurst wie eine gefährliche Giftschlange vor sich hertragend, ging er langsam weiter, den Knaben entgegen, die vor Herrn Mager geflüchtet waren.

      „Winnetou, da kommt der Duckmäuser mit einer Leberwurst“, sagte einer der Knaben, und sein Mund blieb offen, rund und schwarz wie ein Mauseloch.

      „Wo denn, Rote Wolke? Wo denn?“

      „Dort, beim heiligen Kilian.“

      „Laßt ihn, der bildet sich sonst noch ein, wir verkehrten mit ihm.“

      „Wenn er doch eine Wurst hat.“

      „Wer gibt mir was für die Wurst?“ fragte der Duckmäuser zaghaft.

      Nachdenklich blickten die Knaben auf die Leberwurst über dem Zeigefinger. Winnetou bot nach langem Besinnen einen Pfennig, zog aber die Hand, mißtrauisch geworden, sofort wieder zurück, als er die Wurst wirklich so billig bekommen sollte. „Gelt, es ist etwas nit richtig mit der Wurst?“

      „Sie ist ganz frisch, vom Metzger Fritz. Die andere hab ich schon gegessen.“

      „Sag erst: Auf Ehr und Seligkeit; sonst glaub ich’s nit.“

      „Auf Ehr und Seligkeit, die Wurst ist frisch.“

      „Winnetou, jetzt kannst sie kaufen“, riet man ihm.

      Winnetou kaufte die Leberwurst, richtete das Gesicht zum Himmel und wollte sie in den Mund gleiten lassen.

      „Halt! Fasttag!“ schrie der Duckmäuser und lachte. „Fasttag ist heute. Sonst hätte ich meine Wurst selber gegessen.“

      Bestürzt streckte Winnetou die Wurst zurück.

      Aber der Duckmäuser nahm sie nicht.

      „Eine Wurst hast du doch schon gegessen? Dann hast du eine Todsünde begangen“, sagte Winnetou langsam, in tiefem Entsetzen.

      Winnetous Familie war streng katholisch. In seinem uralten Vaterhause brannten die ewigen Lichtchen Tag und Nacht vor den Betpulten.

      „Gegessen hab ich sie, aber wenn du willst, kann ich dir zeigen, wo sie jetzt ist. Beim heiligen Kilian liegt sie.“

      Betroffen blickte Winnetou den Duckmäuser an, hing die Leberwurst resolut über die große Zehe des heiligen Kilian. Und stürzte sich auf seinen Gegner.

      Der Bürgerkreis öffnete sich. Der Polizeiwachtmeister führte das Pferd heraus und sprang energisch von ihm weg zum Knabenknäuel.

       Die Dogge holte die Wurst vom heiligen Kilian herunter. Das Pferd sah sich um, stieg mit dem Hinterteil in die Höhe und galoppierte, von der Dogge umrast, in mutwilligen Sprüngen über die Brücke heim.

      Die Knaben waren geflüchtet. Der Polizeiwachtmeister stand plötzlich in einer schwarzen Rauchwolke und schimpfte hustend zum Dampfschlepper hinunter, es sei verboten, bei der Brücke Rauch abzulassen.

      Der Schlepper glitt mit gekapptem Schlot langsam durch den Brückenbogen. Der Wachtmeister stieß seinen Säbel in die Scheide und sah sich barsch um. Die Brücke war leer.

      In der Werkstatt des Mechanikers Tritt drückten sich die Lehrjungen ängstlich herum und sahen auf die Uhr. Der Geselle war schon lange fortgegangen, die Werkstatt war peinlich sauber aufgeräumt, die drei kleinen Drehbänke blinkten, auf dem Fußboden hätte man essen können.

      Aber der Meister war noch immer nicht gekommen, um die Erlaubnis zum Fortgehen zu geben.

      „Oldshatterhand“, der jüngste der Lehrlinge, stand Wache, um die anderen benachrichtigen zu können, wenn der Meister ankam. Interessiert holte er aus der Tasche seines Mechanikerkittels eine kleine Feile und feilte an seinen schwarzen Fingernägeln herum. Dann suchte er weiter in der Tasche, zog einen Klumpen ölige Putzwolle heraus, aus der sich eine Pflaume und ein rundes Handspiegelchen schälten. Die Pflaume steckte er in den Mund; das Spiegelchen rieb er heftig am Schenkel sauber und reflektierte damit die Sonne einer Köchin ins Gesicht, die im vierten Stock aus dem Fenster sah.

       Erschrocken stürzte er von der Schmiede in die Werkstatt. Der Meister, ein Mann mit gepflegtem rotem Spitzbart und kalten, grünlichen Augen, schritt durch den Hof, mit seiner dreizehnjährigen Tochter am Arm.

      Der älteste Lehrling rieb heftiger an einem Stück Werkzeug, das er schon seit einer Stunde rieb, immer wieder mit Öl einstrich und rieb, und sah manchmal von unten herauf nach dem Meister, der jetzt an einer der Drehbänke lehnte und in der Zeitung las. Es war sehr still, man hörte nur das Reiben.

      Der Meister sah langsam auf und starr auf den Reibenden, der den Kopf senkte. Die anderen Lehrbuben standen atemlos in den Ecken.

      Oldshatterhand verrückte die schon geradeliegenden funkelnden Zangen, Hämmer und Pinzetten auf der Werkbank um Millimeter.

      Der Meister schritt auf ihn zu und sah, den Mund schiefgezogen, auf ihn hinunter.

      Gebannt ließen Oldshatterhands Hände ab vom Werkzeug.

      „Was soll denn das!“

      „Ich le . . . leg das We . . . Werkzeug gr . . . gr . . . grad.“

      „Ist das eine Arbeit? . . . Stotterndes Kamel!“ Der Meister hatte seinen Blick in Oldshatterhands vergrößerte Augen eingehackt. „Was bist du?“

      Oldshatterhand wurde blutrot.

      „Was bist du!“

      „Ein st . . . stotterndes Ka . . . Ka . . . Kamel.“

      „Was reibst du denn! Schafskopf!“ schrie unvermittelt der Meister den ältesten Lehrjungen an und biß auf seine Unterlippe. „Geht doch zum Teufel! . . . Eselsbande!“

       Das Mädchen schmiegte sich an ihren Vater an und lächelte höhnisch. Die Jungen entfernten sich lautlos.

      Oldshatterhand ging durch die Kaiserstraße. Vor einer Feinbäckerei blieb er stehen, sah die Kuchen an und schloß manchmal die Augen, um besser riechen zu können; denn von unten aus dem Keller, wo der Backofen war, stieg durch das eiserne Gitter der warme, süße Kuchenduft.

      Oldshatterhand hatte es schlecht getroffen im Leben. Sein Vater war ein armer Mann. Und vom Schultyrannen Mager war Oldshatterhand zum Tyrannen Tritt geraten.

      Nach einem letzten lüsternen Blick auf die Kuchen machte er sich auf den Heimweg.

      Vor ihm ging langsam ein Fremder und betrachtete die alten Häuschen. Er hatte einen Gummimantel an. Oldshatterhand blickte auf ihn, ging unauffällig um ihn herum, und immer wenn der Fremde stehen blieb, blieb auch Oldshatterhand stehen, sah auf das Häuschen, auf den Fremden zurück. Seine Wünsche glitten aus der verhaßten Gegenwart in die Zukunft. Seine Sehnsucht ließ ihn zum Fremden werden.

      „Bitte schön, wo ist die Domstraße?“ fragte der Fremde einen Bürger und ging in der angezeigten Richtung fort.

      Auf den Zehenspitzen balancierend, bewegte Oldshatterhand den Oberkörper hin und her, um den Fremden so lange wie möglich sehen zu können.

      Ein Mann mit einem Fensterflügel auf der Schulter kam auf ihn zu.

      „Sie . . . Sie!“

      Der Mann blieb stehen.

       „Kö . . . können Sie mir nicht sagen, wo die Domstraße ist? . . . Ich bin fre . . . fre . . . fremd in Würzburg.“

      Verblüfft sah der Mann Oldshatterhand an. „Du bist doch der Sohn vom


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