Die Räuberbande. Leonhard Frank

Die Räuberbande - Leonhard Frank


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dann ein Stück den Rhein hinunter und dann zu Fuß nach Hamburg. Da können wir ganz gut in vierzehn Tagen sein!“ rief die Rote Wolke, ein Waisenjunge, der bei seiner alten Tante die Gärtnerei erlernte. Er vertrug sich schlecht mit der Tante; denn er deklamierte, nachdem er einmal bei einer Vereinstheatervorstellung mitgewirkt hatte, den ganzen Tag, während er Kartoffeln hackte oder Leichenkränze band. „Am ewigen Meer . . . da können wir in vierzehn Tagen sein.“ Sein Mund stand offen, rund und schwarz wie ein Mauseloch.

       „Und dann?“ fragte der Schreiber und zog lächelnd die Augenbrauen in die Höhe.

      „Dann! Was heißt das — dann?“ rief der bleiche Kapitän. „Dann machen wir eben ein Segelschiff los und segeln ganz ruhig über den großen Teich.“

      „Segelschiff los? Und die Matrosen, die darauf schlafen, und die Wachen? He? Vielleicht steht sogar der Kapitän selbst die ganze Nacht am Steuer und blickt hinaus aufs Meer, damit sein Schiff nicht gekapert wird. Diese Sachen hab ich schon oft genug gelesen.“

      Winnetou hielt seine Hand in die Flammen und blickte, die Zähne zusammengebissen, über die Räuber weg. Langsam zog er die geschwärzte Hand zurück.

      „Das werden wir schon sehen. Wir sind zwölf Männer“, rief verächtlich der Hauptmann. „Oder weißt du nicht, Schreiber, was ein Enterhaken ist? Das — mein Lieber, das geht im Handumdrehen.“

      Winnetou hielt die schmerzende Hand senkrecht. „Die Hauptsache ist, daß sich in einer einzigen Nacht in allen Urwäldern und Prärien des wilden Westens bei absolut allen Indianerstämmen die Schreckensbotschaft verbreitet, aber wie ein Lauffeuer, daß wir angekommen sind . . . Auf unsere ersten Taten kommt’s an. Die müssen gewaltig sein und furchtbar.“

      „Die Weiber werden natürlich verschont“, schloß der bleiche Kapitän und stülpte die Negerlippen nach außen.

      „Immer werden die Weiber verschont. Unsere Kontoristin darf auch immer eine halbe Stunde früher fortgehn“, sagte der Schreiber. „Gestern hab ich zum erstenmal Diktat schreiben dürfen. Das macht gewöhnlich nur unser Bureauvorsteher.“

       „Gott, Diktaaat . . . Beim Lumpenhändler Ei gibt’s kolossale alte Revolver. Die können wir drüben gut brauchen.“

      „Meinst, daß man davon ein paar aushängen kann?“

      „Ich glaub, das wird schwer gehn. Aber wen man damit trifft, der is total tot.“

      Winnetou nahm ein glühendes Holzstückchen in die Hand, preßte sie zur Faust — und zählte leise für sich bis neun, schleuderte das schwarzgewordene Holz ins Feuer zurück und erzählte gequält: „Ins Zuchthaus käme ich noch, hat der Kaplan vorige Woche zu meiner Mutter gesagt . . . Weil ich in der Religionsstund ein bißchen von der Schultinte für mein Füllfederhalter mitgenommen hab. Jetzt sperren sie mich daheim jeden Tag drei Stunden in die Holzlage . . . Ich! . . . Ich!“ Er sprang auf, drückte die Fäuste an die Wangen, Zorn und Scham wechselten auf seinem Gesicht. „Ich halt’s nimmer aus!“

      „Ins Zuchthaus? . . . Das wär doch ganz fein, wenn wir ins Zuchthaus kämen“, sagte der Schreiber erstaunt.

      Verwirrt sah Winnetou den Schreiber an, ließ sich langsam nieder und blieb reglos hocken.

      „Nun ja . . . warum denn nicht.“ Der Schreiber sah fragend im Kreise herum.

      Niemand antwortete. Die Räuber sahen ins flackernde Feuer. Oldshatterhand sah auf die fernen Berge, die im Mondlicht schwammen. Eine Sternschnuppe fiel in den Weltenraum. Oldshatterhand wanderte einem Gedanken nach, über alle Länder, drückte den Oberkörper einige Male angestrengt vor und zurück und begann stark stotternd: „Die Erde ka . . . ka . . . kann ja gar keine Ku . . . Kugel sein, denn wenn man immer weiter geht, müßte man herunterfallen, oder mit dem Ko . . . Kopf nach unten stehen und in die Lu . . . Lu . . . Luft hinunterstürzen . . . Da habt ihr’s, unten ist doch keine Lu . . . Luft, nur oben.“ Und er deutete hinauf, wo Stern an Stern am tiefblauen Himmel stand. „Der Lehrer Ma . . . Mager versteht nichts. Oder wenigstens nicht viel. Die Erde ist keine Ku . . . Kugel. Sie ist flach. Nur viele Bu . . . Buckel hat sie.“

      „Natürlich, und wenn man noch so weit geht, nach Rußland, nach China, immer ist der Himmel oben“, sagte der Schreiber und zuckte mit den Schultern.

      „Da!“ rief Oldshatterhand und stand schnell auf. Die Räuber blickten empor zu ihm. „Denkt euch halt eine Ke . . . eine Ke . . . eine Ke . . . Kegelkugel — wenn darauf ein ga . . . ganz kleiner Mensch, nur so groß wie der Däumling, nach einer Richtung immer, immer weiterläuft, muß er doch zu . . . muß er doch zu . . . zuletzt herunterfallen. Aaalso kann die Erde auch keine Ku . . . Kugel sein. Das ist doch ganz klar. Ma . . . ma . . . meint ihr nit?“

      „Das weiß man halt nit recht.“

      Wieder lösten sich Sternschnuppen an mehreren Himmelsstellen und schwebten langsam und lautlos zu den im Mondlicht bebenden Bergen nieder. Vom funkelnden Nachthimmel gehalten, hing der Erdball, und als einzige Bewohner schien der Räuberkreis auf seiner stillsten und letzten Höhe zu sitzen.

      Ungeduldig hob Winnetou den feinen Knabenkopf, in dem die großen Augen schwarz wie heißer Asphalt glänzten. „Ach, Unsinn ist alles, was der Mager da von einer Kugel faselt . . . Wenn wir aber Würzburg einäschern“, fuhr er heftig fort, „ehe wir von hier abfahren, und du meinst, dann müßten wir das Herz der Stadt anzünden, so wäre das der Vierröhrenbrunnen, denn der ist in der Mitte. Aber der brennt doch nit.“

      „Und das Petroooleum? Ha! Wenn nur drüben auch alles so glatt ginge. Da werden einfach hundert Fässer Petroleum ins Brunnenbassin gefüllt — ich sitze nebenan im Hirschen, tue, wie wenn ich Kaffee tränke, und brenne die Zündschnur an. Es ist eine dunkle Nacht, und ehe du dich versiehst, schlägt eine kirchturmhohe Flamme in den Himmel hinauf . . . Die erfaßt gleich das Rathaus und den Platz, und, o Gott, bis die da droben ihre Kanönle abfeuern, brennt die ganze Stadt . . . derweil wir schon längst in unserm Schiff den Main hinunterfahren. Ha!“ schloß der bleiche Kapitän und spreizte die knochigen Finger, seine hellen Perlmutteraugen glänzten, „da müßte halt mein Bruder in Amerika dabei sein. Dann ginge sicher alles glatt.“

      „Das erste, was wir drüben tun, ist, daß wir deinen Bruder aufsuchen.“

      „No, allemal.“

      Der bleiche Kapitän hatte einen Bruder, der vor ein paar Jahren als Ingenieur nach Amerika gegangen war. Der einzige Mensch, dem sich der bleiche Kapitän nicht ganz ebenbürtig fühlte, und auf den er bei jeder Gelegenheit hinwies, als auf ein nicht erreichbares Ziel.

      Ehe der Amerikaner abgereist war, hatte er am Bahnhof zum bleichen Kapitän gesagt: „Ich komme wieder, dann reiße ich die alte Brücke ab und baue dafür eine hundert Meter hohe Hängebrücke hin, aus Eisenkonstruktion. Da werden die Würzburgerli Maul und Augen aufreißen.“

       Alle Räuber hatten die gleiche Vorstellung von dem Amerikaner — sie sahen ihn, weit, weit von hier, kühn und wortkarg gewaltige Taten vollbringen; sie sahen ihn am reißenden Mississippi stehen, nur mit einer Zeichenrolle in der Hand: er blickt auf die Zeichnung und streckt den Finger aus — da stürzen seine siebentausend Leute sich auf Eisenschienen und Träger, und alsbald steht ein gigantischer Brückenbogen im Mississippi.

      Wortkarg besteigt der Amerikaner den Mustang und reitet durch die Wildnis zurück zu seinem Blockhaus.

      „Die Schule geht in Flammen auf“, sagte der Schreiber und hob die Arme. „Und Lehrer Mager verbrennt zu nichts. Hi!“

      „Nein, Schreiber, über den wird endlich einmal Gericht gehalten. Der wird ganz einfach gefesselt und in den Festungsgraben geschleppt. Da wird er ausgezogen und an einen Baumstamm gebunden . . . An den wilden Birnbaum dort. Dann wird er gemartert, sieben Stunden lang. Überhaupt die ganze Brandnacht durch. Aber . . . wir lassen ihn am Leben. Wir hetzen ihn lieber nackt durch die brennende Stadt.“

      „Letzthin bin ich mit Sa . . . Seidel zum Lehrer gegangen, um die korri . . . um die korri . . . korrigierten Schulhefte abzuholen. Seidel hat einen A . . . A . . . Apfel kriegt, ich eine Ohrfeige, waaa . . . weil so viel Fehler


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