Königliche Hoheit. Thomas Mann

Königliche Hoheit - Thomas Mann


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Sohn trat öffentlich zum ersten Male hervor, als er getauft wurde. Diese Feierlichkeit erregte im Lande die ganze Teilnahme, die man allen Geschehnissen innerhalb der hohen Familie entgegenzubringen pflegte. Sie fand statt, nachdem man mehrere Wochen lang über die Art ihrer Anordnung hin und her gesprochen und gelesen hatte, ward abgehalten in der Hofkirche durch den Oberkirchenratspräsidenten D. Wislizenus, mit aller Umständlichkeit und öffentlich insofern, als das Oberhofmarschallamt Einladungen dazu auf höchsten Befehl in alle Gesellschaftsklassen hatte ergehen lassen.

      Herr von Bühl zu Bühl, ein höfischer Ritualist von höchster Umsicht und Akribie, überwachte in großer Uniform und mit Hilfe von zwei Zeremonienmeistern den ganzen verwickelten Vorgang: die Versammlung der fürstlichen Gäste in den Schönen Zimmern, den feierlichen Zug, in welchem sie sich, geführt von Pagen und Kammerherren, über die Treppe Heinrichs des Üppigen und durch einen gedeckten Gang in die Kirche begaben, den Zutritt des Publikums bis zu demjenigen der höchsten Herrschaften, die Verteilung der Plätze, die Wahrung aller äußeren Gebräuche während der religiösen Handlung selbst, die Reihenfolge und Rangordnung bei der Gratulation, die sich unmittelbar an den vollendeten Gottesdienst schloß … Er atmete abgerissen, schwänzelte, hob seinen Stab, lächelte leidenschaftlich und verbeugte sich, indem er rückwärts ging.

      Die Hofkirche war mit Pflanzen und Draperien ausgestattet. Neben den Vertretern des Hof- und Landadels und des hohen und niederen Beamtentums füllten Handeltreibende, Landleute und schlichte Handwerker erhobenen Herzens das Gestühl. Aber vorn am Altar saßen im Halbkreise auf rotsamtenen Armstühlen die Anverwandten des Täuflings, fremde Hoheiten als Paten und betraute Vertreter solcher, die selbst nicht gekommen waren. Vor sechs Jahren, bei des Erbgroßherzogs Taufe, war die Versammlung nicht glänzender gewesen. Denn bei Albrechts Zartheit, bei des Großherzogs vorgerückten Jahren, bei dem Mangel an Grimmburger Agnaten galt die Person des zweitgeborenen Prinzen sogleich als wichtige Gewähr für die Zukunft der Dynastie … Der kleine Albrecht nahm an der Feier nicht teil; mit einer Unpäßlichkeit lag er im Bette, die nach Generalarzt Eschrichs Erklärung nervöser Natur war.

      D. Wislizenus predigte über ein Schriftwort, das der Großherzog selbst bestimmt hatte. Der »Eilbote«, ein schwatzhaft abgefaßtes hauptstädtisches Journal, hatte genau zu berichten gewußt, wie der Großherzog sich eines Tages ganz persönlich aus dem selten betretenen Büchersaal die enorme, mit Metallspangen verschlossene Hausbibel geholt, sich damit in seinem Kabinett eingeschlossen, wohl eine Stunde darin gesucht, schließlich das erwählte Wort mit seinem Taschenbleistift auf ein Blatt Papier exzerpiert, es »Johann Albrecht« unterzeichnet und dem Hofprediger übersandt habe. D. Wislizenus behandelte es motivisch und sozusagen auf musikalische Art. Er wandte es hin und her, wies es in verschiedener Beleuchtung auf und erschöpfte es in allen Beziehungen; er ließ es mit säuselnder Stimme und mit der ganzen Kraft seiner Brust ertönen, und während es zu Beginn seiner Kunstleistung, leise und sinnend ausgesprochen, nur ein dünnes, fast körperloses Thema gewesen war, erschien es am Schluß, als er es der Menge zum letztenmal vorführte, reich instrumentiert, voll ausgedeutet und tief belebt. Dann ging er zum eigentlichen Taufakt über, und er nahm ihn ausführlich vor, sichtbar für alle und unter Betonung jeder Einzelheit.

      An diesem Tage also repräsentierte der Prinz zum erstenmal, und daß er im Vordergrunde der Handlung stand, fand Ausdruck schon darin, daß er zuletzt und in Abstand von aller Welt auf dem Schauplatze eintraf. Langsam erschien er, unter Vorantritt des Herrn von Bühl, auf den Armen der Oberhofmeisterin Freifrau von Schulenburg-Tressen, und aller Augen waren auf ihn gerichtet. Er schlief, in seinen Spitzen, seinen Schleifen und seiner weißen Seide. Das eine seiner Händchen war zufällig verdeckt. Er erfreute, rührte und gefiel ungemein. Mittelpunkt des Ganzen und Gegenstand jeder Aufmerksamkeit, verhielt er sich ruhig, persönlich anspruchslos und naturgemäß noch völlig duldend. Sein Verdienst war, daß er nicht störte, nicht eingriff, nicht widerstand, sondern, zweifellos aus eingeborener Vertrautheit, sich still der Form überließ, die um ihn waltete, ihn trug, ihn heute noch jeder eigenen Anspannung überhob …

      Häufig, an bestimmten Punkten der Zeremonie, wechselten die Arme, in denen er ruhte. Freifrau von Schulenburg überreichte ihn mit Verneigung seiner Tante Katharina, die mit strengem Gesichtsausdruck ein neuerlich umgearbeitetes lila gefärbtes Seidenkleid trug und mit Kronjuwelen frisiert war. Sie legte ihn, als der Augenblick kam, feierlich in die Arme Dorotheas, seiner Mutter, die ihn, hoch und schön, mit einem Lächeln ihres stolzen und lieblichen Mundes, eine gemessene Weile den Segnungen darbot und ihn dann weitergab. Ein paar Minuten lang hielt ihn eine Cousine, ein elf- oder zwölfjähriges Kind mit blonder Lockenfrisur, stockdünnen Beinchen, bloßen, fröstelnden Ärmchen und einer breiten rotseidenen Schärpe, die hinten in kolossaler Schleife von ihrem weißen Kleidchen abstand. Ihr spitzes Gesichtchen war ängstlich dem Zeremonienmeister zugewandt …

      Vorübergehend erwachte der Prinz; aber die flimmernden Flämmchen der Altarkerzen und eine farbige Säule durchsonnten Staubes blendeten ihn, so daß er die Augen wieder schloß. Und da keine Gedanken, sondern nur sanfte, gegenstandslose Träume in seinem Kopfe waren, da er auch im Augenblick keinerlei Schmerz empfand, so schlief er sofort wieder ein.

      Er erhielt eine Menge Namen, während er schlief; aber die Hauptnamen waren: Klaus Heinrich.

      Und er schlief in seinem Bettchen mit Goldleisten und blauseidener Gardine noch fort, während ihm zu Ehren im Marmorsaale Familientafel und im Rittersaale Tafel für die übrigen Taufgäste stattfand.

      Die Zeitungen besprachen sein erstes Auftreten; sie schilderten sein Äußeres und seine Toilette, sie stellten fest, daß er sich wahrhaft prinzlich benommen habe, und kleideten die rührende und erhebende Wirkung in Worte, die seine Erscheinung ausgeübt hatte. Dann hörte die Öffentlichkeit längere Zeit wenig von ihm und er nichts von ihr.

      Er wußte noch nichts, begriff noch nichts, nichts ahnte ihm von der Schwierigkeit, Gefährlichkeit und Strenge des Lebens, das ihm vorgeschrieben war; seine Lebensäußerungen ließen nicht die Vermutung zu, daß er sich in irgendeinem Gegensatz zur großen Menge fühle. Sein kleines Dasein war ein verantwortungsloser, von außen sorgfältig geleiteter Traum, der sich auf einem schwer übersichtlichen Schauplatze abspielte; und dieser Schauplatz war von überaus zahlreichen und farbigen Erscheinungen, statierenden und agierenden, bevölkert, flüchtig auftauchenden und solchen, die beharrten.

      Unter den beharrenden waren die Eltern fern, recht fern und nicht vollkommen deutlich. Sie waren seine Eltern, das war gewiß, und sie waren erhaben und freundlich. Nahten sie sich, so war der Eindruck dieser, als ob alles übrige nach beiden Seiten zurückwiche und eine Gasse der Ehrfurcht bildete, durch die sie zu ihm schritten, um ihm einen Augenblick Zärtlichkeit zu erweisen … Am nächsten und deutlichsten waren zwei Frauen mit weißen Hauben und Schürzen, zwei vollkommen gute, reine und liebevolle Wesen augenscheinlich, die seinen kleinen Leib auf jede Art pflegten und sich sehr um sein Weinen kümmerten … Ein naher Teilnehmer am Leben war auch Albrecht, sein Bruder; aber er war ernst, ablehnend und weit vorgeschritten.

      Als Klaus Heinrich zwei Jahre alt war, fand nochmals Geburt auf Grimmburg statt, und eine Prinzessin kam zur Welt. Sechsunddreißig Schüsse wurden ihr zugemessen, weil sie weiblichen Geschlechts war, und in der Taufe ward sie Ditlinde genannt. Das war Klaus Heinrichs Schwester, und daß sie erschien, war ein Glück für ihn. Sie war anfangs befremdend klein und verletzlich, aber bald ward sie ihm gleich, holte ihn ein und war bei ihm den ganzen Tag. Mit ihr lebte er, mit ihr schaute, erfuhr, begriff er, im Zwiegefühl mit ihr empfing er die gemeinsame Welt.

      Es war eine Welt, es waren Erfahrungen, danach angetan, nachdenklich zu stimmen. Wo sie im Winter wohnten, war das Alte Schloß. Wo sie im Sommer wohnten, am Fluß, in der Kühle, im Duft der violetten Hecken, zwischen denen weiße Statuen standen, war Hollerbrunn, die Sommerresidenz. Auf dem Wege dorthin, oder wenn sonst Papa oder Mama sie mit sich in einen der braun lackierten Wagen mit der kleinen goldenen Krone am Schlage nahmen, standen die übrigen Menschen, riefen und grüßten; denn Papa war Fürst und Herr über das Land, und folglich waren sie selbst ein Prinz und eine Prinzessin – bestätigtermaßen durchaus in demselben Sinne, in welchem die Prinzen und Prinzessinnen in den französischen Märchen es waren, die Madame aus der Schweiz ihnen vorlas. Dies war des Verweilens wert und ohne Frage ein Sonderfall. Wenn andere Kinder die Märchen hörten,


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