Mein großes Geheimnis. Buzz Bissinger

Mein großes Geheimnis - Buzz Bissinger


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meiner Position sich anschließen werden. Wenn wir alle eine Seele nach der anderen retten, werden wir gemeinsam Tausende bewahren können.

      Ich sehe den Ballons hinterher, die von dem schmalen Strand in den Himmel aufsteigen. In mir ist nicht nur Trauer, sondern auch Zorn. Das hier hätte nicht geschehen müssen, wenn sich unsere Gesellschaft ein wenig mehr um Akzeptanz als um Ablehnung bemühen würde, und um Inklusion statt Exklusion. Hört auf, Ausgestoßene aus uns zu machen. Wir sind eine sehr lebendige und vielfältige Community.

      Unwillkürlich drängt sich mir das Bild auf, wie Kyler Prescott leblos auf dem Badezimmerfußboden liegt. Und wie seine Mutter ihn gefunden hat. Dann erinnere ich mich an das Gedicht, das er geschrieben hat. Es war nicht nur ungewöhnlich bewegend und schön für einen Vierzehnjährigen, es fing zudem genau ein, was ich stets gefühlt hatte, wenn ich in den Spiegel sah und mir jemand entgegenblickte, den ich nicht erkannte. Es beschrieb den Widerstreit in uns allen perfekt:

      Mein Spiegel definiert mich nicht:

      Nicht die Fremde, die mir entgegenblickt

      Nicht das glatte Gesicht, das zu jemand anderem gehört

      Nicht die Augen, in denen Traurigkeit schimmert

      Wenn ich nach ihm suche und nur sie erkennen kann.

      Mein Körper definiert mich nicht:

      Nicht die schmalen Schultern, die nie anders sein werden

      Nicht die Hüften, die mich verraten

      Nicht die Brust, deren Anblick ich nicht ertrage

      Wenn ich nach ihm suche und nur sie erkennen kann.

      Meine Kleidung definiert mich nicht:

      Nicht das T-Shirt und die Jeans

      Die so perfekt an ihm aussehen würden

      Und von denen ich weiß, dass sie mir niemals passen werden

      Wenn ich nach ihm suche und nur sie erkennen kann.

      Schon seit Jahren suche ich nach ihm

      Aber ich scheine mich immer weiter von ihm zu entfernen

      Mit jedem Tag, der verstreicht.

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      Sportunterricht in meiner Grundschule in Tarrytown. Unser Sportlehrer hatte auf dem Parkplatz ein paar Hütchen aufgestellt, um die Strecke für einen Wettlauf zu markieren.

      Schauen wir also mal, wie wir uns dabei schlagen.

      Bisher hatte ich mich noch nie für eine Sportmannschaft gemeldet, und ich hatte keine Ahnung, ob ich in Sport gut oder schlecht war. Ehrlich gesagt, war ich nicht besonders ehrgeizig. Wenn ich etwas tat, dann meistens, weil es einfach Spaß machte und mir von Natur aus lag. Und dieser Wettlauf schien so etwas zu sein.

      Jeder in der Klasse rannte um die orangenen Hütchen herum, und der Lehrer stoppte die Zeit und schrieb sie für uns alle auf. Dann sah er mich an. Klassenkameraden, die mich noch nie beachtet hatten, klopften mir auf die Schulter. Und die Stoppuhr des Lehrers bestätigte es: Ich bin der Schnellste der ganzen Schule!

      Vielleicht gab es also doch ein Gebiet, auf dem ich glänzen konnte. Und die sportlichen Erfolge brachten ja nicht nur Anerkennung. Was gab es Besseres, um seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen? Oder um diese komische Sache irgendwie wegzuschieben? Sportskanonen zogen keine Frauenkleider an. Sportskanonen liefen auch nicht mit einem Kopftuch durch die Straßen. Die standen in der Umkleide und zeigten stolz, wie lang ihr Ding war. Wir waren die Größten.

      Sport war in den Sechzigern (wie heute übrigens auch noch) die perfekte Tarnung. Hier regierte die Männlichkeit, besonders die weiße. Eine gesetzlich geregelte Gleichberechtigung der Geschlechter gab es nicht. Eine Integration fand im College-Sport nur langsam und gegen viele innere Widerstände statt. Für alles, was mit dem Geschlecht oder der Sexualität zu tun hatte, bot Sport wiederum den perfekten Schutz. Ein Sportler, der sich in den Sechzigern als transgender outete? Unmöglich. Das Netzwerk existierte nur im Untergrund: Wer offen lebte, riskierte, belästigt oder verhaftet zu werden. Stonewall, das große Schicksalsereignis der LGBTQ-Bewegung, fand erst 1969 statt, als ich schon aufs College ging. Damals kam es bei einer Razzia im New Yorker Stonewall Inn zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die weltweit Schlagzeilen machten. Besonders Transfrauen waren bei der Durchsuchung des Clubs mit den üblichen Polizeimethoden schikaniert worden: In New York war es damals gesetzlich vorgeschrieben, mindestens drei Kleidungsstücke zu tragen, die eindeutig dem biologischen Geschlecht zugeordnet werden konnten, und wenn die Polizei jemanden im Verdacht hatte, das nicht zu tun, kam er in Gewahrsam und musste sich abtasten lassen oder ausziehen.

      Eines der ersten Outings im Sport gab es 1975, als ich 26 Jahre alt war. Damals bekannte der Footballer Dave Kopay in einem Interview mit dem Washington Star, homosexuell zu sein. Zuvor hatte die Zeitung in einer Serie einen anonymen schwulen Footballer zitiert, und Kopay erkannte, dass es jemand war, mit dem er einmal geschlafen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seine Profikarriere schon seit zwei Jahren beendet – hätte er das vorher getan, wäre seine Karriere automatisch vorbei gewesen. (Selbst heute gibt es in einer der großen Basketball-Ligen oder im American Football kaum offen schwule Sportler. Weibliche Profis gehen wesentlich offener mit ihrer sexuellen Orientierung um, was darauf hindeutet, dass die Atmosphäre dort nicht so feindselig ist, und die Athletinnen gehen viel ehrlicher und wertschätzender mit sich um.)

      Aber zurück zu diesem Schicksalstag in der fünften Klasse. Es war für mich tatsächlich ein Wendepunkt: Ganz unerwartet hatte ich meine Berufung gefunden.

      Als ich wenig später in die Junior High School kam, sprach sich schnell herum, dass ich schnell laufen konnte, und irgendwann kamen drei ältere Jungen auf mich zu.

      „Du bist also schnell, was?“

      „Denke schon.“

      „Dann lass uns doch mal gucken. Laufen wir um die Wette.“

      Ich bin schnell. Aber ich war nicht blöd.

      Klar lief ich.

      Aber nach Hause.

      Während ich mich als Jugendlicher mit diesen ganzen verwirrenden Gefühlen herumschlagen musste, war ich am meisten mit mir selbst im Einklang, wenn ich auf dem Footballfeld stand und mich mit jemandem messen konnte. Mit Aggression hatte das gar nicht viel zu tun, es war vor allem eine Möglichkeit, das eigene Ego auszuleben: Man hat das Gefühl, etwas beherrschen zu können, und will nicht mehr damit aufhören.

      Ich war nicht von Natur aus ein großartiger Sportler. Aber im Laufe der folgenden Jahre wuchs in mir das Bedürfnis, meine Stärken zu zeigen und andere Sportler zu überrunden, und dabei wurde der Zehnkampf immer wichtiger für mich. Der Wettbewerb mit anderen war dabei natürlich eine große Motivation, aber da war auch noch etwas anderes – der Drang, dass da in mir etwas ist, von dem ich mich immer wieder reinigen muss. Dieses Gefühl der Minderwertigkeit konnte ich nur durch die Zurschaustellung der eigenen Überlegenheit bekämpfen.

      Da mir natürlich bewusst war, dass man als Sportskanone ein großes Ansehen genoss, spielte ich an der Sleepy Hollow High School von Tarrytown auch die beliebten Mannschaftssportarten wie Football oder Basketball. Und das durchaus gern. Es machte mir Spaß. Aber lieber noch waren mir Wettkämpfe, bei denen alles nur von mir allein abhing. Ich wollte mein Schicksal selbst in der Hand haben – vielleicht, weil Kontrolle in meinem Leben ohnehin eine große Rolle spielte.

      Wenn ich gewann, war das mein Verdienst. Wenn ich verlor, war es meine Schuld. Anschließend konnte ich allein nach Hause gehen und mich damit auseinandersetzen, ich musste nicht noch mit meinen Mannschaftskameraden über die Niederlage lamentieren oder aber einen Sieg feiern. Letztlich war ich ein Einzelgänger, was vermutlich typisch ist für jemanden, der ein Geheimnis in sich trägt, das er nicht teilen darf. Zwar war ich immer freundlich, aber auch distanziert; ich hielt immer eine Armlänge Abstand. Und weil ich in dem, was ich tat, ziemlich gut war, ließ man mich in Ruhe. Ich hatte Freunde in den Football- und


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