Dirty Deeds - Meine wilde Zeit mit AC/DC. Mark Evans
in den verschiedensten Kreisen, vor allem im Chinesenviertel der Stadt. Ich hatte sogar einen chinesischen Paten. Wenn wir zu den Spielen des FC Carlton gingen, dann kehrten wir auf dem Weg dorthin im ersten Pub zum Mittagessen ein, im nächsten auf ein Bier, und dann in noch einem und noch einem. Mich überraschte, wie freundlich die Leute überall waren, und dass wir offenbar nie irgendwo bezahlen mussten. „Da kommt Pat mit seinen Jungs! Was bekommst du, mein Junge?“ Ich entschied mich immer für rote Limonade und eine kleine Tüte Kartoffelchips.
Meine Mutter erzählte einmal von einer Begebenheit ganz am Anfang ihrer Beziehung, als sie mit meinem Dad unterwegs zu meinem späteren Paten war, der in der Canning Street in Nord-Melbourne lebte. Irgendwann merkte mein Vater, dass ihnen drei Männer folgten. Dad grüßte meinen Paten, der auf seiner Veranda saß, und rief ihm zu: „Wo geht’s denn hier zum Bahnhof, Meister? Wir haben uns verlaufen.“ Er bekam seine Information, umarmte meine Mutter, ließ etwas Schweres in ihre Manteltasche gleiten und verabschiedete sich mit einem kurzen „Bis nachher“, bevor er dann wirklich den Weg zum Bahnhof einschlug.
Dad ging um eine Ecke, und die Männer folgten ihm. Als er schließlich zurückkehrte, hatte er einige Schnitt- und Platzwunden abbekommen, aber er sagte zu meiner Mutter: „Wenn sie die Knarre in die Hände bekommen hätten, wäre das viel schlimmer ausgegangen.“
Offenbar änderte mein Vater sich dann aber grundlegend, nachdem ich auf der Welt war. Meine Mutter bekam einen schweren Nervenzusammenbruch, musste ein halbes Jahr in einer Klinik bleiben und wurde mit Elektroschocks behandelt. In dieser Zeit übernahm es mein Dad, sich um uns vier Kinder zu kümmern. Deswegen wurde er schließlich auch Möbelverkäufer in dem Geschäft in Prahran.
Leider habe ich meinen Vater nie so gut kennen gelernt, wie ich es mir gewünscht hätte, obwohl mich das, was er mir beibrachte, bis heute geprägt hat. Ich wusste, dass er sterben würde, denn vor allem im letzten halben Jahr seines Lebens wurde es unübersehbar, dass wir diesen Kampf nicht gewinnen würden. Von daher war ich so gut auf seinen Tod vorbereitet, wie es eben ging. Ich fand es toll, wenn ich von der Schule nach Hause kam und ins Schlafzimmer meiner Eltern ging: mein Vater war bereits bettlägerig, und die einzige Farbe in seinem Gesicht war der Lippenstift meiner Mutter.
Dad lächelte mich an und sagte: „Deine Mutter konnte es mal wieder nicht lassen, Mark.“
Das bringt mich heute noch zum Lachen, obwohl er damals nicht einmal mehr die Kraft gehabt hätte, sich den Lippenstift wegzuwischen, selbst, wenn er gewollt hätte. Aber das war ganz typisch für meinen Vater. Er hatte ganz offensichtlich starke Schmerzen und versuchte, sich irgendwie mit dem bevorstehenden Tod abzufinden, aber er wollte noch immer einen Spaß mit mir teilen – natürlich auf Kosten meiner Mutter. Er war noch recht jung, ungefähr im selben Alter wie ich heute, und er wusste, dass er sterben würde. Aber er wollte trotzdem seinen Sohn zum Lachen bringen, und das in einer Situation, in der es verdammt wenig zu lachen gab.
Eines Nachmittags Ende März 1968 hatte ich zusammen mit meinem Kumpel Steven Kelly Football gespielt (er ist der Bruder meines Schwagers – gibt es für dieses Verwandtschaftsverhältnis eigentlich eine spezielle Bezeichnung?). Es war spät geworden, und als ich wieder zu unserem Haus zurückging, sah ich, dass mein Bruder mir entgegen kam. Ich wusste sofort: Jetzt ist es soweit. Mein Bruder war schon verheiratet und wohnte nicht mehr zu Hause, wieso sonst also würde er hier sein, noch dazu mit diesem Gesichtsausdruck? Es ging mit Dad zu Ende. Blindlings rannte ich an meinem Bruder vorbei und rein in unser Treppenhaus.
Mit Dad war es schon in den vergangenen vier Wochen abwärts gegangen. Er hatte immer mehr Schmerzmittel genommen und war deshalb oft auch gar nicht mehr ansprechbar, aber wir konnten noch ein bisschen reden, wenn die Wirkung des Morphiums nachließ und der Schmerz noch nicht wieder eingesetzt hatte. Ganz langsam ging er von dieser Welt, das wussten wir alle. Er versuchte sich zusammenzureißen, wenn Besuch kam, aber es war für alle schlimm. Wenn seine Freunde von ihren Gefühlen überwältigt wurden, rastete er aus. „Geh zum Heulen woanders hin – entweder, du erzählst mir was Lustiges, oder du haust ab“, raunzte er, wenn einem alten Freund die Tränen kamen.
Ich saß oft an seinem Bett. Er sah aus wie ein Skelett, über das noch Haut gespannt war, und er schien zu schrumpfen, aber er hatte noch immer sein typisches Lächeln, und manchmal hatten wir doch noch richtige Gespräche. Ich brachte meine ganzen Spielsachen an sein Bett und beschäftigte mich damit, reparierte meine Rennautos, während er eindöste, und wartete darauf, dass er wieder zu Bewusstsein kam. Wenn er sich dann wieder rührte, sagte er oft: „Verdammt noch mal, bist du immer noch hier?“
Der Rest der Familie versuchte mich vor der Krankheit abzuschirmen. Ich war erst zwölf Jahre alt, aber ich wollte unbedingt Zeit mit meinem Vater verbringen, ihm helfen, wenn ich konnte, und wenn auch nur dabei, ihn aufs Klo zu bringen und anschließend sauberzumachen. Als er schließlich nicht mehr laufen konnte und einen Rollstuhl brauchte, wusste ich, dass das Ende kam. In den letzten Wochen konnte ich ihn mit ein wenig Mühe aus dem Stuhl und auf die Toilette heben, und es war ein gutes Gefühl, dass ich zumindest etwas für ihn tun konnte, sein Kissen zurechtrücken oder ihm einen Eiswürfel zum Lutschen in den Mund stecken, Kleinigkeiten, damit er sich ein bisschen besser fühlte. Manchmal denke ich, dass man Kindern zuwenig zutraut, wenn es darum geht, Schicksalsschläge zu ertragen. Aus meiner Erfahrung würde ich sagen, dass sie erstaunlich gut in der Lage sind, mit schwierigen Umständen zurechtzukommen. Und davon mal abgesehen können junge Menschen allein durch ihre Ehrlichkeit ein wenig dringend benötigten frischen Wind in richtig beschissene Situationen bringen.
Als ich an diesem Tag Ende März in Dads Zimmer kam, gab er fürchterliche Laute von sich. Meine Mutter hielt ihn im Arm und wiegte ihn hin und her wie ein krankes Kind. „Geh nicht weg, Pat!“, stieß sie immer wieder hervor. Als sie mich sah, brach sie völlig zusammen, und sie so außer sich zu sehen, war für mich sehr befremdlich. Ich wollte zu ihr gehen, aber sie scheuchte mich weg und bat John stattdessen, mit mir rauszugehen.
John und ich gingen auf den Laubengang vor der Tür hinaus und sahen aufs Basketballfeld hinunter. Schließlich wandte mein Bruder mir den Kopf zu, aber er brachte nichts weiter heraus als „tut mir so leid, Alter“. Eine Weile standen wir nur da. John hatte den Arm um meine Schultern gelegt. „Ich schaue mal nach Dad, du bleibst hier.“ Vom Laubengang aus konnte ich alles hören, was vor sich ging. Die schrecklichen Laute wurden leiser, als Dad allmählich immer mehr das Bewusstsein verlor und wir auf den Krankenwagen warteten. In mir wurde alles taub, es war verwirrend. Ich hörte die Laute, aber meine Gedanken drifteten davon, und ich sah ein paar Freunden zu, die auf dem Basketballfeld im Hof unter uns spielten. Dann holte mich ein Geräusch wieder zurück. Wo blieb nur der Krankenwagen? Wieso brauchten die so lange?
Als der Notarzt schließlich kam, stellte sich heraus, dass der Fahrstuhl zu klein war, um die fahrbare Krankenliege hineinzuschieben. Also schnallte man meinen Dad auf eine Trage, die dann im Lift fast aufrecht gestellt werden musste. Die Fahrt nach unten dauerte nur 20 Sekunden oder so, aber gefühlt war es eine Ewigkeit, und sie hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Dad hing schlaff in den Riemen der Trage und holte keuchend Luft. Der Boden des Fahrstuhls war verdreckt und stank nach Pisse. Dads Füße waren nackt, und der Gedanke, dass sie schmutzig werden könnten, machte mich verrückt, weil ich wusste, wie sehr er das hassen würde. Er ging niemals barfuß irgendwo hin.
Unten wurde er in den Krankenwagen verfrachtet, und Mum und John stiegen mit ein, während ich nur zusah. Er war nun ganz still geworden, und ich war mir sicher, dass er nicht mehr unter uns war. Es war überhaupt ganz, ganz still, abgesehen von dem Klatsch, Klatsch, Klatsch des Basketballs, der auf dem Feld hinter dem Parkplatz immer wieder auftrumpfte. Danach fuhr ich in dem stinkenden Fahrstuhl wieder nach oben und saß dann allein in meinem Zimmer. Dad starb am 22. März 1968.
Ich vermisse meinen Vater heute noch – mit jedem Jahr, das vergeht, sogar mehr. Es gibt so vieles, was ich gern mit ihm geteilt hätte. Dad, John und ich waren begeisterte Fans des Carlton Football Clubs, auch Mighty Blues genannt, und ich erinnere mich noch gut daran, wie ich bei den Spielen der Blues im Princes Park auf Dads Schultern saß, frische Erdnüsse kaute und die Schalen aus seinem vollen, schwarzen, mit Brillantine zurückgekämmtem Haar pulte. Wenn die Blues wieder mal was auf die Mütze bekamen, heulte ich, aber Dad tröstete mich immer, indem er sagte: „Nächste