Dirty Deeds - Meine wilde Zeit mit AC/DC. Mark Evans
in einem Tränenmeer ertrank. Ich brüllte zum Himmel empor: „Ich hab dir immer gesagt, wir schaffen es!“
Während meiner sechsten Klasse an der Murrumbeena State School war ich an den Freitagen oft zu Hause geblieben, um Zeit mit meinem Vater zu verbringen. Irgendwann, ich glaube, es war kurz vor Weihnachten 1967, hatte ich ihm erklärt, dass ich nicht zu seiner Beerdigung gehen wollte.
„Das ist in Ordnung“, sagte er. „Du musst nicht, wenn du nicht willst.“
Mein Gott – wie muss er sich dabei gefühlt haben? Heute wird mir ganz kalt, wenn ich mir vorstelle, dass eines meiner Kinder so etwas zu mir sagt. Ich ging wirklich nicht zu seiner Beerdigung, und wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb mich diese Erinnerungen noch immer so quälen. Ich hatte lange Zeit deswegen Schuldgefühle. Heute noch träume ich manchmal, dass mein Vater plötzlich auftaucht und sagt: „Dich hatte ich hier gar nicht erwartet.“ Aua.
An der Prahran High gab es einen jungen Lehrer, Richard Moran, der zur gleichen Zeit an die Schule gekommen war wie ich. Er war wohl erst Mitte 20, ziemlich gradlinig und anständig, aber kein Typ, der oft lächelte. Er ließ keinen Blödsinn durchgehen und war ziemlich streng, aber bei ihm wusste man, woran man war. Er war es, der mir Bücher nahe brachte, einfach, indem er sie im Unterricht erwähnte. Ich bin mir nicht sicher, ob er das tat, um uns zum Lesen anzuregen, aber bei mir hatte es jedenfalls diese Wirkung. Zu den von ihm genannten Büchern zählten Harper Lees Wer die Nachtigall stört und Hemingways Der alte Mann und das Meer, und beide wurden zu meinen Lieblingsbüchern.
Mr. Moran behielt mich stets im Auge. Ich war Klassensprecher, und wir kamen von Anfang an gut miteinander aus. Eines Morgens im Englischunterricht merkte er, dass ich nicht bei der Sache war, und er wies mich deswegen zurecht. Als ich trotzdem nicht aufpasste, wurde er sauer und ließ mich vortreten.
„So, Evans, kannst du mir bitte kurz wiederholen, was ich der Klasse gerade gesagt habe?“
„Nein“, antwortete ich.
„Was ist denn heute Morgen los mit dir, Evans?“
Er wollte mich richtig anschnauzen, das merkte ich, aber dann ließ er mich ganz unverhofft doch in Ruhe, was eigentlich nicht seine Art war. Ein wenig später kam er zu meinem Platz, während der Rest der Klasse an einer Aufgabe arbeitete, und beugte sich zu mir hinunter.
„Was ist heute mir dir los? Was hast du für ein Problem?“
„Heute wird mein Vater beerdigt“, sagte ich. „Ich wollte nicht hingehen, deswegen bin ich lieber zur Schule gekommen.“
Mr. Morans Gesicht wurde starr. Er sah kurz weg, dann legte er mir die Hand auf die Schulter.
„Davon hat man uns gar nichts erzählt. Es tut mir so leid.“ Sein Gesicht war jetzt weiß wie eine Wand. Dann fragte er etwas ganz Blödes: „Bist du sicher?“
Ich musste gar nichts sagen, er sah mir die Antwort an. Es hatte wirklich niemand an der Schule Bescheid gesagt, dass Dad gestorben war. Meine Mutter hatte es sicher tun wollen, aber irgendwie war das wohl vergessen worden.
Dann fragte Mr. Moran ganz leise, als spräche er mit sich selbst: „Woran ist er denn gestorben?“
„An Krebs“, sagte ich.
„Hier hat niemand gewusst, dass er krank war. Warum hast du nie etwas gesagt, Mark?“
Darauf hatte ich keine Antwort. War es meine Aufgabe, davon zu erzählen? Ich war ganz durcheinander; es war, als stünde ich neben mir und sah dem Geschehen mit Abstand zu. Wie konnte das geschehen? Wieso hatte er nichts gewusst, und wieso hatte Dad sterben müssen?
1971 lag Dads Tod drei Jahre zurück. Ich war 15, als meine Mutter beschloss, ins etwa 40 Kilometer entfernte Seaford zu ihrem neuen Lebenspartner Jock Livingstone zu ziehen, in ein Haus am Strand. Ich konnte verstehen, dass sie mit Jock einen neuen Anfang machen wollte, weit weg vom Hilton und den Erinnerungen an den Verlust von Dad. Ich hatte kein Problem damit, dass sie wegziehen wollte. Im Gegenteil, ich wollte einfach nur, dass sie wieder glücklich wurde.
Allerdings wollte ich deswegen nicht die Schule wechseln, daher blieb ich in unserer Wohnung im Prahran Hilton, und Mum erklärte sich bereit, regelmäßig vorbeizuschauen, um sicherzugehen, dass die Bude noch stand. Mum war vor allem zu Anfang von dieser Vereinbarung wenig begeistert, aber ich war schon immer sehr unabhängig gewesen, und sie hatte mir beigebracht, mich allein zu versorgen, was den Haushalt betraf. Trotzdem brauchte sie eine Weile, um mit dieser Situation zurechtzukommen. Ich hatte natürlich Glück, dass ich mit 15 schon eine eigene Wohnung hatte. Aber in was für einem Umfeld. Das Hilton war damals als Selbstmordadresse berühmt-berüchtigt. Die Leute fuhren mit dem Fahrstuhl bis aufs Dach und sprangen runter.
Einmal stand ich bei meiner Freundin Terri Mannix in der Küche, und während wir uns unterhielten, sah ich etwas am Fenster vorbeirauschen. Dann ertönte ein Geräusch, das ich nur mit dem einer dicken Wassermelone vergleichen kann, die frontal gegen einen Lkw prallt. Zwar hatte ich schon ein schlechtes Gefühl, aber ich ging trotzdem auf den Balkon, um nachzuschauen. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan – der Anblick hat sich für immer in mein Unterbewusstsein eingebrannt. Der Selbstmörder da unten auf dem Boden sah aus wie ein Gemälde von Picasso, es war schrecklich. Irgendwie überraschte es mich, dass ein Körper aus so großer Höhe – das Hilton hatte immerhin zwölf Stockwerke – auf den Boden prallen konnte, ohne völlig auseinanderzubrechen. Es war das erste Mal, dass ich einen Toten sah. Er war auf einem Firmenschild gelandet, das ein wenig wie ein Raumschiff aussah. Ich wandte mich zu Terri um und sagte: „Wenigstens hatte er ein Ziel vor Augen.“ Man stumpfte schon ein wenig ab, wenn man im Hilton lebte.
Mein bester Freund, Graham Kennedy, wohnte ebenfalls dort. Er stammte aus Glasgow und hatte, als er zehn Jahre alt war, in den Straßen von Cran Hill mit meinem späteren Bandkollegen Malcolm Young Fußball gespielt. Graham sagte mir, sein Vater Neil hatte schon einmal einen Selbstmörder vom Hilton springen sehen, als er abends von der Arbeit kam. Er beschrieb, wie der Mann kerzengerade, „wie eine verdammte Rakete“, mit an den Körper angelegten Armen und den Füßen voran vom Dach herunterschoss und sich in eines der von der Wohnungsbaugesellschaft frisch angelegten Blumenbeete bohrte. Eine der Klatschbasen aus der Gegend sprach daraufhin von „unserem neuen Gartenzwerg“. Bei einer Party zeigte mir jemand ein Polaroid-Foto von dem Typ und bat mich, es mit meiner Unterschrift sozusagen zu beglaubigen, aber das war dann doch ein bisschen krass, selbst für mich. (Polaroids wurden später noch ein großes Thema auf Tournee, und es hatte schon seine Gründe, dass ein Mitglied der AC/DC-Crew von „Pornoroids“ sprach.)
Ich war 15, als ich mit einigen meiner Kumpels zu einem „Turn“ eingeladen wurde, einer Party, die von ein paar älteren Jungs veranstaltet wurde. Die Bedingung war, dass wir ein paar Dutzend Flaschen Bier Marke Vic Bitter mitbrachten, und außerdem ein paar Mädchen. Aus irgendeinem Grund, der sich mir bis heute nicht erschlossen hat, wurden Mädchen damals „Bürsten“ genannt. Wir gingen gerade den Laubengang im ersten Stock zum „Turn“, als einer der Partygäste durch die Fliegengittertür krachte und von zwei riesigen Typen verdroschen wurde.
Nach einer ziemlich gründlichen Abreibung sagte einer der beiden Angreifer zu seinem Opfer: „Komm schon, Alter, steh auf. Ist doch nichts passiert, hau ab, sieh zu, dass du nach Hause kommst.“ Dann wandte er sich an seinen Kumpel: „Fass mal mit an, ja?“ Und die beiden nahmen ihren Punching-Ball und warfen ihn geradewegs über das Geländer. Als er unten aufschlug, hörte es sich wie eine zerplatzende Wassermelone an. Der eine der beiden Schläger guckte uns an, nahm uns die Flaschen ab und sagte: „Danke, Jungs. Wo sind die Bürsten?“
Glücklicherweise hatten ein paar Büsche und Sträucher den Fall des Prügelknaben gebremst, aber wir dachten damals ernsthaft, dass wir wieder mal eine Leiche im Vorgarten hatten. Die Angreifer gingen wieder in die Wohnung, wir aber nicht; wir fragten uns noch, was wir wegen der neuesten Gartendeko unternehmen sollten. Vielleicht war die Party doch keine so gute Idee.
Dann hörte ich von unten eine Stimme.
„Hey,