Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors. John Densmore
Monat später waren wir im L.A. Coliseum bei den Football-Meisterschaften. Die lebhafteste Erinnerung an diesen Auftritt bleibt der Moment, als wir in dem Tunnel warten mussten, um auf das Spielfeld zu gehen und Big Daddy Lipscomb mit der Nummer 33 zur Halbzeit an uns mit seinem Team vorbeiging. Er war der gewaltigste Typ, dem ich jemals begegnet bin. Oder jemals zu treffen gehofft hatte.
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Im Sommer des Jahres 1964 geschah dann etwas Außergewöhnliches in der Musikszene von Los Angeles. Überall am Sunset Strip öffneten neue Clubs: Fred C. Dobbs, The Trip, Bedo Ledo’s und das Brave New World. Die Gruppen, die dort spielten, kamen beileibe nicht aus der Hitparadenabteilung. Sie spielten ihren eigenen Stil in ohrenbetäubender Lautstärke. Wann immer ich konnte, ging ich abends mit Grant, einem Freund von der Highschool, nach Hollywood, um dort bis um zwei oder drei Uhr morgens in den Clubs herumzuhängen. Leute jeden Alters hatten Zutritt, da dort kein Alkohol ausgeschenkt wurde. Meine Eltern waren sich inzwischen sicher, dass ich bald in der Gosse landen würde.
Meine Eltern! Mom war eine gebürtige Kalifornierin und stammte aus einer guten katholischen Familie mit fünf Kindern, dem Walsh-Clan. Während der Zeit der Depression ging Margaret Mary auf die Beverly Hills Highschool und wurde Bibliothekarin. Als sie sechzehn war, zog Ray Blaisdale Densmore in die Nachbarschaft. Mit zwölf war er mit seiner Familie aus York im Bundesstaat Maine in die Vorstädte von Los Angeles gekommen. Im Alter von 23 Jahren machte er auf der Universität sein Diplom in Architektur und glänzte als Schauspieler mit den Santa Monica Players. Auch Mom verdiente Geld mit der Schauspielerei. Die beiden gingen einige Jahre miteinander, bevor er ihr einen Heiratsantrag machte. Sie stimmte unter der Bedingung zu, dass ihre Kinder katholisch erzogen werden sollten. Er war nicht bereit, zum katholischen Glauben überzuwechseln; sein Zögern wurzelte wahrscheinlich in dem Rat seines Vaters, der seinen vier Söhnen mitgeteilt hatte, sie sollten kein katholisches Mädchen heiraten, was auch immer passieren würde.
Wie es sich ergab, richtete sich niemand nach dieser Empfehlung.
Ich wuchs in einem Mittelklassehaus in West L.A. zusammen mit meiner älteren Schwester Ann und meinem jüngeren Bruder Jim auf. Es war wie in der Ozzie & HarrietShow und ich war Ricky. Ich identifizierte mich mit seinem drolligen Sinn für Humor, mit dem er seinen gütigen, aber im Grunde genommen spießigen Eltern entgegentrat. Als Kind konnte ich es kaum erwarten, irgendwann einmal das Zuhause verlassen zu können, aber ich war am Boden zerstört, als eines Tages die Mitteilung des State of California Transportation Departement ins Haus schneite, dass eine Autobahn geradewegs durch unser Grundstück gebaut werden sollte. Meine Wurzeln sollten zugepflastert werden. Wo mein „Zuhause“ war, ist heute eine Autobahnauffahrt. Auf dem Schild steht „San Diego Freeway North“.
Vielleicht nahmen meine Eltern diese Instabilität zum Anlass, mich so konservativ zu erziehen. Noch zur Zeit der Highschool übten sie Druck auf mich aus, dass ich mir die inzwischen schulterlangen Haare schneiden lassen und mich wie ein normaler Jugendlicher auf meine Schulaufgaben konzentrieren sollte.
Doch meine Flucht hatte begonnen. Es zog mich förmlich aus der Vorstadt von Los Angeles in die Clubs von Hollywood.
Ich ging nun auf das Juniorcollege, aber ich roch, dass da draußen eine Szene war, von der ich bisher nichts geahnt hatte. Ich begann, in mir unbekannten Straßen von Venice und Westwood umherzustreifen und fand schließlich meinen Weg nach Hollywood. Es dauerte nicht lange, bis mich die hellen Lichter und die dunklen Ecken des Sunset Boulevards verführt hatten.
Ich entdeckte eine neue Welt von Musik und Leuten. Grant und ich waren zwei 19-jährige Jazzfans und standen dem Rock’n’Roll eher ablehnend gegenüber, aber wir stellten fest, dass etwas ganz Besonderes in der Rockszene begann. Die Bands, die zu dieser Zeit in L.A. auftauchten, waren die Byrds, Love und die Rising Sons mit Ry Cooder. Ich träumte davon, eines Tages in einer Band wie Love zu spielen. Mit ihnen hingen unzählige Mädchen herum! Die ersten Male, als ich Love sah, war ich ziemlich schockiert. Selbst 1964 wirkten sie noch bizarr. Arthur Lee, der schwarze Leadsänger, trug eine rosagefärbte Omabrille und ihr Gitarrist trug so enge Hosen, dass es aussah, als hätte er sich vorne zwischen die Beine eine Socke gestopft. Sie waren eine Gruppe mit Leuten verschiedener ethnischer Herkunft und schienen miteinander befreundet zu sein. Nachdem ich Love gesehen hatte, wusste ich, dass ich noch einige Wege zu gehen hatte, bevor ich genauso hip sein würde. Sie kleideten sich in grelle Farben, trugen Lederwesten und Wildlederjacken mit Fransen. Ich stellte mir die Frage, ob sie so auch auf der Straße herumliefen.
Das Publikum bestand aus lauter Nonkonformisten, um es einfach zu sagen. Es war wie bei einer Modevorführung für Freaks: lange Haare und Perlenketten, Lederkragen und gestreifte Hosen, Wildledermokassins, Paisleyhemden und Nehrujacken. Aus der Sicht der heutigen Punker ziemlich zahm, aber ungeheuerlich für ein L.A.-Vorstadtkind der Mittsechziger. Diese Typen waren voll drauf. Hippies. Extravagant und freizügig. Ihre Hemmungslosigkeit war ansteckend. Ich wusste nun, wo ich hingehörte. Sicherlich nicht zu den Tab Hunter-Typen am College.
Um zwei Uhr nachts schlossen die Clubs und jedermann ging zu Canter’s an der Fairfax Avenue, der wahrscheinlich besten Restaurantkneipe an der Westküste. Toleranz war die Basis, auf der dieser Laden jene Jahre überlebte. Welch eine Szene! Das Essen landete wahrscheinlich genauso oft auf dem Boden wie es gegessen wurde. Es war ein Riesenspaß. sich gehen zu lassen und sich laut und auffallend zu benehmen. Meistens bis zu dem Punkt, wenn die Serviererin kam, Ärger machte und man befürchten musste, rausgeschmissen zu werden. Immer wenn Berühmtheiten wie der Plattenproduzent Phil Spector oder die Byrds hereinkamen, gab es einen enormen Applaus. Zwanzig Jahre später wurde Canter’s wiederum zu einer In-Kneipe, diesmal für die Punker-Szene. Die Musikstile ändern sich, aber Fisch und Brot bleiben gleich.
Um meine Gewohnheiten in Hollywood weiter ausbauen zu können, brauchte ich ein Auto und ich versuchte alles Mögliche, um immer länger von Zuhause fortzubleiben. So arbeitete ich zeitweise in einer chinesischen Wäscherei und faltete Hemden in einem Raum, dessen Temperatur nie unter 37 Grad Celsius sank. Und das im Winter! Es war wie in einer Sauna, jeden Tag. Ich trank literweise Orange Crush und aß kartonweise TwinkieKekse. Dazu sang ich den Schwitzkasten-Blues und verdiente genug Geld, um mir ein 57er Ford-Cabrio kaufen zu können. ’Ne heiße Kiste war das! Der Wagen war silbern gespritzt. Toll! Zu Hause kletterte ich auf die Rücksitze und mein Fuß brach geradewegs durch den Boden auf das Straßenpflaster.
Unerschrocken waren Grant und ich uns weiterhin sicher, dass wir wegen des eindrucksvollen Armaturenbrettes und des blitzenden Auspuffrohres jede Menge Mädchen anmachen könnten. So kurvten wir in Westwood herum, dem Viertel von L.A. mit den Kinos und den schicken Shoppingcentern nahe dem Campus der Universität. Und wir fuhren und fuhren. Im Radio lief Henry Lewy auf KNOB mit seinen Jazzsendungen. Und enttäuscht kriegten wir den „Summertime Blues“, denn wegen des schrägen Bebops bekamen wir kein Mädel zu uns in den Wagen. Hey, wer hat es damals schon geschafft, mit dem Auto Mädchen abzuschleppen? Etwa die gutaussehenden Typen? Oder die Surfer vom Strand? Oder die Topmodischen? Ich glaub’s einfach nicht! Das war der erste von vielen gehüteten Mythen, der sich in Luft auflöste.
Zusätzlich zur Szene in Hollywood erforschten Grant und ich auch verschiedene Jazzclubs. Zu den besten zählte das Lighthouse, Shelley’s Manne Hole, das Bit, das Renaissance und das Melody Lane unten am Adams Boulevard, wo sich keine Weißen hinwagten. Mein Cabrio war erfolglos, so hatten wir reichlich Zeit, neue Musik zu hören.
Wie viele andere weiße Jazzliebhaber entdeckte ich zuerst Dave Brubeck-Platten. Damals hatten die Plattenläden noch Hörkabinen, was Grant und ich ausnutzten, um unsere Musikkenntnisse zu erweitern, ohne etwas dafür bezahlen zu müssen. Wir fanden Les McCann gut, einen schwarzen Pianospieler mit einem gefühlvollen Jazzstil vermischt mit Funk und Gospel. In diesen gläsernen Kabinen konnte man knapp zwanzig Minuten lang ungestört den Plattenspieler und die Kopfhörer benutzen, ehe der auf Umsatz bedachte Manager des Ladens einen zum Kaufen aufforderte.
Um ihrer Welt zu entfliehen, gingen viele Jugendliche in die Kinos. Wir taten es mit Hilfe des Jazz. Coltrane und Miles erschienen uns als Höhepunkte aus zwanzig Jahren Jazzgeschichte. Bei ihnen fanden wir unsere eigene Religion. Eine Art von roher geistiger Anarchie. In leidenschaftlichen Gesprächen erörterten wir, wie sehr diese Musikgenies über allem standen, wie sie