The Who - Maximum Rock II. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock II - Christoph Geisselhart


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beginnt in einer eigenen Welt zu leben.

      Im Sommer 1972 leerte Keith jeden Tag mindestens zwei Flaschen Cham­pagner­ und zwei Flaschen Brandy, wobei er laut Augenzeugen dazu überge­gangen­ war, seine beiden Lieblingsgetränke in einem Glas zu mischen. Noel Redding, der ehemalige Bassist von Jimi Hendrix, der mit Keith für ein Album von Dave Clarke­ zusammenarbeitete, berichtet, wie verwundert er war, dass Keith den ganzen Tag über keinen Tropfen Alkohol anrührte­ – bis er herausfand, dass die vier Gläser Milch, die Keith vor den Sessions als Frühstück verlangte, zur Hälfte mit Brandy gefüllt waren. Seine Unfähigkeit, nur ein Glas oder zwei zu trinken, war unübersehbar. Es war ihm zwar möglich, ein oder zwei Tage lang gar nichts zu trinken, aber danach kippte er wieder so viel in sich hinein, bis gar nichts mehr ging.

      Keith bemerkte sehr wohl, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Im Herbst 1972 konsultierte er erstmals einen Psychologen. Es ist nicht bekannt, was der Seelenarzt diagnostizierte. Man weiß jedoch, dass er Keith dazu aufforderte, vor jeder weiteren Behandlung erst einmal sein Alkoholproblem in den Griff zu kriegen, und dass er ihm eine private Entzugsklinik in Weybridge empfahl, nicht weit von Chertsey entfernt. Keith folgte diesem Rat. Er blieb eine Woche dort, um sich zu entgiften. Als er entlassen wurde, fühlte er sich wie befreit, fast selig. Er hatte entdeckt, dass er seine Trunksucht relativ unkompliziert stoppen konnte – und beging den klassischen Fehler jedes Süchtigen: Er glaubte, seine Droge kontrol­lieren­ zu können.

      Während dieser kurzen Phase relativer Abstinenz engagierte sich Keith für ein Filmprojekt, das eine Rückschau auf die Anfänge des Rock’n’Roll in England ­darstellen sollte. Es fällt auf, dass sowohl Pete wie auch Keith sich 1972 mit nostal­gischen Erinnerungen an die gute alte Zeit ihrer Jugendmusik beschäftigten. Selbst Johns etwa gleichzeitig entstehendes Album Rigor Mortis Sets In griff den Mythos des Rock’n’Roll der fünfziger Jahre auf. Allerdings tat John das auf seine typische schwarzhumorige Art: Man höre sich „Pet Leg Peggy“ an, das von einer schönen Tänzerin handelt, die allerdings einen bemerkenswerten Makel hat: ein Holzbein. Harry Nilsson, mit dem Keith bald eine schicksalhafte Freundschaft verband, hatte mit seinem Song „1941“ die Retrostimmung auf den britischen Inseln eingeleitet.

      Keiths Film trug den Titel eines Hits von Chuck Berry: „That’ll Be The Day“ (… when I die!). Keith bekam das Drehbuch in die Finger und war Feuer und Flamme. Alles, was ihn wie auch die anderen Who-Mitglieder in der Kindheit geprägt hatte, tauchte da wieder auf – die Entdeckung des Rock’n’Roll im Radio, die populären Filme, die Jugendgangs, das Versagen in der Schule, Tanzabende in verdruckster Atmosphäre, das Streben der Arbeitersöhne nach Glanz und Reichtum. Keith setzte sich sofort mit dem Produzenten David Puttnam in Verbindung und versprach Unterstützung. „Ehrlich gesagt halte ich es für fraglich, ob wir den Film jemals auf die Beine gestellt hätten, wenn Keith nicht eingestiegen wäre“, sagt Puttnam. „Erst als er dazukam, hatten wir das Gefühl, dass ein Film daraus wurde. Er bot sogar an, Geld in das Projekt zu investieren.“

      Natürlich spekulierte Keith auf eine Rolle. Der Auftritt in Zappas Roadmovie hatte ihn hoch motiviert. Dass er eine Leinwandkarriere neben seiner Musikerlaufbahn anstrebte, erachteten alle als logisch und naheliegend. „Er hatte ebenso großes Talent als Schauspieler wie als Schlagzeuger“, meint Chris Stamp.

      Keith wusste, dass die Hauptrolle des jungen Jim, der zum Star aufsteigen ­­sollte,­ für ihn unerreichbar war. Er wollte stattdessen die wichtigste Nebenrolle ­spielen, Jims Mentor, der den Jungen in die Erwachsenenwelt einführt. Puttnam ­entschied aber, dass Ringo Starr aufgrund seiner Erfahrung dafür geeigneter war, und Keith zeigte sich völlig uneitel und half mit, seinen Freund und Kollegen als Mitwirkenden zu gewinnen. Er legte auch den Grundstein für eine solide Finanzierung des Films, indem er den noch unveröffentlichten Who-Song „Long Live Rock“, gesungen von Billy Fury, für den Soundtrack vermittelte und die Plattenfirma mit einbezog. Außerdem sorgte er dafür, dass eine Reihe verdienter Freunde­ einen Filmauftritt an seiner Seite bekamen: Drumroadie Mike Double spielte einen Bassisten, Helfer Dougal erhielt eine E-Gitarre umgehängt, Graham Bond blies Saxofon, und Kumpel Viv Stanshall durfte einen abgetakelten Sänger mimen.

      Keiths Lohn war eine kleine, aber sehr authentische Rolle als Schlagzeuger der Hausband, J. D. Clover. Er spielte nicht sich selbst, wie zu vermuten gewesen wäre, sondern agierte verblüffend sachlich und überzeugte durch ruhige, ernsthafte ­Präsenz, die vollkommen anders wirkte als sein Auftritt als groteske Nonne in ­Zappas Film.

      The Who waren unterdessen wieder einmal von ihrem Überwerk Tommy ­eingeholt worden. Petes und Kits Originalstory hatte schon mehrere Adaptionen erfahren – als Schauspiel, Ballett, opernhafte Multimediaaufführung und zuletzt als Westcoast-Bühnenstück in Kalifornien. The Who waren in diese Produktionen nie weiter eingestiegen, als dass sie ihre Einwilligung gaben und sich an den Lizenzabrechnungen freuten. Da aber trat ein Mann auf sie zu, dessen Angebot verführerisch klang und der Pete schließlich zu einem persönlichen Engagement überzeugte: Lou Reizner, der respektierte amerikanische Impresario, wollte eine spektakuläre Allstarversion der Rockoper auf die Beine stellen, gemeinsam mit dem Londoner Sinfonieorchester und Kammerchor; und sein Geldgeber war der Hollywoodmogul Lou Adler. Zur Bühnenproduktion sollte noch eine Studioplatte eingespielt werden – damit wurde das Projekt auch finanziell interessant.

      Ursprünglich hatten Reizner und Adler ihren Schützling Rod Stewart für die Rolle des tauben, stummen und blinden Helden vorgesehen. Pete konnte jedoch Roger lancieren, der davon sehr angetan war. Tommy war in gewisser Hinsicht auch seine Erfindung, denn er hatte die Figur auf der Bühne zum Leben erweckt und galt in seinem wildledernen Fransenanzug als ihre perfekte Verkörperung.

      „Roger hat in dieser Rolle stets eine überragende Leistung geliefert“, sagt Pete. „Und nach Who’s Next waren seine Fähigkeiten als Sänger über jeden ­Zweifel­ erhaben. Als ich ihn im Rainbow Theatre erstmals aus der Zuschauer­perspektive auf der Bühne sah, wurde mir klar, dass Roger – durch Tommy – eine tiefe Beziehung zum Publikum entwickelte hatte und ein großartiger theatralischer Darsteller geworden war. Ich erinnere mich, dass ich mich meiner Frau zuwandte und sagte: ‚Ist er nicht verdammt gut?‘“

      Keith war zunächst etwas enttäuscht, denn statt seiner besetzte Ringo Starr die Drums – der Ex-Beatle entwickelte sich allmählich zu Keiths Überego. Zu den ­beiden Wohltätigkeitskonzerten im Rainbow Theatre durfte Keith dann aber doch in seine Paraderolle als perverser Onkel Ernie schlüpfen. Nach allen Berichten war er in seinem überlebensgroßen, auf Stelzen gebauten Kostüm der Star des Abends. John trat als Cousin Kevin auf, Rod Stewart als Tommys Gegenspieler „Pinball Wizard“, und Roger hatte sogar noch einmal seinen über der Brust offenen­ Indianeranzug aus dem Schrank geholt. Steve Winwood, Richie Havens und andere Popstars komplettierten die Besetzungsliste. Pete zupfte auf dem Album ein wenig auf der Gitarre, beschränkte sich aber im Wesentlichen darauf, als ­Erzähler die Handlung seiner Geschichte vorzutragen.

      Die hohen Produktionskosten von über sechzigtausend Pfund lohnten sich für den Investor Lou Adler. Das Doppelalbum verkaufte sich wie verrückt und wurde innerhalb einer Woche vergoldet. Die bejubelten Konzerte mit Orchester und Kammer­chor, bei denen alle Gastmusiker, Keiths Idol Peter Sellers und The Who gemeinsam auf der Bühne standen, erbrachten fast zwanzigtausend Pfund Spenden­geld für gemeinnützige Organisationen.

      So wäre das Who-Jahr 1972 still und harmonisch ausgeklungen, hätte sich Keith der allgemeinen Zufriedenheit anschließen können. Das konnte er aber nicht. Die kurze Phase, in der er sein Alkoholproblem im Griff hatte und laut Kim wie „ein verwandelter Mensch“ auftrat, war vorüber. Nach der Veröffentlichung von „Relay“ / „Waspman“ Ende November brach er, unruhig und trinkfreudig wie je, nach Kalifornien auf, um für ein fragwürdiges Wohltätigkeitskonzert den ­Ansager zu mimen. Natürlich traf er dort auf eine gute und keineswegs alte Bekannte: „Keith Moon kam nach Hollywood, um ein paar Fernsehgeräte zu kastrieren,­ indem er sie durch die Glastüren des Beverly Hilton Hotels nach ­draußen warf“, beschreibt Miss Pamela ihr Wiedersehen. „Ich wohnte dort mit ihm für fünf der perversesten, verwirrendsten Tage meines Lebens.“

      Wenn eines der abgebrühtesten Groupies der Rockgeschichte so etwas schreibt, darf man sich auf einiges gefasst machen. Keiths Hauptaufgabe, die Stars


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