The Who - Maximum Rock II. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock II - Christoph Geisselhart


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      „Obwohl es ungewöhnlich ist, eine Maultrommel in einem Rocksong zu ­verwenden, wurde ,Join Together‘ die kommerziellste Who-Single der siebziger Jahre“, meint Who-Fachmann Christian Suchatzki.

      Auch Stücke wie „Long Live Rock“, ein Song, mit dem Pete einen launigen Blick zurück auf ihre Pionierrolle riskierte („wir waren die ersten, die an der Bar kotzten)“, und in einem weiteren Sinn sogar „Relay“ thematisierten die Band, ihre Musik und ihre Beziehung zu ihrer Umgebung.

      Im August bekam Keith eine weitere therapeutische Sonderbehandlung und durfte­ zur Stärkung seines Selbstwertgefühls die Eigenkomposition „The Waspman“ als B-Seite für „Relay“ aufnehmen. Das zu neunundneunzig Prozent instrumentale Blödelstück aus drei Akkorden und vielerlei Summgeräuschen inspirierte Keith prompt, eine passende Figur mit eigens angefertigtem Kostüm zu erfinden. Pete erzählt von Keiths unweigerlich folgendem Einsatz als überlebensgroßes Insekt:

      „Als wir einmal von einem Konzert im Norden von England hundemüde nach London zurückkamen, suchten wir verzweifelt nach einem Hotel, das uns weltbekannte Zimmerzerstörer kurzfristig aufnehmen würde. Endlich gelang es uns, eine Unterkunft zu finden, und nach langen Verhandlungen erklärte sich der Mann am Empfang auch bereit, uns Zimmer zur Verfügung zu stellen. Doch in diesem Moment stürmte Keith durch die Eingangstür, voll ausstaffiert in seinem gelb-schwarzen Wespenkostüm, eine kleine Kappe mit Propeller­ auf dem Kopf. Er surrte so nervtötend um die Rezeption herum, wie nur er es tun konnte. Der Hotelmanager entschied daraufhin umgehend, dass alle Zimmer­ ausgebucht waren. Den Rest der Nacht verbrachten wir im Auto.“

      Kurz nach der „Waspman“-Produktion begannen The Who ihre Sommertournee kreuz und quer durch Mitteleuropa. Es war kein glücklich gewählter ­Zeitpunkt für ein so diffiziles logistisches Vorhaben mit schwerem Gerät, das exakt koordiniert ­werden musste. Der Kontinent befand sich in einer unruhigen Phase. In Deutschland waren wenige Wochen zuvor die RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof verhaftet worden, und man erwartete Anschläge. Außerdem wackelte die Regierung von Bundeskanzler Willy Brandt. Die notwendigen Neuwahlen wurden lediglich wegen der anstehenden Olympischen Sommerspiele in München auf den Spätherbst verschoben. Es sollte sich bald zeigen, dass die Who-Manager in typisch britischer Inselmentalität solche Faktoren nicht richtig bedacht hatten.

      Zum Tourauftakt am 11. August in der Frankfurter Festhalle wurde zudem deutlich, dass die lange Pause der Gruppe nicht gut getan hatte. Das Zusammenspiel klappte nach sieben Monaten Bühnenabstinenz nicht wie gewohnt; jeder Akteur kämpfte mit unerwarteten Schwierigkeiten. „Ich hatte tatsächlich vergessen, wie ich die Lautstärke am Bass einstellen musste“, erzählt John, „und Pete ­ruinierte sich fast die Kniescheiben, weil er vergessen hatte, seine Knieschützer anzuziehen, bevor er zu seinem Sprung auf die Bühne ansetzte.“ Keith trommelte­ zwar wie ein Wilder, doch auch er hatte in den Monaten davor prak­­tisch keinen Trommelstock angefasst und konnte die Band nicht zusammenhalten.

      „Das Frankfurter Konzert blieb leider etwas hinter meinen Erwartungen zurück“, erinnert sich Albert Trentmann, unverändert begeisterter Who-Fan und einer von über zehntausend Besuchern in der Festhalle. „Golden Earring hatte als Vorgruppe alles gegeben, und es war sehr schwer für The Who, dort anzuknüpfen. Der Start war wie immer laut und wild; dennoch kam keine rechte Stimmung auf. Vielen war es zu laut, und es gab keine richtigen Steigerungen. Nach jedem Stück wurde artig geklatscht, doch kaum jemand verlangte nach einer Zugabe.“

      Bei „Bargain“, das schon immer ein Problemstück im Programm gewesen war, ging der Einsatz daneben. Roger und Pete stritten sich sogar kurz. „Ich war noch nicht fertig“, blaffte Pete, nachdem Roger den Titel angesagt hatte. „Du kannst nicht einfach daherkommen und ‚Bargain‘ sagen. Du musst ‚eins, zwei, drei, go!‘ sagen. Okay? Dann mach jetzt weiter.“

      „Eins, zwei, drei, go!“ sagte Roger sarkastisch und sichtlich genervt wegen Petes Gängelung.

      Die Frankfurter Rundschau schrieb in ihrem Konzertbericht von „Unausgewogenheit, ja Einseitigkeit im Programm“ und bemängelte fehlende Musikalität: „Sanfte, melodischere Songs fehlten völlig. Dabei hätte das Who-Opus Tommy deren so viele liefern können.“ Abgesehen davon, dass der Journalist offenbar die Ballade­ „Behind Blue Eyes“ und das Tommy-Finale „See Me, Feel Me“ überhört hatte und in Verkennung jeder biografischen Wahrheit behauptete, dass es bei der Band „in acht Jahren nie Skandale, nie Streit – nur Musik“ gegeben habe, deckt sich seine Einschätzung mit Albert Trentmanns Erinnerungen:

      „Von Tommy wurden nur einige wenige Stücke gespielt“, bestätigt der. „Was ich im Nachhinein als richtig empfand, obwohl das Publikum diese Songs forderte.­ Es fiel auf, dass Stücke wie ‚Baba O’Riley‘, ‚Relay‘ oder ‚Won’t Get Fooled Again‘ noch ungewohnt über die Bühne kamen, und dass die Synthesizer­sequenzen vom Band abgespielt wurden. Ich denke trotzdem, dass die Who-Show mit diesen Stücken abwechslungsreicher wurde.“

      Tags darauf traten The Who in Hamburg mit einer deutlich umgestellten Set­liste auf. Anstelle von „I Can’t Explain“ begannen die „Exorzisten des Rock“, wie Die Welt titelte, mit „Shakin’ All Over“ und „My Wife“. Und das letzte Stück war „Sparks“, womit der Tommy-Anteil im Set auf drei Titel stieg. Viertausend Hamburger Fans in der Ernst-Merck-Halle waren begeistert. Auch wenn die Morgenpost nach ihrem Lob über die „perfekteste Rock-Show der Welt“ etwas düster und wortquer orakelte: „Das Ende des Rock ist die Routine.“

      Darüber mussten alle in Deutschland erst einmal gut zwei Wochen nachdenken, und Keith Moon kaufte eine Pistole und beschoss ein Ölgemälde in seinem deutschen Hotelzimmer. Bill Curbishley zufolge traf er aber nur die Wand, nicht das Bild.

      Der Who-Tross zog weiter über Brüssel, Amsterdam und Kopenhagen, wo Keith Wasserbetten im Hotel entdeckte, die er für sexuelle Experimente an seinem­ Geburtstag zu verwenden gedachte, nach Stockholm, Göteburg und ­wieder­ Kopenhagen, wo Keith das schon bekannte Hotel zwei Tage nach seinem Geburtstag mit dem Inhalt seines Wasserbetts flutete, noch bevor es zu den sexuellen Experi­menten­ gekommen war, bis die Band am 30. August wieder in Deutschland eintraf – es war eine etwas eigenartige Tourneeplanung.

      Dann landeten The Who in Berlin. Die geteilte Stadt war eine Herausforderung für jeden Komiker, und Keith Moon lief auch gleich zu großer Form auf. Die Besichtigung des Ostsektors geriet zum Affront gegen die kommunistische Staatsgewalt, denn Keith überreichte bei der Grenzkontrolle statt seines Passes zunächst eine Ausgabe von Spike Milligans Nazi-Witzmemoiren Adolf Hitler: Meine Rolle in seinem Niedergang.

      Die apokalyptische Grundstimmung dieses Buchtitels konnte man durchaus auch auf Keith übertragen. The Who waren wieder zum „unausgewogenen“ ­Programm zurückgekehrt – manche vermuteten, weil Keith die Selbstkontrolle und die technische Geübtheit fehlte. Er wirbelte zwar optisch wie zu besten ­­Zeiten, aber sein Spiel entlang der eingespielten Tonbänder verlangte ihm so viel ­Disziplin ab, dass für die Spontaneität, die sein Markenzeichen und seine eigentliche Stärke war, wenig Raum blieb.

      Der Tagesspiegel verriss das Berliner Konzert und stellte, quasi als publizistische Höchststrafe, sogar die hervorragend auf­spielende Vorgruppe ­­Golden­ Earring über den Hauptakt: „Als die vier Holländer abtraten, ahnte man schon, dass es die Who schwer haben würden, das Publikum am Kochen zu halten. Sie verbrannten sich dann auch leider nur die Finger.“ Dass der Tagesspiegel richtig lag, kann man auf dem Bootleg Berlin 1972 (Fire Power FP-027) nachhören: „Klang­mäßig ein einziger Soundschwall“, urteilt Who-Fachmann Christian Suchatzki.

      Etwas Schlimmeres als eine solche Kritik gibt es wohl kaum für eine Band auf Tournee. Der Drummer von Golden Earring, Caesar Zuiderwijk, äußerte sich zwar stets mit größtem Respekt über The Who und erzählte mit großer Freude von gemeinsamen Tourerlebnissen. Er berichtete allerdings auch von einer diskreten­ Anfrage aus dem Who-Tross, ob er nicht interessiert wäre, den Platz von Keith Moon zu übernehmen. Das deutet darauf hin, dass man im Management über Keiths Auftritte auf und hinter der Bühne nachzudenken begann.

      Das nächste Konzert in der Essener Grugahalle war viel besser – wie man es


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