The Who - Maximum Rock II. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock II - Christoph Geisselhart


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Trinkgewohnheiten beibehalten, die denen von Keith sehr entsprachen. Er war begeistert darüber, dass alle erwachsenen Hausbewohner grundsätzlich Gin zum Frühstück, Wodka zum Mittagessen und Whiskey­ zum Dinner serviert bekamen. Die Alkoholfalle Tara House schnappte jeden Tag ein Stückchen mehr zu.

      Kims jüngerer Bruder Dermott, der ebenso alt war wie seine Nichte, Kims Tochter Mandy, erinnert sich, dass seine Mutter in Tara House für ihn kaum mehr da war: „Eigentlich wollten wir bloß ein verlängertes Wochenende bei Kim verbringen. Daraus wurden dann zwei Jahre. Ich weiß noch, dass meine Mutter zwar anwesend war, aber eigentlich kümmerte sich vor allem meine Schwester um alles.“

      Dennoch war Schwiegermama Joan für Keith fast nützlicher als die eigene Frau. Bald nach ihrer Ankunft in Tara House begann sie eine Affäre, die Keith mehr als einmal aus großer Bedrängnis rettete. Alles fing damit an, dass Keiths Luftkissen­fahrzeug aus Los Angeles angeliefert wurde. Mitten in der Nacht überfiel den stolzen­ Besitzer das Bedürfnis, das neue Gefährt vorzuführen. Er warf den ­Verbrennungsmotor an und jagte mit Höllenlärm über sein Grundstück.

      Die sensibel gewordenen Nachbarn, die vielleicht noch ein wenig verärgert waren über die abgebrannten Bäume in ihren Gärten nach dem Feuerwerk der legendären Einweihungsparty, alarmierten die Polizei. Den beiden rasch eintreffenden Gendarmen bot sich eine Kulisse, die in scharfem und aufreizendem Kontrast zum tristen Beamtenalltag im verschlafenen Chertsey stand. Der berühmte Rockstar kreiselte knatternd und stinkend auf einem fliegenden Rasenmäher über sein nächtliches Grün und begrüßte die neuen Zuschauer mit freudigem Hallo. Vor dem futuristischen Glashaus standen oder lagen Keiths übliche Gäste – Freaks, Penner, Säufer, vielleicht ein paar Berühmtheiten und Künstler wie jener Maler, der Keiths Spielzimmer mit riesigen Comicstrips ausgestattet hatte und monatelang blieb, bis ihn Dougal mit vorgehaltener Schrotflinte vor die Tür setzte. Vor allem aber gab es Mädchen, angetrunkene Groupies, die Männer in Uniform als Bereichung ihres Erfahrungshorizonts betrachten mochten.

      Die Polizisten mussten sich blitzschnell entscheiden: Auf der einen Seite quengelnde Rentner und neureiche Protze, auf der anderen Seite Keith Moon mit ­praller­ Lebenslust im Gefolge. „Das Ende vom Lied war, dass sie bei uns an der Bar landeten“, erzählt Kim. „Sie waren begeistert von der Chance, mit Keith zu feiern, und warteten nur darauf, dass er ihnen die Möglichkeit zu einer friedlichen ­Beilegung des Konflikts anbot.“

      Der inoffizielle Kontrakt wurde noch in derselben Nacht besiegelt. Keith und Kim wurden wie Staatsgäste mit Blaulicht in eine Kneipe namens Sergeant Pepper’s nach Staines eskortiert, wo Keith einen großen Auftritt hatte. Im Gegenzug durften die Streifenpolizisten jeden Abend in Tara House an der Bar patrouillieren. „Wir ließen immer die französischen Fenster zum Ausschank auf“, berichtet Dougal. „Der Streifen­wagen kam vorgefahren, die Cops machten einen Rundgang durchs Grundstück, öffneten das französische Fenster und genehmigten sich einen Scotch.“

      Nicht selten wurde der nächtliche Drink von Keiths offenherziger Schwiegermutter gereicht. Dabei kam man sich näher. Einer der Beamten begann eine ­handfeste Beziehung mit Joan, und Keith, der eine Polaroidkamera besaß, hielt die fröhliche Begegnung mit einem Schnappschuss fest, wie später Steve Ellis, der Ex-Sänger von Love Affair (man beachte den passenden Bandnamen), berich­tete: „Wann immer etwas schief lief, lachte Keith vergnügt und verkündete: ,Ich hab’ da ein gewisses Foto …‘“

      Die familiären Bande zur lokalen Exekutive bieten eine Erklärung dafür, wieso Keith nie bestraft wurde, wenn er nach einem Besuch im Golden Grove oder im Sergeant Pepper’s ans Steuer rutschte und seine Edelkarosse wieder einmal in den Graben setzte oder mit ihr parkende Lieferwagen rammte. Dougal bekam dann einen nervösen Anruf und eilte zum Ort des Geschehens, wo Keith und die Streifen­polizisten ihn schon erwarteten, damit er sich hinters Lenkrad klemmen konnte und als Fahrer des Unfallwagens identifiziert wurde. Keiths Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung – Fahren ohne Führerschein und unter Alkoholeinfluss, abgesehen vom Unfall selbst – blieben auf diese Weise ungeahndet. Lediglich die Versicherung stieg wieder um einige Prozentpunkte. Dougal hat die sagenhafte Summe von rund hunderttausend Pfund an jährlicher Schadensregulierung für alle Fahrzeuge errechnet, die Keith während ihrer Zeit in Tara besaß, demolierte und wieder reparieren ließ.

      In diesem Frühling 1972, während ihn die Who beschäftigungslos sich selbst überließen, gab Keith auch sein legendäres Rolling Stone-Interview, in dem er ­zahlreiche Mythen um die eigene Person schuf, die bis heute gern zitiert werden. Die meisten sind nicht oder nur halb wahr, wie wir schon wissen. Keith strickte sie aus dem Bedürfnis, sich in einer Phase seines Lebens wichtig zu machen, da ihm die musikalische Bühne fehlte und er sich zweifelsohne besonders unwichtig fühlte.

      „Keith war eigentlich ein liebenswürdiger Mensch“, meint Chris Stamp. „Aber er hatte keinen echten inneren Halt, kein natürliches Selbstwertgefühl; er konnte nicht glauben, dass ihn die Leute mochten, gerade weil er so war, wie er war. Er glaubte immer, etwas noch Außergewöhnlicheres darstellen zu müssen, als er war, damit ihn die Leute liebten.“

      Das war eine tragische Fehleinschätzung; denn so vereinsamte Keith in seiner Anstrengung, allem die Krone aufzusetzen und immer höher in den Unsinn zu fliegen, wobei er immer tiefer in den Drogen- und Alkoholsumpf rutschte. Kein Mensch konnte Keith dauerhaft ertragen, niemand vermochte ihn je zu bremsen, keiner kam je an seine wahre Persönlichkeit heran. Vielleicht hatte er ja gar keine mehr – oder aber zu viele, wie seine zunehmende Begeisterung an Verkleidung und Rollenspiel nahelegte.

      Auch den in Rollenspielen durchaus abgebrühten Kollegen von Sha Na Na wurde Keiths übermächtiger Hang zum Mummenschanz bald zu viel. Keith folgte­ den Spaß-Rock’n’Rollern sogar bis nach Belgien und platzte in die Probe zu einem Fernsehauftritt mit einem doppelten Salto hinein, der so gründlich misslang, dass er sich dabei an der unteren Wirbelsäule verletzte. Drei Tage lag er in einem belgischen­ Krankenhaus, dann wurde er nach England verlegt, wo er sich einer kleinen­ Operation unterziehen musste. „Keith meinte, das käme von all den Jahren, in denen er immer wieder vom Barhocker gefallen war“, erzählt PR-Mann Keith Altham, der für The Who die Öffentlichkeitsarbeit koordinierte und in „Moon the Loon“ seinen besten Mitarbeiter hatte.

      Nahm irgendwer Keith überhaupt noch ernst? Wäre es nicht die Pflicht seiner Manager oder der Bandkollegen gewesen, den manisch-depressiven Drummer an die Hand zu nehmen, ihm Einhalt zu gebieten, ihm zu erklären, wohin sein exzessiver Lebensstil führte? Der frühere Track-Mitarbeiter Mark Timlin meint jedenfalls: „Ganz ehrlich: Jeder stachelte ihn an. Jeder sagte: ‚Los, Keith, schmeiß die Flasche an die Wand!‘ Damals war alles nur ein Witz, aber rückblickend müssen wir uns ein­gestehen, dass wir alle an seinem Schicksal mitschuldig sind. Das ist sehr traurig.“

      „Keith hatte nicht einen einzigen echten Freund“, erzählt auch Dougal, der sich selbst als Keiths engsten, aber dafür bezahlten Begleiter sieht. „All die Jahre in Tara kam nicht einmal ein ehemaliger Schulfreund oder Arbeitskollege vorbei. Da gab es niemanden.“

      Doch: Zumindest einen gab es, der es versuchte. Es war John Schollar, der treue Exkollege von Keiths früherer Band The Beachcombers: „Ich rief in Tara an, und Joan nahm ab. ‚Ist Keith da?‘ fragte­ ich. Sie antwortete: ‚Er ist gerade beschäftigt, wer sind Sie?‘ Ich erklärte es ihr, und sie hielt Rückfrage: ‚Keith sagt, du sollst einfach für ein paar Tage rüber­kommen.‘ Ich war verheiratet, ich konnte­ nicht einfach mal kurz für ein paar Tage vorbeikommen.“

      Das war der Unterschied. Keith verschwand ohne Probleme für ein paar Tage, wenn ihm die Party zu Hause zu fade wurde oder wenn er mit Kim Krach hatte. Er läutete dann schnell bei Dougal an, und der wusste, aha, es geht los, verabschiedete sich von seiner Freundin, packte genug Unterwäsche ein, stieg in seinen Mini Cooper oder in den MG, den Keith ihm zur Verfügung gestellt hatte, und holte seinen Arbeitgeber ab. Im Rolls Royce ging es dann weiter ins Speakeasy oder ins noch exklusivere Tramp in der Jermyn Street, wo Keith auf Mick ­Jaggers­ Tisch tanzte und Lokalrunden ausgab, bis er blank war und betrunken und ein paar Mädchen aufgerissen hatte; dann wechselte man im kleinen Kreis in ein teures Hotel und vergnügte sich dort für den Rest der Nacht bis zum nächsten Abend. Daraufhin zog man wieder los, fuhr auch bei „Doktor Robert“ vorbei, dem Pillenarzt


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