The Who - Maximum Rock II. Christoph Geisselhart
darum scherte, was andere Leute mit dem Geld der Gruppe machten, solange ihn eigene Pläne mehr beschäftigten. Er verletzte damit nicht nur die Interessen der Who, sondern konnte ihnen in rechtlicher Hinsicht sogar schaden. Denn nach dem Gesetz war ein Manager zu sorgfältiger und verantwortungsbewusster Geschäftsführung verpflichtet. Roger hatte berechtigte Zweifel, ob der heroinsüchtige Lambert im fernen New York ihre Interessen überhaupt noch wahrnehmen konnte.
Im September 1971 kam zudem der alte Streit mit Shel Talmy wieder an die Oberfläche. Die erniedrigende Vereinbarung, die Lambert und Stamp mit dem unabhängigen Produzenten der frühen Who-Hits auf den Stufen des Londoner Gerichtsgebäudes vor fünf Jahren hatten abschließen müssen, um die Band aus ihrem leichtfertig abgeschlossenen Knebelvertrag zu befreien, ging ihrem Ende zu. Alle Songrechte fielen nun an The Who beziehungsweise an den Komponisten Pete zurück, und man beschloss, die Hits der sechziger Jahre, auf die Talmy bisher die Hand gehalten hatte, möglichst bald auf einem Best-of-Album zu veröffentlichen. „Es bedeutet viel, für mich persönlich wie für die Band, dass ‚I Can’t Explain‘ und andere Oldies nun endlich wieder uns gehören“, freute sich Pete.
Neben sentimentalen Gefühlen zählte vor allem auch der zu erwartende materielle Zugewinn. Pete erkannte richtig, dass die zahlungskräftigen Fans in den USA die glorreiche Vergangenheit der Band noch gar nicht richtig entdeckt hatten. Für den amerikanischen Rockfan begannen The Who gemeinhin ab 1969 mit Tommy, ihrem Millionenseller. Was zuvor auf dem britischen Musikmarkt erschienen war, war nie in die Plattenläden in den Staaten gelangt – abgesehen von jenem zweitrangigen, schlecht abgemischten und irreführenden Album Magic Bus im Herbst 1968 gab es keine Who-Oldies in den USA.
In aller Eile, aber mit großer Umsicht, wurden die alten Masterbänder ins Apple-Studio gebracht und dort für eine Kompilation aufbereitet. Das Album sollte The Who Looks Back heißen, aber Lambert erhob dagegen Einspruch: „Er meinte, das höre sich an, als ob wir alle schon tot wären“, erzählt Pete.
Lambert hatte freilich dauernd etwas auszusetzen an diesem Album, das Produktionen seines Todfeinds Shel Talmy enthielt. Am Ende schaffte er es sogar, die von Polydor bereits ausgelieferte Platte für vierundzwanzig Stunden aus dem Verkehr zu ziehen – mit dem Argument, die endgültige Zusammenstellung sei mit ihm nicht abgesprochen worden und die Übergänge zwischen den Songs seien unsauber geschnitten.
Schließlich wurde Meaty Beaty Big And Bouncy, wie das Album nach einer Passage aus einem Werbespot für Hundefutter dann hieß, aber doch noch freigegeben. Die Fotos fürs nostalgische Cover hatte Rogers Vetter geschossen, der Fotograf Graham Hughes. Er war zum Railway Hotel gezogen und hatte das denkwürdige Ziegelsteingebäude abgelichtet, in dem Kit Lambert im Sommer 1964 auf die Who, die damals noch The High Numbers hießen, gestoßen war und in dem Pete seine Gitarre an der niedrigen Gewölbedecke erstmals zerbrochen hatte.
„Für die Probeaufnahmen hatte ich ein gefälschtes Who-Auftrittsplakat neben dem Eingang aufgehängt“, erzählt Hughes. „Plötzlich tauchte ein Typ auf, der genauso aussah, wie man damals rumgelaufen ist, und der deswegen perfekt in die Szenerie passte. Das brachte mich auf eine Idee. Bill Curbishley und ich durchkämmten Schulen und Wohnsiedlungen im East End nach Jungs, die so aussahen, wie The Who im Knabenalter ausgesehen haben müssen. Einer von ihnen war übrigens Bills kleiner Bruder Paul. Ich fotografierte die Kinder vor einem verlassenen Gebäude in der Nähe der Wandsworth Road, wo die Band gerade probte.“ – Dieser Ort war übrigens das Granada Theatre. – „Ich stellte die Jungen erst vor dem Eingang auf, und dann ließ ich sie aus dem Fenster auf die Stufen runterblicken. Am nächsten Tag machte ich das gleiche mit der Band, um die Idee vom ‚Rückblick‘ zu verdeutlichen.“
Auf dem späteren leicht sepia eingefärbten Cover sieht man die vier rotzfrechen und wie in der Nachkriegszeit angezogenen Straßenjungs, die sich nostalgisch vor dem Backsteingemäuer lümmeln, während The Who, zeitgemäß in Farbe fotografiert, aus dem Fensterrahmen gucken. Die innere Plattenhülle zeigt die Szene gerade andersherum: Roger, Pete, Keith und John grinsen tagesbunt von den Stufen, während ihre vier monochromen Doppelgänger sie aus ferner Kindheit interessiert durchs zerbrochene Fenster beobachten.
Dass The Who im Granada Theatre probten, war übrigens kein Zufall, sondern Resultat der anhaltenden Soundprobleme während der vorherigen kurzen USA-Tournee. Die Band hatte in eine zwanzigtausend Pfund teure PA investiert und studierte das Zusammenspiel mit ihrer neuen Lichtanlage. Während der folgenden, nicht angekündigten Testserie von Konzerten an drei englischen Universitäten probierten The Who auch aus, ob es nicht klüger wäre, die Synthesizerbänder durch einen kompetenten Keyboarder zu ersetzen. Petes Wahl fiel auf Ron Geesin, der die „Atom Heart Mother Suite“ auf Pink Floyds letztem Studioalbum mitkomponiert hatte. Das Experiment wurde aber nicht fortgesetzt, obwohl Pete des Lobes voll war über den fortschrittlichen und multimedial arbeitenden Kollegen. Als weiterer Bühnengast tauchte John Sebastian von der Gruppe Lovin’ Spoonful auf, der bei Keith übernachtete und den dieser am Flughafen in Chauffeursuniform abgeholt hatte.
„Keith sagte mir, ich solle auf die Bühne kommen und mit The Who jammen“, erzählt der Liedermacher mit dem John-Lennon-Gesicht, der seine Mundharmonikas immer dabei hatte. „Ich schlug einen Blues in A vor, wie man das eben gelernt hat, wenn man aus New York kommt, einen Blues kann schließlich jeder; aber Pete schaute bekümmert drein und flüsterte in Bühnenlautstärke: ‚Geht nicht, Keith kann keinen Blues spielen.‘ Und Keith stand direkt hinter ihm und meinte: ‚Ich kann’s nicht, verstehst du?‘ Es war so erfrischend, mit diesen Jungs zu spielen, die sich nicht darum scherten, wie man etwas machte, das jeder kannte, und ob sie es konnten oder nicht.“
John Sebastian bemerkte bei allem Spaß allerdings auch, dass der Haussegen bei den Moons bedrohlich schief hing:
„Es sah danach aus, als ob schwere Zeiten auf Keith und Kim zukamen. Sie waren nicht gerade widerwärtig zueinander, aber ich konnte sehen, dass Kim große Mühe mit ihrer Rolle als verantwortliche Person im Haushalt hatte, weil es bestimmt das Schwierigste überhaupt war, mit Keith den Alltag zu teilen. Wenn man sich wirklich um ihn kümmern wollte, musste man irgendwann an den Punkt kommen, an dem man sagte: ‚Du bringst dich um, du wirst viel zu schnell ausbrennen, wenn du so weitermachst.‘“
Es ist fraglich, ob irgendwer Keith das je in dieser Eindringlichkeit gesagt hat – und wenn, dann hat Keith nicht zugehört, sondern die Bedenken mit einem Glas teuren Cognacs oder mit einer Handvoll Uppers beiseite gewischt. Der zweite Teil der USA-Tournee 1971, bei der die Gruppe den amerikanischen Süden und die Westküste beackerte, bewies, wie fragil Keiths Gesundheitszustand durch den Drogen- und Alkoholmissbrauch, den er seit sieben Jahre trieb, inzwischen geworden war.
Als The Who am 20. November ihre Konzertreise in North Carolina begannen, begleitet von einer siebeneinhalb Tonnen schweren Ausrüstung und geneigten Berichterstattern wie Nik Cohn und Chris Charlesworth, zeigte sich Keith aber noch in gewohnt bester Stimmung. Charlesworth erzählt:
„Wir stromerten backstage durch die Gänge des Charlotte Coliseums, während die anderen in der Garderobe auf den Auftritt warteten. In einem Lagerraum entdeckten wir ein hohles Holzei auf Rädern, das groß genug war, dass jemand reinklettern konnte. Natürlich musste Keith da rein, und ich schob das Ding Richtung Umkleide, wo Keith rausspringen und alle erschrecken wollte. Unglücklicherweise ging es auf dem Weg dorthin eine Treppe runter. Ich verlor die Kontrolle über das Vehikel, und es zerschepperte an der Wand. Keith kroch kopfüber heraus – und glotzte einen Sicherheitsbeamten an, der einen Vandalen erkannte, aber nicht den größten Rockschlagzeuger der Welt. Fast hätten wir die Nacht auf dem Parkplatz verbracht.“
Später, auf der Bühne, schnappte sich Keith zwischen zwei Songs das Mikro, stand auf und starrte ins dreizehntausend Zuschauer fassende Auditorium: „He, Leute, ich hatte ja keine Ahnung, wie viele Kerle in eine Charlotte passen!“
In Memphis überkamen ihn altbekannte Gelüste, und er zerlegte sein Hotelzimmer so gründlich, dass am nächsten Morgen tausendvierhundert Dollar an Renovierungskosten vom Who-Konto abgebucht wurden: „Mir war langweilig“, beklagt sich Keith. „Es war einfach nur ein beschissenes Hotelzimmer wie zehn Millionen