The Who - Maximum Rock II. Christoph Geisselhart

The Who - Maximum Rock II - Christoph Geisselhart


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glimpflich davon, obwohl er fand, er habe den elektrischen Stuhl verdient. Er brach zusammen, während er den Priester spielte, fing an zu heulen und schimpfte sich einen mordenden Scheißkerl. Unsere Stegreifveranstaltung ­kippte,­ und ich beruhigte seinen gequälten Geist, der sich in masochistischen ­Alpträumen wälzte.“

      Neil Bolands Gespenst führte in Keiths Innenwelt ein unkontrollierbares Dasein. In dieser Nacht tauchte es im ungünstigsten Moment auf. Doch überraschend fing sich Keith wieder: Genauso plötzlich, wie er in den Selbstekel hineingeschlittert war, schnellte er wieder heraus – der Priester hatte ein starkes Comeback – und schickte sich an, sein Werk auf dem zitternden Schulmädchen zu vollenden. „Unsere gewagten­ Improvisationen zogen sich bis lange nach Sonnenaufgang hin.“

      Pamela wohnte damals im Gartenhaus der Zappas und hegte größte Sorgen, dass jemand Keith sehen könnte, der in ihren Leoparden-Stöckelschuhen nebst passender Raubtier-Damenunterwäsche herumlief. Das Groupie war völlig geschafft, während Mr. Moon quietschvergnügt mit Zappas Kindern umher­tobte und Zimttoasts frühstückte, als hätte es keine schlaflose Nacht gegeben.

      Später trafen die beiden Pete, und auch hier ist Miss Pamelas Schilderung höchst interessant:

      „Selbst wenn ich ein erbärmlicher, reumütiger Dummkopf war, war ich trotzdem entzückt und geehrt, ein paar Augenblicke mit Pete Townshend verbracht zu haben. Er war einer von jenen, glaubte ich, die von oben geschickt worden waren, um uns bloße Sterbliche mehr als nur zu unterhalten.“

      Im Vergleich mit Miss Pamelas Beschreibung von Keith wird hier sehr deutlich, welchen Stellenwert Pete als Moralist und künstlerische Instanz in der Szene genoss. Wobei selbst der Begriff Ehrfurcht noch zu harmlos umschreibt, wie man dem Meister der Rockoper begegnete. Die Leute schienen ihn mehr zu fürchten als zu ehren, diesen hageren, bleichen, unnahbaren und in stetem Dialog mit seiner eigenen Unzulänglichkeit verhafteten Gitarrenzauberer. Respektvoll zitiert das Groupie die große Koda „Listening To You“, Petes ergreifende Ode an seinen eigenen­ Meister Meher Baba, als sie von ihrer Begegnung erzählt.

      Am selben Abend zeigte Pete während des Konzerts der Who in Long Beach auf seine unwiderstehliche Art und Weise, dass er mit dieser Art von Helden­verehrung gar nicht klar kam. Als die Unruhe im Auditorium ihn daran hinderte,­ seine Überlegungen zum nächsten Song ausführlich darzulegen, stauchte er das ungebührliche Publikum unter ungebremster Verwendung des sittenwidrigen ­F-Worts grandios zusammen: „Ich sage euch Arschlöchern was, okay? Hört zu! Hört verdammt noch mal zu und haltet die Fresse! Setzt euch hin oder steht auf oder legt euch auf den Boden – aber seid ruhig! Okay? Das ist ein verdammtes Rock’n’Roll-Konzert und keine beschissene Teeparty! Kapiert?“ Eine leider deutlich gefilterte Fassung seines Ausbruchs kann man auf der Retrospektive Thirty Years Of Maximum R & B genießen.

      Keith war von seinen nächtlichen Eskapaden mit Miss Pamela offenbar doch stärker beansprucht, als er zugeben wollte. Als sich die Band am Sonntagmorgen zum Aufbruch nach San Francisco rüstete, fehlte er. Aus seinem Hotelzimmer drang kein Lebenszeichen. Dougal besorgte sich einen Ersatzschlüssel – und fand Keith kalt und leblos in seinem Bett. Er schüttelte ihn, zerrte ihn hoch, schleifte ihn umher, schlug ihn ein wenig, liebkoste ihn und begoss ihn mit kaltem ­Wasser­ … und irgendwann, irgendwie kam Keith tatsächlich wieder zu sich. Das erste, was er verlangte, waren ein paar Pillen. Vorher wollte er nichts tun.

      Erleichtert über Keiths Rückkehr unter die Lebenden gestattete Butler seinem erschöpften Arbeitgeber einen ungehemmten Griff in die pharmakologische Reise­kiste – Keith wählte ausgerechnet Downers, also Beruhigungsmittel. In Verbindung mit dem halben Fass Brandy, das noch in seinem Organismus zirkulierte, war das eine beinahe tödliche Mischung. Keith fiel in einen komatösen Dämmerzustand und musste nach der Landung in San Francisco im Rollstuhl zum Flughafengebäude geschoben werden.

      Die erste Show in der kalifornischen Blumenkindermetropole geriet darüber zu einem riskanten medizinischen Experiment, aus dem jeder andere Mensch außer Keith geläutert hervorgegangen wäre, sofern er es überlebt hätte. Irgendwie gelang es dem Drummer, trotz seiner benebelten Sinne auf die Bühne und hinter sein Arbeitsgerät zu kommen; doch schon die ersten Takte zeigten, dass Keith diesmal nicht in der Lage war, sein Schlagzeug ordnungsgemäß zu bedienen. Zweimal wurde er hastig hinter der Bühne mit Morphiumspritzen behandelt, dann alarmierte Dougal den nächsten niedergelassenen Arzt. Der war noch sehr jung und vergaß nie mehr, was er in den nächsten Minuten erlebte. Von Butler am Bühneneingang empfangen, eilte er mit Dougal durch Hallengänge hinters Podium, kroch zu Keiths Schlagzeugpodest und arbeitete sich möglichst unauffällig zu seinen unregelmäßig taktenden Füßen am Basstrommelpedal vor. „Heb den rechten Fuß an, Keith“, zischte Dougal seinem Arbeitgeber zu.

      Keith glotzte erstaunt nach unten, folgte aber dem Befehl, und während er weiter­ versuchte, mit der Band Schritt zu halten, zog der junge Doktor eine Corti­sonspritze auf und rammte sie Keith in den rechten Fußballen. Keith zuckte hoch, schüttelte sich und wirkte, als erwache er allmählich aus einem dunklen Traum. Sein Spiel gewann an Dynamik und Präzision. Aufmunternd nickte er den beiden Helfern am Boden zu. Also krochen Dougal und der Arzt auf die andere Seite des Podests. Butler schnappte sich Keiths linkes Fußgelenk, und der Mediziner ­­injizierte eine zweite Dosis. Die Wirkung war enorm. Keith richtete sich auf „wie eine Papiertüte, in die jemand aus vollen Lungen Luft bläst“, erinnert sich Dougal.

      Keith spielte fortan hervorragend. Teile des Konzerts wurden später sogar auf Platten veröffentlicht, so gut war die Band mit dem gedopten Drummer – zum ­Beispiel erschien „Baby Don’t You Do It“ auf der B-Seite der 1972 veröffentlichten ­­Single­ „Join Together“, und es gab „Bargain“, „My Wife“ und „Going Down“ auf Who’s Missing (1987) und Two’s Missing (1988). Mit dem letzten Beckenschlag brach Keith allerdings über seinem Schlagzeug zusammen. Er hatte sich vollkommen verausgabt. Hinter ihm lagen zweiundsiebzig Stunden ununterbrochene Party, wilde Nächte mit Sex statt Schlaf, massenweise Uppers und Downers, Schnaps, Brandy, Cognac, Koks, Morphium, Cortison und nicht zuletzt drei kräftezehrende Auftritte mit der lautesten Rockband der Welt. Für jeden anderen Menschen wäre das genug gewesen, um bei Tee und Zwieback ein halbes Jahr im abgedunkelten Hotelzimmer zu überdenken, dass dieses Leben nicht durchzuhalten war. Doch was tat Keith Moon?

      Nichts, was er sonst nicht auch getan hätte: Er warf sich ein paar Aufputschpillen ein, feierte weiter, und am gleichen Abend saß er schon wieder vergnügt hinter seiner Trommelbatterie und witzelte mit Pete auf der Bühne herum. Am 15. Dezember flog die Band nach Seattle, wo der letzte Tourauftritt mit geliehenem Equipment durchgezogen werden musste, nachdem die Trucks unterwegs steckengeblieben waren. Dann ging es kurz nach Hause, um Weihnachten zu feiern, und am 26. Dezember war Keith schon wieder auf dem Weg nach New York, um als Transvestit à la Marilyn Monroe, in ein knöchellanges Kleid aus Goldpailletten gequetscht und mit wasserstoffblonder Perücke, den Ansager für zwei Konzerte seiner Kumpels von der Rock’n’Roll-Zirkustruppe Sha Na Na in der Carnegie Hall zu mimen. „In diesen Tagen schien der Mensch tatsächlich unbezwinglich“, schreibt Tony Fletcher in seiner Moon-Biografie.

      Zwei Jahre zuvor hatte die Menschheit den Mond „erobert“. Die Missionen von Apollo 14 und Apollo 15 im Spätsommer 1971 galten als die erfolgreichsten Erkundungsflüge in der Geschichte der bemannten Raumfahrt. Doch schon ein Jahr später, im Dezember 1972, wurde das Apollo-Programm eingestellt, und seither hat nie wieder ein Mensch den bleichen Trabanten der Erde betreten. Ganz allmählich begann die Menschheit ihre Grenzen zu begreifen.

      Das galt für gewöhnliche Sterbliche.

      Für Keith Moon nicht.

      Erster Einschub: Meaty Beaty Big And Bouncy

      Erstveröffentlichung und Label:

      UK – Track, 26. November 1971

      USA – Decca, 5. November 1971

      Deutschland – Polydor, November 1971

      Höchste Chartspositi­on:

      UK: 9

      USA: 11

      Deutschland:


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