Paul McCartney - Die Biografie. Peter Ames Carlin

Paul McCartney - Die Biografie - Peter Ames Carlin


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brachte beiden bei, wie man spielt, da bin ich mir ziemlich sicher.“ Nach einer Weile übten sie auch im Wohnzimmer der McCartneys in der Forthlin Road, wobei Jim McCartney oft neben dem Klavier saß und darauf achtete, dass der kleine Mike nicht unter die Räder kam, aber auch die Hand hob, wenn er glaubte, dass das Stampfen und Dröhnen die Nachbarn im Nebenhaus stören könnte.

      Bei den Proben in der Forthlin Road hatte Paul zudem Gelegenheit, seinen neuen Bandkollegen zu zeigen, dass er auch das Klavier beherrschte, um seinen Status als musikalisches Wunderkind weiter zu festigen. Sein Sachverstand beschränkte sich allerdings nicht allein auf seine eigenen Instrumente, wie Colin bald feststellen musste. „Paul sagte oft auch mir, wie ich spielen sollte“43, berichtet er; Paul nahm dann neben seinem Schlagzeug Aufstellung und schlug mit den Fingern gegen die Snaredrum, um den Rhythmus anzudeuten, der seiner Meinung nach der richtige war. Eine Angewohnheit, die dem Drummer schon bald ziemlich gegen den Strich ging. „Das kam bei mir nicht so gut an.“

      Wenn sie in solchen Fällen sich rückversichernd ihren Bandleader ansahen, dann nickte John jedoch zustimmend: Macht, was er sagt. Das war für die anderen etwas nervtötend, zum einen, weil der noch ziemlich junge Paul so selbstbewusst auf seine Fähigkeiten vertraute, zum anderen, weil John zuvor stets Wert darauf gelegt hatte, dass die Quarrymen seine Band waren. Er suchte die Mitstreiter aus, er wies jedem seinen Part zu, er sang die Songs. Jeder, der ihn herausforderte, bereute das ziemlich schnell. „John konnte wirklich gemein sein,“44, gesteht Rod Davis. „Er war brillant und witzig, aber er konnte ziemlich unangenehm werden.“

      Mit Paul wehte in der Band plötzlich ein anderer Wind. „Wenn John ihn nicht gemocht hätte, hätte er ihn niemals ans Mikrofon gelassen“45, sagt Colin Hanton. „Aber als Paul zu uns stieß, war John schnell bereit, ihm Raum zu geben und Paul seine Songs singen zu lassen. Sie hatten viel Respekt voreinander. Man konnte sehen, dass sich zwischen ihnen eine Freundschaft entwickelte. Und sie passten vom ersten Tag an gut zusammen.“

      Und das war ein glücklicher Zufall, denn Paul hatte so viele Ideen – welche Kleidung die Band auf der Bühne tragen sollte, wie die Gitarristen vorn am Bühnenrand Aufstellung nehmen sollten, während die anderen Musiker zurücktraten, und wie sie sich als geleckte, professionelle Truppe präsentieren konnten. „Von der verlausten Skiffle-Gruppe wurden wir zu einer ziemlich gestylten Rockband“, meint Colin.

      Pauls erster Auftritt mit den Quarrymen fand am 18. Oktober in einem Saal im Liverpooler Mittelklasse-Vorort Norris Green bei einer Tanzveranstaltung des Conservative Club statt. Paul hatte für das Konzert wie ein Wilder geübt, vor allem das Solo, das im Mittelpunkt des „Guitar Boogie“ stand. Die stundenlangen Proben machten sich bezahlt, denn als der große Tag gekommen war, beherrschte Paul das Stück perfekt und konnte das Gitarrensolo Note für Note nachspielen. Er sorgte dafür, dass die Musiker in gleichfarbigen Hemden und mit schmalen Krawatten auf der Bühne erschienen, und die beiden Frontmänner, Lennon und McCartney, hoben sich mit ihren cremefarbenen Jacketts zusätzlich von den anderen ab. Sie spielten ihre ersten Songs, bei denen John den Leadgesang übernahm, und alles ging glatt. Aber als John das neueste Bandmitglied vorstellte und Paul nach vorn trat, um das große Solo von „Guitar Boogie“ zu spielen, versagten dem Fünfzehnjährigen die Nerven, und er verpasste nicht nur seinen Einsatz, sondern versuchte dann auch noch, durch besonders schnelles Spiel die verlorene Zeit wieder aufzuholen, was dann lediglich dazu führte, dass er die meisten Töne verhunzte. Für Paul war das so erniedrigend („John brüllte vor Lachen“, erinnert sich Hanton), dass er vergaß, seinen großen Soloauftritt bei „Twenty Flight Rock“ einzufordern. Dennoch war der Veranstalter des Konzerts von dem neuen, melodischeren Sound der Band beeindruckt. So sehr, dass er den Quarrymen vorschlug, von jetzt an regelmäßig an den samstäglichen Tanzabenden aufzuspielen, die er in diesem Herbst in den örtlichen Sälen in der Umgebung ­organisierte.

      Sie waren auf dem Weg.

      * * *

      Die zwei Jugendlichen waren in vieler Hinsicht wie ein Spiegelbild füreinander. Wenn John und Paul sich gegenübersaßen, deuteten die Hälse ihrer Gitarren – des Rechtshänders und des Linkshänders – in dieselbe Richtung, während ihre Finger im Gleichklang über das Griffbrett huschten. Ihre Charaktere ergänzten sich; die Hitzköpfigkeit und oft auch Unbeherrschtheit des Älteren federte sein jüngerer Partner mit seiner lächelnden, einschmeichelnden Art ab. Aber auch, wenn ihre Freundschaft unpassend anmuten mochte, spürten John und Paul vermutlich, wie gut sie die Schwächen des jeweils anderen ausglichen. John bewunderte Pauls lockere Entertainerqualitäten, sowohl auf als auch abseits der Bühne, während Paul sich in Johns bissiger Intelligenz sonnte und es genoss, dass sein Freund all die brutalen Dinge, die er, Paul, insgeheim dachte, aber nie zu äußern wagte, ohne Probleme – ja, sogar offensichtlich mit Genuss – auszusprechen wagte.

      Sie beide begriffen zudem, als sie über ihr Leben sprachen und einander ihre Geheimnisse anvertrauten, dass ihre so unterschiedlichen Persönlichkeiten von demselben unaussprechlichen Verlust geprägt worden waren. Denn während Pauls Mutter gestorben war, hatten sich Johns Eltern scheiden lassen, als er noch klein war, und sich dann mehr oder weniger aus seinem Leben zurückgezogen. Das hatte John verletzt, er fühlte sich im Stich gelassen. John war aber dennoch in recht geordneten Verhältnissen aufgewachsen, bei seiner strengen, aber liebevollen Tante Mimi im grünen Vorort Woolton. Die Trennung von seinen Eltern und ein überbordendes Gefühl des Zurückgewiesenseins machten John aber offensichtlich immer noch zu schaffen.

      „John war bissig und witzig aus Notwendigkeit, und darunter verbarg sich ein sehr warmherziger Charakter, wenn man ihn näher kannte“46, erklärte Paul. „Ich war das genaue Gegenteil, locker, freundlich, hatte keinen Grund, jemanden zu verletzen oder mich bitter zu zeigen, aber wenn es nötig war, konnte ich knallhart sein.“

      John war die eiserne Entschlossenheit hinter Pauls freundlichem Äußeren sicherlich ebenso aufgefallen. Aber vor allem faszinierten John die musikalischem Fähigkeiten seines neuen Freundes – sein frappierendes Geschick, mit dem er die Akkorde und Melodien der Songs knackte, die sie auf dem Plattenspieler im Wohnzimmer oder knisternd und knackend über Mittelwelle auf Radio Luxemburg hörten. Dass Paul tatsächlich eigene Songs geschrieben hatte, „I Lost My Little Girl“ und noch ein paar andere, machte ihn noch interessanter, ebenso wie umgekehrt Johns Fähigkeit, seine anarchistische Energie in Rocksongs einzubringen, indem er manchmal an den Stellen, an denen er den richtigen Text noch nicht hatte herausfinden können, eigene absurde Textbruchstücke sang und damit Pauls Phantasie enorm befeuerte.

      Sie erkannten intuitiv die Stärken des anderen ebenso wie die überbordende Sehnsucht, die ihnen beiden eigen war und den Rock ’n’ Roll zum Mittelpunkt ihres Lebens werden ließ. Es war wie ein körperlicher Impuls, ein Trieb, der sich aus demselben inneren Feuer speiste wie die sexuelle Begierde, die damals beinahe, wenn auch nicht ganz, ihrer Gier nach Musik gleichkam. In Pauls Erinnerung waren die frühen Tage bei den Quarrymen eng verbunden mit der Entdeckung der Sexualität, manchmal zusammen mit John und anderen Bandkollegen. Sie träumten von Mädchen und masturbierten dann, erinnerte sich Paul; eine Gruppe von Jungen, die in Sesseln saßen und in ihrer Phantasie die geheimnisvollen Welten zukünftiger Vergnügungen erkundeten. „Dann sagte irgendjemand, meistens John, sowas wie ‚Winston Churchill!‘“47, berichtete Paul. „Und damit war es mit der Konzentration der anderen vorbei.“

      Wenn es jedoch darum ging, in die Geheimnisse der Musik einzutauchen, hielt sich John mit seinen Störmanövern zurück. Als Colin Hanton von einem Typ hörte, der irgendwo auf der anderen Seite der Stadt wohnte und den Dominantseptakkord H7 beherrschte – Grundelement jedes Blues-Zwölftakters, der in der Tonart E gespielt wird –, schnappten sich John und Paul ihre Gitarren und unternahmen eine vierzigminütige Busfahrt, um den besagten Gitarristen aufzusuchen. Die Fahrt dauerte sogar noch länger, weil sie nicht nur einmal, sondern zweimal umsteigen mussten, um auf dem Weg ein Exemplar der Coasters-Single „Searchin’“ aufzuspüren (sprich: zu entwenden). Das war eben jene Entschlossenheit, erkannte Paul später, durch die sich die Beatles von anderen Bands unterschieden. Ebenso, wie John und Paul von allen anderen Quarrymen.

      Schon bald war ihr Leben ganz eng mit dem des anderen verbunden, teilweise willentlich, aber auch zufällig. John begann gerade sein Studium an der Kunstakademie, ein Umstand, der ihm normalerweise ganz andere


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