Tattoos & Tequila. Vince Neil

Tattoos & Tequila - Vince Neil


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waren als alle anderen, eine amerikanische Spielart der ungehobelten, wilden Tradition des englischen Punk, eine Art Nihilismus light. Ja, sie machten Musik. Aber es war mehr als das. Sie waren die Musik. Um mit Freud zu sprechen, sie waren das reine Es. Sie taten das, was ihnen ihr Gefühl eingab, was ihnen cool erschien, und verschwendeten keinen Gedanken an die Folgen – Rebellen ohne Durchblick. Später würde Vince mir erklären: „Die Antwort auf die Frage Warum? lautete stets: Warum nicht?“

      Über die Jahre brachten es Mötley Crüe auf eine vergleichsweise kleine Sammlung von Hits, die aber schnell zum Synonym für jugendliche Wildheit wurde, für Missachtung der Regeln und ein Leben ohne Angst vor möglichen Folgen, das so nahe an den Abgrund führte, wie irgend möglich. Im Laufe der Achtziger, Neunziger und der Zeit danach durchlebte die Band eine wechselvolle Karriere voller Höhe- und Tiefpunkte. Heute zählt das Werk von Mötley Crüe zum Standardvokabular des Rock und hat überall auf der Welt enorme Zugkraft. Während ich diese Zeilen schreibe, sind Vince und die anderen drei auf dem Weg nach Angeles, um dort mit den Proben für die anstehende Kanada-Tournee zu beginnen. Sie spielen immer noch zusammen, nach all den Blödeleien und Streitereien, den Höhen und Tiefen, und sie sind in der Welt des Rock auch noch immer von Bedeutung. Allerdings macht es den Anschein, als sei es inzwischen gar nicht mehr so einfach, sie alle auf ein- und dieselbe Bühne zu locken. In sämtlichen Interviews, die ich für dieses Buch führte – insgesamt mehr als 40 Stunden –, tat Vince sich damit schwer, auch nur ein nettes Wort über seine langjährigen Mitstreiter zu sagen. Von seinen Kollegen war lediglich Nikki Sixx bereit, für dieses Buch Rede und Antwort zu stehen, und er schwärmte von Vince. Verletzte Gefühle spielen in ihrem Verhältnis ganz offensichtlich eine große Rolle. Zum aktuellen Zeitpunkt sind alle vier Crüe-Mitglieder mehrfache Millionäre, obwohl es ihnen unterschiedlich gut gelungen ist, ihr Geld zusammenzuhalten. Sie alle haben es mit einer Solokarriere versucht und dabei zweifelsohne davon profitiert, sich auf die Vergangenheit mit der Band berufen zu können. Letztlich haben sie sich, wenn auch unwillig, der Erkenntnis gebeugt, dass Mötley Crüe als Ganzes größer ist als die Summe seiner Teile. Nach drei Jahrzehnten sind sie wie eine große dysfunktionale Familie: Ihre Beziehung zueinander ist geprägt von Liebe und Hass, wobei die Liebe für Uneingeweihte kaum zu erkennen ist.

      Nach der Mötley-Tour wird Vince auf eine Solo-Tournee durch Mexiko, Latein- und Südamerika gehen, um sein neues Album und dieses Buch vorzustellen, die beide unter dem Titel Tattoos & Tequila erscheinen werden. Mötley Crüe haben eine ganze Reihe verschiedenster Bands beeinflusst, darunter Papa Roach, Linkin Park, Marilyn Manson, Nine Inch Nails, Moby, Slipknot und Belladonna – vor allem mit ihren ersten beiden Erfolgsalben Too Fast For Love und Shout At The Devil. Auch das Image, das Mötley Crüe in ihren Videos prägten, wurde von zahlreichen anderen Künstlern zitiert, von Beck und den Red Hot Chili Peppers bis zu New Order, Aerosmith und den Backstreet Boys. Und auch jetzt, in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts, stellen Mötley Crüe für viele Rockfans nicht nur eine wunderbare Zeitmaschine, sondern ein unverzichtbares Element ihrer musikalischen Entwicklung dar. Bei Guitar Hero und Rock Band zählen ihre Songs zu denen, die etwas leichter zu spielen sind. Dank der phantastischen Zeitlosigkeit digitaler Musik, klugem Marketing und verschiedenen erfolgreichen Greatest-Hits-Zusammenstellungen entdecken immer wieder neue Musikfans ihre Liebe zu Mötley Crüe. Zu einem Konzert der Crües oder der Vince Neil Band kommen heute Zuschauer aller Altersstufen: Angejahrte Vokuhila-Träger stehen neben gesetzten Mittdreißigern, tätowierten, jungen Möchtegernrockern und kessen Rockschlampen jeden Alters, die genau wissen, dass es bei einem Mötley-Konzert dazugehört, der Band die nackten Brüste zu präsentieren.

      Um die Bedeutung der Band besser einschätzen zu können, folgt an dieser Stelle eine kleine Liste ausgewählter Meilensteine: Mötley waren Gegenstand einer ganzen Reihe von Dokumentationen des Musiksenders VH1. „Dr. Feelgood“ wurde auf Platz 7 der besten Luftgitarre-Songs gewählt, „Live Wire“ kam auf Platz 17 der größten Metal-Songs aller Zeiten, und „Home Sweet Home“ erreichte Platz 12 in der Liste der größten Power-Balladen. Mötley Crüe tauchten mehrere Male in der VH1-Sendung 100 Most Metal Moments auf, und der Sender widmete ihnen eine Folge der Serie Behind The Music. In den VH1-Charts der beliebtesten Hard-Rock-Bands aller Zeiten kam die Band auf Platz 19, und sie erreichte Platz 10 in der MTV-Liste der „Top 10 Heavy Metal Bands aller Zeiten“. 2008 wählte iTunes „Saints Of Los Angeles“ zum Besten Rock-Song des Jahres, und der Titel wurde in der Kategorie Bester Hard-Rock-Auftritt für einen Grammy nominiert.

      Das Leben von Vince war genauso interessant, wie eine solche Karriere vermuten lässt. Er war vier Mal verheiratet, zeugte drei Kinder und vögelte Tausende von Groupies – nach den Zahlen, die im Umlauf sind, bis zu zehn am Tag; er selbst wollte keine Schätzung abgeben. Er war mit zahlreichen prominenten Frauen liiert, darunter Porno-Queens wie Savannah und Gina Fine (gleichzeitig) und TV-Schauspielerinnen wie Tori Spelling und Shannon Doherty (nacheinander). Er hatte eine Affäre mit Christy Turlington und noch vor Tommy Lee eine Liebelei mit Pamela Anderson, die damals noch in der Sitcom Hör mal, wer da hämmert als Heimwerkerin auftrat. Seine dritte Ehefrau war die in den USA sehr bekannte und beliebte Fernsehschauspielerin Heidi Mark, eine umwerfende Frau, die gewissermaßen den Prototyp für den Großteil der Damen darstellt, die in diesem Buch erscheinen werden, und die genau seinem Beuteschema entsprach: lange blonde Haare, hübsches Gesicht, blaue Augen, implantatvergrößerte Brüste, ausgeprägte Bauchmuskeln, kleiner Hintern, lange Beine. Er war in einem Sex-Video zu sehen (bei einem Dreier mit Janine Lindemulder und Brandy Sanders, bekannt aus den Erotikstreifen von Vivid Video), wirkte selbst in verschiedenen Pornos mit (die von der Erotikfilm-Legende Ron „Hedgehog“ Jeremy gedreht wurden), hatte Affären mit Playboy-Playmates und Penthouse-Pets, konsumierte jede Droge, die ihm in die Hände fiel, in jeder erdenklichen Kombination und soff einen ganzen Ozean Alkohol. Das jedenfalls sind die Dinge, an die ich ihn während unserer Interviews erinnere. Er selbst tut das nicht unbedingt. Zumindest behauptet er das. Eine seiner Ex-Ehefrauen erklärte: „Er hat ein kristallklares Erinnerungsvermögen, wenn er will. Manchmal ist es einfach leichter zu sagen, ich weiß nicht mehr. Ihm tut vieles Leid.“

      Bei unseren Treffen war Vince stets sehr höflich. Er erinnerte mich an einen Schüler, der Nachhilfeunterricht nehmen sollte – er hatte zwar eigentlich keine Lust auf unsere Sitzungen, aber irgendjemand hatte ihn wohl davon überzeugt, dass es für ihn vorteilhaft sei, dort zu erscheinen. Es kam vor, dass Football am Sonntag wichtiger war als unsere Interviewtermine. Auch sein eigens für ihn reservierter Stammplatz bei den Sportwetten im Red Rock Casino Resort & Spa hatte eine höhere Priorität als diese Autobiografie. Wenn ich ihn hinsichtlich bestimmter Fakten in die Mangel nahm – hatte er drei verschiedene Schulen in der Mittelstufe besucht oder zwei? In welchem Jahr war die Trauung mit Sharise? – wurde er manchmal sauer. Ich frage mich, ob das vielleicht daran lag, dass es ihm peinlich war oder er sich schämte. Was ist man für ein Mensch, wenn man sich nicht mehr daran erinnert, weswegen man mit 17 bei seinen Eltern ausgezogen ist? Viele Erinnerungen verloren sich im Nebel der Jahre und im Alkoholdunst. Es gibt offensichtlich einige schmerzvolle Wahrheiten, die ihn bis zum heutigen Tag verfolgen … Dinge, von denen wir ein wenig mehr erfahren, wenn wir uns durch seine Geschichte mit allen schlammigen Untiefen arbeiten.

      Ein solches Leben chronologisch zu erfassen, ist schwierig: Vince hat selbst keinen Überblick, wie oft er in Entzugskliniken war oder festgenommen wurde. Aus diesem Grund lassen wir andere zu Wort kommen. Wir werden von seiner jetzigen Frau Lia hören, und von seinen drei Ex-Frauen: Beth Neil, Sharise Neil und Heidi Mark, von seinen Kindern Neil Wharton und Elle Neil, von seinen Eltern Clois Odell und Shirley Wharton, von seiner Schwester Valerie Saucer, von den Mitgliedern seiner ersten Band Rockandi, die er noch auf der Highschool gründete. Für dieses Buch wurden außerdem interviewt: Bret Michaels von Poison, der Rapper MC Hammer, der Porno-Star Ron Jeremy, der Besitzer der L.A. Lakers, Jerry Buss, und Jack Blades von Night Ranger. Gewissermaßen als Gaststar wird Nikki Sixx seine Kommentare ebenso abgeben wie einige Manager und andere Vertraute, die Vince während seiner Karriere hinter den Kulissen begleitet haben.

      Auf der Bühne ist und war Vince zweifelsohne stets das Zentrum des ganzen Mötley-Zirkusses. Zwar hat er sich von den grellbunten Stretchhosen verabschiedet und auch nicht mehr den Körperbau eines griechischen Gottes, aber sein Markenzeichen, die durchdringend helle Kreischstimme, hat er noch immer nicht verloren. Nikki Sixx, der musikalische Kopf und hauptsächliche Songwriter der


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