Unbestreitbare Wahrheit. Mike Tyson
krachen zu lassen.
Und ich hatte immer noch keinen Sex. Mein letztes Mal war mit dieser Praktikantin gewesen, die ich auf der Olympiade flachgelegt hatte. Nicht, dass mir die Lust fehlte, ich war nur im Umgang mit Frauen einfach zu ungeschickt. Ich wusste nicht, wie ich an sie herankam. „Hey, hallo, willst du mit mir vögeln?“ Ich wusste nicht, wie man das ausdrückte. Um diese Zeit sollte ich im Vorprogramm eines Hauptkampfes im Madison Square Garden antreten. Mein Ruf war mir vorausgeeilt: Mein Gegner erschien erst gar nicht. Also verschwand ich aus der Arena und ging in der 42th Street in einen Puff. Von dem Laden wusste ich seit meiner Kindheit, als ich mich auf dem Times Square herumgetrieben hatte. Im Vorraum setzte ich mich auf einen Stuhl. „Brauchst du Gesellschaft?“, sagte die eine, und wenn man sie abblitzen ließ, kam gleich die nächste. Ich war der jüngste Gast und wirkte wohl süß. Ich pickte mir eine hübsche Kubanerin heraus und ging mit ihr nach hinten.
Freud wäre die Szenerie eine Feldstudie wert gewesen: Ich war darauf vorbereitet gewesen, alle Aggressionen zu bündeln und einen Gegner im Ring platt zu machen. Und weil der Kampf geplatzt war, reagierte ich mich mit Sex ab. Ich war total aufgeregt, und wir waren gerade zugange, als sie mich bat, aufzuhören, weil sie sich den Rücken verspannt hatte. Ich war noch nicht fertig und verlangte mein Geld zurück. Sie wechselte das Thema und bat mich, ihr mein Edwin-Rosario-T-Shirt zu geben. Sie war zu verletzt, um weiterzumachen, und sagte: „Lass uns reden.“ Also redeten wir eine Weile, und dann haute ich ab – mit T-Shirt.
Cus erhöhte für mich das Tempo. 16 Tage nach dem Kampf gegen Long kämpfte ich gegen Robert Colay und holte zweimal zu einem linken Haken aus. Der erste ging daneben, der zweite schlug ihn k.o. In 37 Sekunden war alles vorbei. Eine Woche später stand ich in Latham, New York, gegen Sterling Benjamin im Ring. Ich schlug ihn mit einem kurzen linken Haken nieder. Nachdem er bis acht angezählt worden war, bedrängte ich ihn mit vernichtenden Körperhaken und Uppercuts, woraufhin er zu Boden taumelte. Der Ringrichter brach den Kampf ab. Das Provinzpublikum flippte aus. Ich wandte mich den Leuten zu, steckte die Handschuhe durch die oberen Seile, riss die Hände hoch und grüßte wie ein Gladiator.
Aber es gab Wichtigeres als meinen elften Sieg als Profi.
Cus D’Amato war schwer krank. Er war schon kränklich gewesen, als ich bei ihm und Camille eingezogen war. Er hustete dauernd. Dass sich sein Zustand verschlechterte, merkte ich, als er nicht mehr mit uns zu den Kämpfen kam. Bei den Fights gegen Long und Colay war er zu Hause geblieben, aber zu meinem Kampf gegen Benjamin mit nach Latham gefahren. Er war ein alter Italiener, zu stur, um einen Kampf zu verpassen, der sozusagen in seinem Hinterhof stattfand. Zu Ärzten hatte er kein Vertrauen und verfocht stattdessen als einer der ersten Vitamine, „Alternativmedizin“, wie das heute heißt, und Ernährungstherapie.
Ich wusste, dass Cus krank war, dachte aber, er würde das schon überstehen, um mitzuerleben, wie ich den Meistertitel holte. Wir redeten ja dauernd darüber. Und er hielt durch, damit er meinen Erfolg sehen konnte. Aber nur zu mir sagte er manchmal: „Vielleicht bin ich irgendwann nicht mehr da. Also hör mir zu.“ Ich dachte, er wolle mir bloß Angst machen, um mich auf Kurs zu bringen.
Dann wurde er in ein Krankenhaus in Albany eingewiesen. Aber Jimmy Jacobs sorgte für eine Verlegung ins Mount Sinai in der New Yorker City. Ich besuchte ihn zusammen mit Steve Lott. Cus saß in seinem Bett und aß Eis. Nach ein paar Minuten bat Cus Steve, den Raum zu verlassen, um mit mir unter vier Augen zu sprechen.
Dann eröffnete er mir, dass er an Lungenentzündung sterben werde.
Ich glaubte es nicht. Er sah nicht sterbenskrank aus. Er war durchtrainiert, hatte Energie und strahlte Begeisterung aus. Er aß Eis und entspannte sich. Trotzdem flippte ich schier aus.
„Ohne dich will ich diesen Scheiß nicht machen“, sagte ich und würgte Tränen hinunter. „Das mache ich nicht.“
„Gut, wenn du nicht kämpfst, wirst du merken, dass Leute aus dem Grab steigen können. Dann suche ich dich für den Rest deines Lebens heim.“ Ich lenkte ein. Daraufhin nahm er meine Hand.
„Die Welt muss dich sehen, Mike. Du wirst Weltmeister, der Größte“, sagte er.
Dann brach Cus in Tränen aus. Es war das erste Mal, dass ich ihn weinen sah. Ich dachte, er würde weinen, weil er nicht mehr miterleben könnte, wie ich Weltmeister im Schwergewicht wurde, nach allem, was wir zusammen durchgemacht hatten. Aber dann begriff ich, dass er wegen Camille weinte. Ich hatte ganz vergessen, dass er eine Partnerin hatte, die ihm mehr bedeutete als ich. Er erzählte mir, dass es ihm leid tue, Camille nicht geheiratet zu haben. Er habe Probleme mit der Steuer. Das habe er ihr nicht aufhalsen wollen.
„Tu mir einen Gefallen, Mike“, sagte er. „Kümmere dich unbedingt um Camille.“
Ich ging geschockt aus dem Raum. Ich wohnte bei Steve in dem Gebäude, in dem auch Jimmy eine Wohnung hatte. Er holte mich am nächsten Tag ab und ging mit mir zu der Bank, um einen Scheck über 120.000 Dollar für meine letzten Kämpfe einzuzahlen. Inzwischen war mein Name in den Zeitungen. Ich erschien sogar auf dem Titelblatt von Sports Illustrated. Auf der Straße hielten mich Passanten an und wünschten mir Glück. Ich war bekannt und großspurig und machte eine gute Figur. In der Bank kannte ich sämtliche Mädchen und flirtete normalerweise mit ihnen.
Aber als wir hineingehen wollten, blieb Jimmy stehen. „Cus wird es nicht über die Nacht schaffen, Mike. Sie geben ihm nur noch ein paar Stunden.“
Ich heulte einfach los, als gehe die Welt unter. Meine ging ja auch unter. Die ganzen jungen Frauen in der Bank starrten mich an.
„Gibt es ein Problem?“, sprach uns der Filialeiter an.
„Wir haben eben erfahren, dass ein lieber Freund von uns im Sterben liegt. Mike trifft es sehr schwer“, sagte Jimmy. Er war ganz ruhig und gefasst. So wie Cus es ihm beigebracht hatte. Aber ich heulte wie ein verlorengegangener Soldat auf einer Mission ohne General. Ich habe diese Bank nie wieder betreten, so peinlich war mir das.
Cus wurde im Hinterland von New York beigesetzt. Ich war einer der Sargträger. Alle aus der Welt des Boxens kamen. Es war so deprimierend. Mein krankes Hirn dachte nur noch an den Erfolg. Ich hätte alles getan, um diesen Titel zu holen und so Cus’ Vermächtnis zu erfüllen. Ich tat mir selbst leid und dachte, ohne Cus würde mich ein beschissenes Leben erwarten. Camille war sehr gefasst, aber als wir wieder zu Hause waren, weinten wir zusammen.
Kurz nach dem Begräbnis organisierte Jimmy Jacobs für Cus eine Gedenkveranstaltung in seiner alten Boxhalle, dem Gramercy Gym in der New Yorker City. Alle Stars kamen. Norman Mailer sagte, Cus’ Einfluss auf den Boxsport sei so groß gewesen wie der Hemingways auf die jungen amerikanischen Schriftsteller. Gay Talese meinte, Cus gekannt zu haben, sei eine Ehre gewesen.
„Er hat mich so vieles gelehrt“, sagte Pete Hamill, „nicht nur übers Boxen, ein Handwerk, das man meistern kann, sondern auch übers Leben, das man nicht so einfach meistert.“
Jimmy Jacobs beschrieb Cus in seiner Rede ganz gut: „Cus D’Amato wandte sich erbittert gegen Ignoranz und Korruption im Boxsport. Während er sich seinen Feinden gegenüber unerbittlich zeigte, begegnete er Freunden verständnisvoll, mitfühlend und unglaublich tolerant.“
Nach Cus’ Tod machte ich emotional dicht. Ich wurde richtig, richtig gemein und wollte mich beweisen, wollte zeigen, dass ich ein Mann und kein Kind mehr war. Eine Woche nach Cus’ Beerdigung flog ich nach Texas zu einem Kampf gegen Eddie Richardson. Jimmy und Cayton ließen mich nicht einmal trauern. Ich nahm ein Foto von Cus mit und redete immer noch mit ihm, jede Nacht.
„Ich trete morgen gegen diesen Richardson an, Cus“, sagte ich. „Was meinst du? Wie mache ich das?“
Obwohl ich nicht aus dem Tritt kam, hatte ich nach Cus’ Tod den Mut, diesen Glauben an mich selbst, verloren. Mir fehlte jeder Antrieb, etwas Anständiges anzustellen. Ich glaube, ich bin bis heute nicht darüber hinweggekommen. Aber ich war auf Cus auch wütend. Es war so bitter: Wäre er bloß früher zum Arzt gegangen, hätte er vielleicht weiterleben und mich beschützen können. Aber er war ja so stur gewesen. Weil er sich nicht behandeln ließ, war er gestorben und hatte mich allein zurückgelassen, mich diesen Raubtieren der Boxszene überlassen.