Superhelden. Grant Morrison

Superhelden - Grant Morrison


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während die Superhelden vor allem in Bezug auf die Umsätze nicht mehr mithalten konnten. Ohne verbliebene Helden, die in der Lage gewesen wären, sich gegen die Katastrophen zu stemmen, füllte sich die kollektive Imagination der Amerikaner mit Zombies, Junkies, radioaktiven Mons­tren und verschwitzten Revolverhelden. Was hatte die Superhelden zuerst so resonant und im Anschluss im gleichen Ausmaße irrelevant werden lassen? War es nur der Zweite Weltkrieg gewesen, der den Supermännern ihre Daseinsberechtigung verliehen hatte? Das Ende des Krieges brachte den Amerikanern ein neues Zeitalter des Überflusses und der Paranoia. Die USA hatten alles, aber sie besaßen, wie ihre neuen Erzfeinde, auch eine Superwaffe, die jede fröhliche Gartenparty am Stadtrand in eine verbrannte Einöde verwandeln konnte. Ist es da verwunderlich, dass in den Fünfzigern die Fantasie so vieler Menschen von düsterem Existenzialismus ergriffen wurde? Im Westen der Nachkriegsjahre war etwa der Röntgenblick von nun an ein Horrorfilm-Fluch.

      Wir beenden das Goldene Zeitalter, wie es begonnen hat: mit Superman, einem der letzten Überlebenden der ursprünglichen Expansion und des abrupten Zusammenfalls des DC-Universums. Es war alles viel zu schnell für die Superhelden gegangen, aber obwohl einige für Jahrzehnte von der Bildfläche verschwinden sollten, sterben potenzielle Handelsmarken nie ganz. Die Superhelden – wie Kakerlaken oder Terminatoren – sind unmöglich zu töten. Aber 1954 versuchte ein sinistrer Wissenschaftler, der geradewegs aus einem Comic hätte entsprungen sein können, sie zu vernichten und wäre auch beinahe erfolgreich gewesen.

      Als die Lichter des Goldenen Zeitalters langsam ausgingen, überlebten Charaktere wie Superman, Batman oder Wonder Woman, die durch Filmreihen und Merchandising größeren Bekanntheitsgrad erlangt hatten, die strenge Auslese. Dank ihres Status als Zugabe in Adventure Comics überstanden zweite Geigen wie Green Arrow oder Aquaman den Sturm – eventuell unverdienterweise. Aber nicht alle Überlebenden florierten in Folge auch.

      Zum Beispiel die populäre Fernsehserie The Adventures of Superman (1953). Sie hatte Supermans Status als amerikanische Ikone zementiert, aber die budgetären Einschränkungen führten dazu, dass der Star, der sympathische, aber letztendlich von persönlichen Problemen heimgesuchte George Reeves, kaum im Flug gezeigt werden konnte. Bestenfalls sprang er in einem Winkel, der nicht gerade an einen Landeanflug, sondern eher an die Zuhilfenahme eines Trampolins erinnerte, durch ein Fenster. Die Storys drehten sich um niedrige kriminelle Aktivitäten in Metropolis und endeten damit, dass Superman wieder mal durch eine dünne Wand gebraust kam, um sich einer weiteren Bande Bankräuber oder Spione anzunehmen. Gefilmt wurde in Schwarzweiß, was dazu führte, dass Superman in Wirklichkeit ein graues Kostüm tragen musste, da Rot und Blau im Schwarzweiß-Fernsehen nicht gut rübergekommen wären.

      Reeves gab, selbst beinahe 40, einen gesetzten Superman mit leichtem Grau um die Schläfen und einer Physis, die ebenso eher auf die mittleren Jahre als auf einen gestählten Waschbrettbauch hindeutete. Aber er passte in die Rolle einer etablierten Figur der Fünfziger: väterlich, konservativ und vertrauenswürdig. Supermans Probleme waren in den Comics offenkundiger: Sie begannen sich am Niveau der Fernsehserie zu orientieren, daher verschwendeten die Schreiber sein episches Potenzial an eine Ansammlung erbärmlicher Gangster, Scherzbolde und Taschendiebe.

      Die Figur, die aus einer futuristischen Glut aus Farbe und Bewegung entstanden war, strandete auf dem Set einer Schwarzweiß-Show, beschränkt durch Schwulst und die Regeln der realen Welt. Superman war in einer Todesfalle gefangen, die perfider war, als alles, was sich Lex Luther ausdenken hätte können. Hier war Superman, ausgerechnet Superman, gefangen und domestiziert in einer Welt, in der die Wohnzimmerdecke, nicht der Himmel, das Limit darstellte.

      Die Comics der Fünfziger wurden immer düsterer und morbider. Die Geschichte von EC Comics, die ihre Superhelden-Titel einstellten und stattdessen eine Welle der moralischen Panik über das ganze Land hereinbrechen ließen, ist faszinierend und woanders auch schon eingehend behandelt worden – The Ten-Cent Plague: The Great Comic-Book Scare and How it Changed America von David Hajdu beinhaltet eine 15 Seiten lange Auflistung von Zeichnern und Schreibern, darunter viele junge und vielversprechende Talente, die nach den Comic-Säuberungen der Fünfziger nie wieder einen entsprechenden Job bekommen sollten. Aber dieses Buch handelt von den Superhelden, und für diese waren die Zeiten besonders hart.

      Man stelle sich die Reaktion auf einer Dinner-Party vor, wenn Ihr Eure dekorierten Nippel entblößen und Eure Leidenschaft für Hardcore-Kinderpornografie verkünden würdet! So schwer das heute vielleicht vorzustellen ist, 1955 war der emotionale Aufschrei, der zurecht durch Euer maliziöses Geständnis hervorgerufen worden wäre, gegen Künstler, Schreiber und Verleger gerichtet, die im Geschäft mit den Comics tätig waren. Comics und ihre Schöpfer wurden als Verführer der Jugend hingestellt, als monströse Artefakte, die junge Gemüter für Verbrechen, Drogensucht und Perversion begeistern wollten.

      Im Zentrum dieses Versuchs, eine ganze Kunstform auszuradieren, stand ein älterer Psychiater namens Fredric Wertham, der seinen beträchtlichen Einfluss und seine Expertise nutzte, um sich hinter eine Hetzkampagne gegen Comics zu stellen. Sein Bestseller Seduction of the Innocent (dt.: Verführung der Unschuldigen) unterstellte Comics und ihren Erschaffern, Amerikas Kinder zu verderben.

      Jedoch waren es nicht nur die oft geschmacklosen Horrorgeschichten von EC, die Werthams Rage anheizten: Es waren vor allem die unschuldigen, dahinvegetierenden Superhelden, die ihn zum Schäumen brachten. Wie jeder gute Jäger konnte er ihre Schwäche spüren und wusste, dass sich keine eloquente Stimme als Advokat der Comics gegen ihn stellen würde. Wenn ein „Experte“ wie Wertham sie als Pornografie hinstellte, dann waren sie das auch. Da es in diesen Comics nicht viel gab, das anstößig gewesen wäre, musste er tief im Subtext graben, um seinen Angriff, den er mit stumpfsinniger, ignoranter Respektlosigkeit gegenüber der Wahrheit durchführte (die man gerne Amerikas Feinden unterstellte), rechtfertigen zu können.

      Zum Beispiel beschrieb er Batmans Wohngemeinschaft mit seinem Mündel Dick Grayson (Robin) und Alfred dem Butler als „Wunschtraum von zwei zusammenlebenden Homosexuellen“. Möglicherweise war es der Wunschtraum zweier Homosexueller, doch nur diese beiden bestimmten Homosexuellen hätten uns darüber aufklären können.

      Ja, es ist nur zu einfach, aus der Perspektive eines Erwachsenen in Bruce Wayne homophile Tendenzen zu erkennen. Es wäre auch nicht allzu schwer, alle vertrauten Elemente einer Batman-Story so lange aufzulisten, bis die fetischistischen, homoerotischen Untertöne, die man im zugrunde liegenden Szenario von drei Männern aus drei Generationen, die im Luxus zusammenleben, sich in all ihrer Latex- und Lederpracht herauskristallisieren würden.

      Regisseur Joel Schumacher bediente sich in Anspielungen dieser Dynamik in seinem gründlich verrissenen Film Batman & Robin (1997), in dem George Clooney, Chris O’Donnell und Michael Gough die betreffenden Rollen bekleideten. Das satanische und sogar sexuell grenzüberschreitende Appeal, das Batman auf Erwachsene hat, kommt nicht von ungefähr: Batman – reich und ein Vertreter der Unterwelt – bewohnt ein unterirdisches Geheimversteck, kleidet sich in abgefahrenes schwarzes Leder, genießt die Gesellschaft eines kleinen Jungen in Strumpfhosen und hat keine feste Freundin. Vielleicht müsste ja noch die große schwule Batman-Story geschrieben werden, in der er und Robin, eventuell auch Alfred, es wie die Hamster miteinander treiben, nur unterbrochen durch Ausfahrten im Batmobil. Aber trotzdem kann mir Dr. Wertham Glauben schenken, wenn ich behaupte, dass junge Leser in Batman nichts außer Freiheit und Abenteuer sahen. Es ist Wertham, der in die Annalen der Perversion einging, nicht Batman.

      Wenig überraschend entlarvte Wertham auch Wonder Woman, und zwar als unverschämte Lesbierin, hinter der eine ganze Insel von perversen, militanten Lesben mit einer Vorliebe für Fesselspiele lauerte. Verwunderlich, dass er keinen Anstoß an den gewagten Schrullen seines Kollegen Marston nahm, aber sich stattdessen in einen gern verwendeten Ausruf von Wonder Woman – „SUFFERING SAPPHO!“ – verbiss, da es zweifellos eine vorhersagbare Assoziationskette im Hirn des Onkel Doktors in Gang gesetzt haben dürfte.

      Aber es war Superman – der gutmütige Superman –, der die Inbrunst von Werthams Hass am meisten zu spüren bekam. Er beschrieb ihn als faschistische Ausgeburt, die Kinder dazu bringen sollte, sich unzulänglich zu fühlen und sie so zu Delinquenten machen würde: „Wie sollen sie da ihren hart arbeitenden Müttern, Vätern oder Lehrern, die so gewöhnlich sind und nicht einmal bildlich in der Lage,


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