Superhelden. Grant Morrison

Superhelden - Grant Morrison


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setzte Peters auf eine fließende Qualität, um Wonder Woman in Action und beim Vergnügen darzustellen. Alles mutete kurvig und kalligraphisch an. Die Lippen seiner Frauen waren aufgespritzt und glänzend, als ob er unterstreichen wollte, dass glamouröses Make-up im Stile Hollywoods immer Saison hatte bei den wehrhaften Frauen und Philosophen-Prinzessinnen auf Paradise Island.

      Wie man sich das bei einer Gesellschaft unsterblicher Frauen, seit der klassischen Antike abgeschnitten vom Rest der Welt, erwarten darf, stellten sich die Gepflogenheiten der Amazonen als äußerst – wie soll man sagen? – „besonders“ heraus. Als sich die Strips langsam entwickelten, schwärmte Marstons Prosa detailliert von den Jagd- und Fangritualen, bei denen einige Mädchen von anderen „verspeist“ wurden.

      Einige tausend Jahre des gehobenen Lebensstils ohne Männer hatte jedes phallozentrische Denken aus ihrer Sexualität verschwinden lassen und zu einem speziellen rituellen Erotizimus in Form von Anleinung und Fesselungen geführt.

      Als die Serie voranschritt, rückten die Bondage-Elemente immer mehr in den Vordergrund und kurbelten die Verkaufszahlen an. Wonder Womans liebste Friedenswaffe war ein magisches Lasso, das jeden, der damit gefesselt wurde, dazu zwang, die Wahrheit zu sagen – was wohl auch Marstons andere Erfindung, den Lügendetektor, reflektierte. Kurze Zeit später demonstrierte sie die Freuden der Unterwerfung gegenüber einer „liebenden Autorität“: Sie befreite die Sklavenmädchen eines ihrer Nazi-Widersacher, die in Folge nichts mit ihrem Leben außerhalb der Gefangenschaft anzufangen wussten. Wonder Woman erlaubte ihnen daher, ihre angeborene Sklavennatur weiterhin auszuleben, indem sie sie auf die Paradiesinsel umsiedelte, wo sie ihre Vorliebe für Fesselungsspiele unter der fürsorglichen Aufsicht einer liebevollen Gebieterin anstelle der peitschenknallenden Hitler-Freundin Paula von Gunther ausleben konnten.

      Die Kehrseite der prinzipiell gutartigen Befürwortung von gesundem Sadomaso war die kerkermäßige Albtraumwelt des sadistischen Bondage, der Erniedrigung und Gedankenkontrolle, welche abseits der Idylle der Paradiesinsel existierte. Sie wurde durch Doctor Poison verkörpert, einen verschlagenen Zwerg im Gummimantel. Poison hasste die Frauen und liebte es, sie zu demütigen. Eine überraschende Wendung brachte schließlich ans Tageslicht, das „er“ in Wirklichkeit eine geistesgestörte Frau war, die aus Frustration handelte.

      Die Frauen der Paradiesinsel verkörperten gleichzeitig das politisch Angesagte wie die Welt der Triebe. Sie waren Vertreterinnen eines radikalen separatistischen Feminismus, in dem Männer keine Rolle spielten und als Konsequenz daraus alles andere besser werden würde.

      In der Tat fand man in Marstons Frauenparadies Glück und Geborgenheit in viel größerem Maße als irgendwo sonst in der Welt der Superhelden. Mit Blick auf die anderen Superhelden-Comics hatte er notiert: „Vom psychologischen Standpunkt scheint der größte Makel der Comics ihre blutrünstige Maskulinität zu sein. Einem männlichen Helden fehlen, bestenfalls, die Qualitäten der mütterlichen Liebe und Zärtlichkeit, welche für das Kind so überaus wichtig sind.“

       Während also Batman ein brütender Waise war und die Zerstörung seiner Heimatwelt Superman seine leiblichen Eltern genommen hatte, flog Wonder Woman über den Regenbogen nach Paradise Island und besuchte ihre Mama, so oft sie wollte. Königin Hippolyta hatte sogar einen Zauberspiegel, der ihr erlaubte, ihre Tochter an jedem erdenklichen Ort zu beobachten.

      Es gab ein paar Gemeinsamkeiten zwischen Wonder Woman und den männlichen Genre-Vorreitern. So wie Batman verteidigte auch Wonder Woman furchtlos alternative Weltanschauungen und stellte sich auf die Seite der Außenseiter. Und wie Batman war sie eine fortschrittlich gesinnte Aristokratin. Sie predigte den Frieden in Kriegszeiten, obwohl sie, wie jeder andere Superheld auch, eine beträchtliche Zahl von Nazis abfertigte.

      Als Kontrast zu den großteils solo operierenden Batman und Superman, hatte Wonder Woman eine breite Palette an Freunden. Ihre Verbündeten, die Mädchen von Beta Lambda, waren eine ungestüme Truppe von Verbindungsschwestern, die vom rundlichen, sommersprossigen Rotschopf Etta Candy angeführt wurden. Ihre positive Energie und körperliche Gestalt stellten eine bodenständige und wohltuende Ergänzung zu Dianas cooler Anmut und ihrem perfekten Äußeren dar.

      Als Marston 1947 dem Krebs erlag, kam dem Wonder-Woman-Comic seine erotische Spannung abhanden, worauf die Verkäufe zurückgingen und sich der Absatz nie mehr erholte. Ohne die Originalität und die Energie, die Marstons Obsessionen beisteuerten, war Wonder Woman wie eine exotische Blüte, der man ebenso essenzielle wie rare Nährstoffe entzogen hatte. Die einst so frivolen Untertöne wurden getilgt, das Profil der Figur verflachte. Die Paradiesinsel wurde saubergefegt und ungebührliches Verhalten nicht toleriert, somit endeten alle Mädchenjagd-Rituale, was auch die Bindung des Lesers an Wonder Woman beendete. Es sollte gar nicht lange dauern, bis Wonder Woman wie eine alte Jungfer rüberkam – eine verstörende Mischung aus Mary Tyler Moore in einem Werbespot für Küchengeräte und der Heiligen Muttergottes. Aber ­Elizabeth und ihre Liebhaberin Olive, die Pioniere einer freien Sexualität, die sie ursprünglich inspiriert hatten, setzten ihre Beziehung fort und lebten weiter zusammen. Die unkonventionelle und freiheitsliebende Elizabeth war 100, als sie 1993 verstarb. Sie ist die wahre Wonder Woman dieser Geschichte.

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      Die Welt stand kurz davor, im Krieg zu versinken, und die Menschen konnten gar nicht genug von den Superhelden bekommen. Superhelden erschlossen sich jegliche nur denkbare inhaltliche Nische, und es fanden sich genügend Verleger, die die bunten Fantasien für Kinder, Soldaten und Science-Fiction-Fans bereitstellten. Wenn ein Verlag kurzzeitig Erfolg mit einem Helden, der Vogelschwingen hatte, verbuchen konnte, würde ein anderer Verlag sein Glück unvermeidbar mit einem Helden, der einen Schwanz hinter sich herschleppte, versuchen. Es gab Superhelden-Cowboys (Vigilante), -Ritter (Shining Knight), -Cops (Guardian), und dann gab es auch noch Gay Ghost, einen Kavalier aus dem 16. Jahrhundert. Was mit ein, zwei Superhelden, die die Möglichkeiten des Markts testen sollten, anfing, lief immer mehr aus dem Ruder, bis es zu viele Helden gab, um sie zu zählen. Aus dieser grandiosen Vermehrung ging eine Unzahl von außergewöhnlichen, archetypischen und oft auch ziemlich verwirrenden Superhelden und -heldinnen hervor. Der Wettlauf um die Erschaffung neuer Superhelden mit frischen Gimmicks erreichte einen spektakulären Höhepunkt, als Red Bee, das Alter Ego eines gewissen Rick Raleigh, die Bühne betrat. Rick trug ein Kostüm, das in der Realität wohl zu seiner sofortigen Verhaftung geführt hätte, wenn er es woanders als dem Studio 54 im Jahre 1978 getragen hätte. Aber wohingegen Green Lantern in der Lage war, sich mittels seines magischen Ringes zu schützen, hatte sich Red Bee für eine sehr spezielle Waffe entschieden.

      Raleigh hatte zum einen seine eigene „Stechpistole“ erfunden, die K.O.-Pfeile verschoss. Er hätte diese Waffe einfach mit Pfeilen laden können und so einen akzeptablen Superhelden des Goldenen Zeitalters der Comics abgeben können, doch nicht so Rick Raleigh: Er hielt einen ganzen Bienenstock in seiner Gürtelschnalle – einem Reservoir, das normalerweise nicht mehr als eine halbe Packung Zigaretten beherbergen hätte können –, bis das Verbrechen sein hässliches Haupt erhob. Der Vorname des Bienenanführers – immer darauf erpicht im Namen der guten Sache freigelassen zu werden – war Michael. Jedoch, wie auch der Ersteller des Wikipedia-Artikels zu Red Bee feststellt, können männliche Bienen nicht stechen, was Michaels Effektivität im Kampf gegen bewaffnete Verbrecher, wie etwa Macheten schwingende Triadenkiller, doch sehr in Frage stellte.

      Falls dies lächerlich erscheinen sollte, dann deshalb, weil es das auch ist. Aber noch etwas ging hier vor sich: eine radikale Mystifizierung des Alltäglichen. Als die Erfinder der Superhelden ihre Netze auf der Suche nach frischen und originellen Gimmicks immer weiter auswarfen, mussten sie auch immer mehr kindlichen Feenstaub auf die Welt der gewöhnlichen Dinge streuen. Langweilige Turngeräte etwa konnten in den Händen des Schurken, der sich Sportsmaster nannte, zum tödlichen Arsenal mutieren. Eine Lampe konnte ein mystisches Artefakt sein, das immense Kräfte verlieh. In der Welt der Superhelden hatte alles einen Wert und ein geheimnisvolles Potenzial. Jede Person, jeder Gegenstand konnte im Kampf gegen die Dunkelheit und das Böse eine wichtige Rolle spielen. Sogar eine kleine Biene namens Michael – benannt nach dem Racheengel – konnte sich todesmutig in die Schlacht gegen das Verderben werfen.

      Es


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