Superhelden. Grant Morrison

Superhelden - Grant Morrison


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und Batman sowie der Bedarf nach frischem Material ermutigte junge Schreiber und Künstler zunehmend dazu, geradezu surreale Pfade der Inspiration zu beschreiten. Die Superhelden spezialisierten sich in einer wilden darwinistischen Jagd auf neue evolutionäre Nischen.

      Die erfolgreichsten dieser Spezialisten waren zwei frühe Beiträge von National Comics größtem Rivalen. Ein Verlag namens Timely Comics nutzte die Gunst der Stunde rund um die Superhelden und veröffentlichte seinen eigenen Titel, Marvel Comics, im Dezember 1939, mit zwei neuen Figuren: Human Torch („Die menschliche Fackel“) und Prince Namor the Sub-Mariner. Batman und Superman waren die Grundfesten dessen, was als DC-Universum bekannt werden sollte. Der Sub-Mariner und Human Torch waren die ersten Bewohner des sogenannten Marvel-Universums.

      Timelys große Innovation, die Marvel voranbringen sollte und half, sich von DC zu unterscheiden, bestand darin, vom Olymp herabzusteigen und den Elementen selbst eine Stimme zu verleihen, indem man die Naturgewalten personifizierte.

      Prinz Namor von Atlantis, der Sub-Mariner, war die Kreation des siebzehn Jahre alten Bill Everett. Auf Fotos sieht man den attraktiven Everett mit einem Haarschopf wie Rimbaud, Nerd-Brille, einer Pfeife zwischen den Lippen und einem dämonischen Glitzern in den Augen. Superman setzte sich ab und zu über das Gesetz hinweg, aber aufrechte Leute hatten nichts vom aufrechten Mann aus Stahl zu befürchten. Prinz Namor war anders: Der halbmenschliche Terrorist war bereit, die Gerechten und die Ungerechten gleichermaßen zu überfluten, als er in seinem ersten Abenteuer, auf einem Wal reitend, auf dem höchsten Punkt eines schäumenden Mega-Tsunamis, den er entfesselt hatte, auf New York zubrauste. Everetts Version des ungeschlachten Comic-Stils war bissiger, verwinkelter und fantastischer als alles zuvor Dagewesene.

      Der ansonsten nackte Prinz mit dem tiefschwarzen, spitzen Haaransatz, den durchdringenden Augen, den spitzen Ohren, den messerscharfen Wangenknochen und seinen geflügelten Füßen, trug schuppige Badehosen als Zeichen seiner vornehmen Abstammung. Namor war das Gesicht einer jugendlichen Anmaßung, die auf Rock’n’Roll, Marlon Brando und James Dean wartete, um ratifiziert zu werden. Angetrieben durch Leidenschaft und kurzlebige Bindungen, begegnete Namor der ganzen Welt mit einer Leck-mich-Attitüde, vollbrachte Taten purer Anarchie, die die Terroristen der realen Welt sich nicht vorzustellen vermochten.

      Es gab keinen Mangel an marinen Themen und Storys, etwa Geschichten über Atlantis, Stürme, Piraterie, dynastische Erbfolgen und imperiale Vergeltung, aus denen Namor seine Inspiration bezog und die ihm eine fantastische Spielwiese boten. Sein unvermeidbares Gegenstück, Human Torch, war weniger erfolgreich. Dieser intelligenzbegabte künstliche Mensch mit einem ernsthaften Konstruktionsfehler – er entflammte, wenn er mit Luft in Berührung kam – bot weniger Identifikationspotenzial als der impulsive Namor, was dazu führte, dass das Interesse an ihm stetig abnahm (als sich später Stan Lee des Konzepts von Human Torch für seine Fantastic Four annahm, machte er die menschliche Fackel klugerweise zu einem Menschen – zu einem im wahrsten Sinn „hitzköpfigen“ Teenager).

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      Die Elemente Wasser und Feuer bekamen bald Gesellschaft in Form eines ganzen Pantheons wiedergeborener Götter und mythologischer Sagengestalten. Hawkman etwa ähnelte einem hieroglyphischen Gott auf einem altägyptischen Wandgemälde, ein Wiedergänger des Gottes Horus, des Herrschers über Kraft und Feuer, ein Sohn des antiken Gottes des Todes, Osiris. Als er in den Comics seine Flügel spreizte, war er Khufu, ein ägyptischer Prinz, der im Körper des Millionärs Carter Hall wiedergeboren wurde.

      Green Lantern, der 1940 erstmals in Ausgabe 16 der All American Comics auftauchte, griff ins Geschehen ein, als Eisenbahner Alan Scott – einem modernen Aladin gleich – eine geheimnisvolle Lampe mit ebenso geheimnisvollen Kräften entdeckte. Um die Inspiration noch offensichtlicher zu machen, hätte der Hauptdarsteller eigentlich Alan Ladd heißen sollen, doch war dieser Name schon an einen bekannten Filmschauspieler vergeben – und so wurde aus Ladd eben Scott. Er ließ den harten Alltag seiner Arbeit hinter sich, um in einem grün-rot-gelben Zirkusartisten-Outfit, welches dasjenige Supermans bei weitem überstrahlte und die Kostüme des Glamrock 30 Jahre früher vorwegnahm, gegen das Verbrechen anzutreten. Wenn US-Showstar Valentino Liberace, zu dieser Zeit bekannt für extravagante Kostüme, auf einer Poolparty in Bel Air als Kreuzung zwischen Trapezkünstler und Weihnachtsbaum verkleidet aufgetaucht wäre, so hätte er im Vergleich immer noch unspektakulär gewirkt – und außerdem ziemlich maskulin. Mit der sexy Gegenspielerin Harlequin, die um Green Lanterns Aufmerksamkeit buhlte, sowie Doiby Dickles, der der humoristischen Auflockerung diente, an seiner Seite, konnte sich Alan Scott seiner Männlichkeit sicher sein. Seine Aufmachung schien für den Betrachter eine solche Herausforderung darzustellen, dass erst gar kein Spott aufkam, denn kein einziger krimineller Antagonist kommentierte Green Lanterns aufreizenden Versuch, sich von jeglicher modischen Normalität oder Funktionalität zu distanzieren.

      Der Flash (1940) war der erste „zufällige“ Superheld, womit er die späteren Marvel-Helden vorwegnahm: Alle waren sie Opfer der Wissenschaft. Getrieben durch reinen Altruismus, nutzten sie ihre Superkräfte zum Wohle der Gemeinschaft, in der sie lebten. Jay Garrick, ein forschender Chemiker, der versehentlich gasförmiges „schweres Wasser“ eingeatmet hatte, welches ihm sein besonderes Talent verlieh, war weder stark noch unverwundbar oder gar unsterblich, er war jedoch ein schneller Läufer – und träumen nicht alle Kinder davon, immer noch schneller zu laufen, bis die Umwelt nurmehr verschwommen wahrgenommen werden kann? Zu Jay Garricks Verkleidung gehörten ein Helm mit kleinen Flügeln aus Zinn, ein rotes Oberteil mit einem Blitz zur Verzierung, blaue Hosen und geflügelte Laufstiefel. Auf diese Weise personifizierte er quasi einen der geheimen Paten der Superhelden.

      Man kennt das von griechischen Statuen, die einen sich elegant dahingleitenden jungen Mann mit einem Zinnhelm darstellen. Diese Kopfbedeckung und die geflügelten Stiefel sind Attribute des griechischen Gottes Hermes bzw. seiner altrömischen Entsprechung Merkur. Er fungierte als Bote der Götter und war außerdem so etwas wie die Verkörperung der Sprache an sich. Wie die Sprache ist auch er erfinderisch, trickreich, doppelbödig und trügerisch.

      In Indien findet er sein Pendant im elefantenköpfigen Gott Ganesh, der den Verlauf der Geschichte mit seinem eigenen abgebrochenen Rüssel niederschreibt. In Ägypen war er Thot, der ibisköpfige Schreiberling. Die frühesten babylonischen Kulturen stellten ihn sich als Gottheit mit dem Namen Nabu vor. Die Religion des Voodoo kennt ihn als Legba. Die Kelten nannten ihn Ogma. Den Wikingern war er als Odin ein Begriff – er war ein einäugiger Gott, von dessen Schultern magische Raben (Gedanke und Erinnerung) hierhin und dorthin flogen, um dem Gott schnellstens Wissen aus allen Ecken des Kosmos zu übermitteln. 1940 schließlich konnte der gute Hermes einfach nicht mehr widerstehen und schaute höchstpersönlich vorbei, um sich wie seine Götterkollegen auf Papier wiederbeleben zu lassen.

      Er wurde wie das übrige Geschmeiß im Rinnsal der Gossenkultur des 20. Jahrhunderts angeschwemmt, aber gerade dort, wo nur Kinder und Analphabeten nachsehen würden, erlangte er als Superheld neue Vitalität. Zwar kein Gott mehr, aber immerhin noch die populäre Repräsentation eines Gottes, diente er als Brücke zwischen dem Menschen und dem Göttlichen. Der mit Flügelchen verzierte Flash war nur eine von mehreren Manifestationen: Die Fesseln des Hermes waren auch an Namor zu sehen. Und des flinken Gottes Markenzeichen sollte noch von vielen Generationen von Superhelden als Swoosh getragen werden. Seine wahrhaftigste Entsprechung fand er aber in Gestalt von Captain Marvel, diesem Abbild eines schönen Mannes, jenem Jüngling, der die größte Bedrohung für Supermans Verkaufszahlen werden sollte.

      Heute hat jede Comic-Firma zumindest einen, mitunter sogar mehrere Figuren, die eine direkte Analogie zu Superman darstellen sollen: Mr. Majestic, Supreme, Samaritan, Sentry, Hyperion, Omega, High, Apollo, Gladiator, Omniman, Optiman, Public Spirit, Atom Man the Homelander, Superior the Plutonian, Alpha One – die Liste lässt sich wie ein zäher Kaugummi in die Länge ziehen. All diese Charaktere sind nur mäßig getarnte Kopien von Superman, veröffentlich von Konkurrenzfirmen von DC, oder auch von DC selbst – als ob ein Superman nicht genug wäre.

      Vieles änderte sich dann im Jahr 1940. Eine lukrative Marke war nun ein eifersüchtig bewachtes intellektuelles Eigentum. National Comics hatte seinen sozialistischen Muskelmann an die Leine gelegt und quetschte aus seiner Unnachahmlichkeit


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