Superhelden. Grant Morrison

Superhelden - Grant Morrison


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lehren sollte, unsere Probleme ohne Gewalt zu lösen. In seinem schamlos grellen Traumkostüm war er, gleich einem Popstar, ein Messias des Maschinenzeitalters. Er war dazu bestimmt, die Menschen in Raserei zu versetzen.

      Aber wenn die Geschichte Jesu ein zentrales Thema hat, dann bestimmt jene: Wenn Gott auf die Erde herabsteigt, dann muss er ein paar Opfer bringen. Um geboren zu werden, musste Superman einige Kompromisse eingehen. Als Preis für seine Inkarnation musste sich der Sohn des Jor-El von Krypton auf einen schrecklichen Handel mit der komplizierten, zweischneidigen materiellen Welt einlassen. Dieses „S“ kann auch als Schlange gedeutet werden, und es birgt seinen eigenen Fluch in sich. Die Ironie, der kosmische „Stoff“, aus dem unsere Leben so oft im Geheimen gesponnen zu sein scheinen, hatte Superman schon längst im Zielfernrohr. Und so geschah es, dass unser sozialistischer, utopischer, humanistischer Held langsam zu einem Marketing-Instrument, einer patriotischen Vogelscheuche und noch Schlimmeren wurde: zum Verräter seiner eigenen Schöpfer. Nachdem er seine Väter weit hinter sich, auf dem Planeten der Armut, gelassen hatte, flog Superman, in seinem Drang wirklich zu sein, in die Hände eines jeden, der es sich leisten konnte, ihn anzuheuern.

      Supermans Image und Name verbreiteten sich in immer weiteren Kreisen, in der Geschwindigkeit der Druckerpresse, der Geschwindigkeit der Radiowellen. Ein starker, eleganter Außerirdischer war gekommen und klingelte nun bei seinem Publikum an. Woher sollte der nächste Superheld kommen? Wie sollte man auf Superman antworten, ohne ihn zu kopieren – was viele versuchten – und ohne eine Klage zu riskieren? Heute erscheint es offensichtlich. Die Antwort bestand darin, die Polarität umzukehren. Superman war ein Held des Tageslichts, strahlend und allzeit optimistisch. Wie wäre es da mit einem Helden der Nacht?

      Auftritt Batman.

      Alles begann 1938 in einer dunklen und stürmischen Nacht in der New Yorker Midtown, als dem Editor bei Detective Comics, Vin Sullivan, von seinem Boss mitgeteilt wurde, dass er sich einen neuen Helden in der Art von Superman einfallen lassen solle, einen Charakter, der diesem „Lange-Unterwäsche-Trend“ entspreche. Sie überlegten sich, dass Supermans muskulöse Extrovertiertheit eine Entsprechung im Genre der eher introvertierten Detektivgeschichten finden könnte. Genau wie die „Action“ in den Action Comics sich als perfektes Sprungbrett für Superman herausgestellt hatte, so würde die neue Figur zu den Hauptzutaten von Detective Comics passen – Mystery, Crime und Horror.

      Bob Kane, geboren als Robert Kahn, war 23, als Batman 1939 sein Debüt gab. Sein Mitarbeiter bei diesem neuen Strip war Bill Finger, der zwei Jahre älter war. Man nannte Finger den begabtesten Comic-Schreiber seiner Generation und beschrieb ihn immer als den Träumer des Teams. Im Gegensatz zu ihm war Kane, der Künstler, ganz Geschäftsmann. Es ist leicht vorherzusehen, wohin uns dieses Melodrama führen wird, und auch zu erklären, warum ihr sicher schon den Namen Bob Kane in Zusammenhang mit Batman-Produkten gelesen haben dürftet, aber nicht den von Bill Finger.

      Kanes kalte, gewinnorientierte Intelligenz beeinflusste Batman von Anfang an. Superman wirkte wie das glückliche Resultat von Versuchen, Fehlschlägen und geduldiger Überarbeitung, wohingegen Batman ganz klar das Ergebnis von kühler Überlegung war. Clever und schnell ersonnen, aus einer Ansammlung von popkulturellen Versatzstücken, die kombiniert größer waren als ihre Einzelteile. Sein Erscheinungsbild basierte auf einer Vielzahl von Inspirationen, u. a. auf dem zentralen Charakter eines Stummfilms von 1930 namens The Bat Whisperers (die Ähnlichkeit ist vage, aber die Grundidee eines tierischen Alter Egos ist gegeben). Seine Athletik war beeinflusst von Die Maske des Zorro mit Douglas Fairbanks in der Hauptrolle und von D’Artagnan aus Die drei Musketiere. Diese Agilität wollte Bill Finger mit dem scharfen, schlussfolgernden Verstand von Sherlock Holmes verbinden. Der Strip zeigte aber auch unübersehbare Ähnlichkeit mit der 1934 entstandenen Schundfigur The Bat, einem verhüllten Verbrechensbekämpfer, der Bösewichte mit einer Gaspistole außer Gefecht setzte. Ähnlich wie später Batman wurde ihm durch eine Fledermaus, die durch sein Fenster geflogen kam, der Weg gewiesen. Ein weiterer Fledermaus-Charakter, The Black Bat, ein Bezirksanwalt, der bei einer Säureattacke entstellt worden war, erschien beinahe gleichzeitig in Umhang und schwarzer Maske auf der Bühne. Die beiden existierten bis in die frühen Fünfziger nebeneinander: Black Bat in Schundromanen, Batman in seinen Comics. Es gibt wenig an Batman, das sich nicht direkt zu irgendeinem Vorgänger zurückverfolgen lässt – allerdings hatte er Seele und ausdauernde Power.

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      Seine verbrecherischen Widersacher, die im Laufe der Zeit immer mehr wurden, waren sogar noch unorigineller. In der ersten Ausgabe von Batmans eigener Comic-Serie im Frühling 1940 ist das Äußere des Jokers direkt aus Conrad Veidts Stummfilm Der Mann, der lachte (1928) übernommen – wer die berühmten Bilder von Veidt in seiner Rolle sieht, wundert sich, wie man damit durchkommen konnte. Die Figur beinhaltete auch Einflüsse des Maskottchens von Coney Island und natürlich der gleichnamigen Spielkarte. 1942 debütierte Two-Face, dessen Gesichtszüge durch einen Säureangriff verunstaltet waren (das hört sich bekannt an, oder?). Er erinnerte an gespaltene Persönlichkeiten der Literatur wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, etwa in der Verfilmung von 1941, in der Spencer Tracys Oscar-preisgekröntes Antlitz in zwei Hälften geteilt wird – die eine attraktiv, die andere dämonisch.

      Bob Kane und sein Studio wollten einen schweren, gotischen Holzschnitt-Effekt und eine bizarr verzerrte Anatomie für ihr Design. Sie improvisierten unmögliche Verrenkungen des menschlichen Körpers, um eine spezielle Sequenz funktionieren zu lassen. Er wiederholte Posen, die ihm gefielen, immer und immer wieder, was Kanes Batman zu einer sonderbar dargestellten, gehemmt wirkenden Figur werden ließen, deren Umhang oft den Anschein erweckte, aus solidem Mahagoni geschnitzt zu sein. Das Design der Schauplätze war oberflächlich – das Büro des Commissioners war durch zwei Stühle, ein Telefon und eine schauerliche Tischlampe angedeutet –, aber es reichte als Bühnenbild für den jungen, ungeschliffenen Bruce Wayne und sein simples Verlangen nach Vergeltung. Die besten Künstler im Team, wie etwa der begnadete Jerry Robinson, der die erste Joker-Story gezeichnet hatte, brachten eine mit Schatten verhangene, bedrohliche und mysteriöse Atmosphäre in die von luxuriösen Anwesen, düsteren Seitengassen und Chemiefabriken geprägte Welt von Batman, welche ihn von seinen Mitbewerbern unterschied.

      Batmans erster Auftritt auf dem Cover von Detective Comics, Nummer 27, im Mai 1939 war orthodoxer als jener von Superman. Ein kreisrunder Ballon versprach 64 Seiten Action und außerdem, dass ab dieser Ausgabe die unglaublichen und einzigartigen Abenteuer des Batman beginnen würden. Das Wort Abenteuer ließ auf einen Helden schließen und milderte den vampirischen Aspekt von Batmans Äußerem.

      Dieses Bild, noch kruder als das Cover, das Shuster für Action Comics gefertigt hatte, zeigte zwei Männer auf einem Dach, wie sie eine großstädtische Landschaft überblicken, wobei sich vor ihren Augen ein unheimliches Spektakel entfaltete. Der eine Mann hielt eine zierliche, damenhaft wirkende Pistole, was ihn als einen zarten Vertreter der Gattung Gangster auswies. Batman schwang von rechts ins Bild, sein Seil verschwand am rechten oberen Bildrand im Nichts. Er war mit seinen weit ausgebreiteten Fledermausschwingen eine durch und durch dramatische Erscheinung. Batman hatte sich einen dritten Mann gegriffen, eines seiner Beine zappelte über den Straßen der Stadt, die sich weit unter ihnen befanden. Obwohl es Nacht sein sollte, erstrahlte der Himmel in einem ätzenden Gelb, möglicherweise um die extreme Reflexion der Lichter der Stadt gegen den bewölkten Nachthimmel anzudeuten. Der Effekt erinnerte an ein Gemälde von Magritte, in dem es gleichzeitig Tag und Nacht ist.

      Alles in allem fehlte hier die kompositorische Durchschlagskraft des ersten Auftritts von Superman. Kane war offensichtlich einfach kein so guter Künstler wie Shuster, aber der unheimliche Charakter seines Helden kam klar zur Geltung. Die sechsseitige Einführungsgeschichte eröffnete mit derselben zackigen Silhouette, diesmal vor dem Hintergrund eines Vollmonds, der über einer Großstadt aufging. Was Bob Kane als Künstler fehlte, das machte er mit Atmosphäre und einem Stil wett, der irgendwie an europäisches expressionistisches Kino erinnerte. Dort wo Superman Regeln brach (und neue aufstellte) und seine Leser direkt mit einer neuen Form von Action konfrontierte, ging Batman auf Nummer sicher mit einem Text, der den Leser in alles einweihte, was er wissen musste: „THE BATMAN, EINE GEHEIMNISVOLLE UND ABENTEUERLUSTIGE GESTALT, DIE IN IHREM KAMPF GEGEN DIE ÜBEL UNSERER GESELLSCHAFT DIE GERECHTIGKEIT


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