Superhelden. Grant Morrison

Superhelden - Grant Morrison


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bekamen sie den Fuß in die Tür, ein möglicher Durchbruch, der sie nur einen Schritt weiter bringen sollte. Superman wurde den Göttern des kommerziellen Erfolgs als Opfer dargebracht. Ich vermute, dass die kreativen Köpfe Shuster und Siegel überzeugt waren, bald neue, bessere Figuren zu erschaffen.

      Aber spätestens ab 1946 wurde ihnen klar, wie viel Geld ihre Schöpfung mittlerweile abwarf. Sie reichten Klage gegen National Comics ein, womit sie kein Glück hatten. Dann versuchten sie Supermans Erfolg mit anderen Charakteren zu wiederholen – und zwar mit dem charmebefreiten, aber dafür umso kurzlebigeren Funnyman (einem Verbrecher bekämpfenden Clown). Siegel war auch verantwortlich für das gnadenlose Rachegespenst Spectre und den heldenhaften Cyborg Robotman. Er schrieb sogar den quintessenziellen britischen Superhelden-Strip The Spider, aber die Obskurität dieser relativ gut durchdachten Figuren ist wieder eine andere Geschichte. Jerry Siegel misslang es, einen zweiten Charakter mit der unnachahmlichen Wirkung von Superman zu konzipieren, aber er und Shuster hatten immerhin etwas Spektakuläres zu Stande gebracht – sie hatten die Regeln, wie man neue Universen erschaffen konnte, festgelegt.

      (1975, angesichts schlechter Publicity, gestand Warner Brothers, der Mutterkonzern von DC, Siegel und Shuster schließlich 20 000 $ jährlich als Abfindung zu und versicherte den beiden, ihnen für jegliche zukünftigen Superman-Comics, -Fernsehserien, -Filme oder -Spiele eine Namensnennung als Erfinder der Figur zukommen zu lassen. Ich bin mir sicher, dass das guttat, aber um aufzuzeigen, wie sehr sich das Geschäft weiterentwickelt hat, muss ich erwähnen, dass ein produktiver und erfolgreicher Comic-Schreiber den gleichen Betrag in einer Woche verdienen kann. Jedenfalls dauern die Rechtsstreitigkeiten zwischen den Erben Jerry Siegels und DC bis heute an.)

      Und natürlich waren Shuster und Siegel, nachdem sie die Rechte verkauft hatten, auch nicht mehr für das weitere Schicksal ihrer Figur und ihrer Entwicklung verantwortlich. Die Schreiber der Radiosendung fügten neue entscheidende Elemente hinzu, wie etwa das außerirdische Killer-Mineral Kryptonit. Bei den Comics war ein ganzes Team damit befasst, den Ofen am Brennen zu halten. Befreit von seinen Schöpfern, sollte er sich im Laufe der nächsten sieben Dekaden radikal und kontinuierlich weiterentwickeln, um mit den Veränderungen in Mode, Politik und Zielgruppen-Demographie mithalten zu können – oder sie mitunter auch richtig vorherzusagen. Superman hatte nun eine – im übertragenen Sinne – neue Superkraft, nämlich sich flexibel anpassen zu können, was ihm das Überleben sichern sollte. 40 Jahre später, im Jahr 1978, als ein neuer, groß angekündigter Superman-Film kurz vor seinem Kinostart stand, arbeitete Siegel als Angestellter und Shuster war, halb erblindet, in einem kalifornischen Pflegeheim untergekommen. Er hatte seit dem unsäglichen Funnyman keine Comics mehr gezeichnet. Superman hingegen war in der Zwischenzeit kein bisschen gealtert. Egal, was ihm verschiedene kreative Mitarbeiter hinzufügten, es machte ihn jedes Mal nachhaltig stärker, schneller, fitter und ausdauernder als jedes menschliche Wesen.

      Eigentlich ist er sogar realer, als wir es sind. Wir Schreiber kommen und gehen, Generationen von Künstlern liefern ihre Interpretationen ab, und doch überdauert etwas; etwas, das immer Superman ist. Wir müssen uns an die Regeln halten, wenn wir seine Welt betreten wollen, denn wenn wir ihn zu sehr abändern, verlieren wir seine Essenz. Es gibt einige beständige Charakteristika, die Superman über die Dekaden zu dem haben werden lassen, was er ist, definiert durch die unerschütterlichen Eigenschaften, die Superman in jeder Inkarnation besitzen muss, was ihm wohl auch seine Göttlichkeit verleiht.

      Aber all dies beiseite. Es gibt wohl nur eine Frage, die wirklich jeder beantwortet haben will, wenn das Thema Superman aufkommt: Wenn er tatsächlich so gottverdammt super ist, warum trägt er dann seine Unterhosen über seinen Strumpfhosen?

      Als ich mit Superman aufwuchs, akzeptierte ich seinen „Action-Anzug“ einfach als Teil des Ganzen. Es war normal für die fortgeschrittenen Typen aus den Schundromanen, sportliche Umhänge, Strumpfhosen und drüber noch einen Schlüpfer zu tragen. Ebenso schien es nach Jahrtausende andauerndem Frieden und Fortschritt unter einer progressiven Weltregierung für Herren en vogue zu sein, sich in kniehohen Stiefeln zu präsentieren. Die wahre Erkenntnis zu Supermans apartem Look kam mir erst später, als mir einige Fotografien von Zirkus-Kraftprotzen aus den Dreißigern unterkamen. Unter dem Trapez tummelten sich stramme Kerle mit imposanten Schnauzbärten, wie sie mit ihren fleischigen Fäusten Gewichte stemmten und stiernackig in die Kamera glotzten. Und gewandet waren sie in jene leicht verstörende Kombination, die wir heute mit Superman assoziieren. Endlich ergab alles einen Sinn. Die Lösung zu diesem uralten Rätsel war die ganze Zeit greifbar gewesen, in der Vergangenheit versteckt, dort, wo niemand nachgesehen hatte. 1938 waren Unterhosen über Strumpfhosen das ultimative Attribut extramaskuliner Stärke und Ausdauer. Das Cape, die Stiefel, der Gürtel und das hautenge Spandexkostüm leiteten sich von Zirkuskostümen ab und halfen dabei, den schaustellerischen, sogar Freakshow-mäßigen Aspekt der Abenteuer Supermans zu betonen.

      Brücken stemmen, Züge mit bloßen Händen aufhalten, mit Elefanten ringen: Dies waren die Tricks eines Supermuskelprotzes, der vom karnevalesken Flair profitierte, das von seinen knallengen Strumpfhosen ausging. Shuster hatte den ersten Superhelden wie den größten Vertreter des Ideals eines Muskelmannes angezogen – und ihn damit unwissentlich zum Ziel von Spott und Häme und tausender Witze gemacht.

      Abgesehen von den offensichtlichen Bestandteilen, kann das Superman-Kostüm aber noch mehr über seinen Träger und seine Wirkung verraten. Seit seiner Erfindung hatte Superman einen ebenso großen Wiedererkennungswert wie Mickey Mouse, Charlie Chaplin oder Santa Claus. Er erregte sofort Aufmerksamkeit und war somit leicht zu vermarkten. Vorher hatte noch nie jemand seinem Protagonisten aggressiv dessen Initiale auf die Brust gepinselt, was eine marketingtechnische Meisterleistung war. Superman trug sein eigenes Logo. Sein Emblem war wie die Fahne seines eigenen Landes, und so wie das Rote Kreuz war er überall willkommen.

      Der rot-blaue Kontrast gab ihm außerdem noch einen patriotischen Touch, und da seine Aktivitäten oft von solchem Ausmaße waren, dass ihre Darstellung von panoramischen Perspektiven profitierte, waren die Primärfarben dabei behilflich, den Helden jederzeit ausmachen zu können, auch wenn dieser bloß als kleiner Punkt vor der Skyline von Metropolis wahrzunehmen war. Der wehende Umhang hatte auch seinen praktischen Nutzen, da er stets die Illusion von tatsächlicher Bewegung und Geschwindigkeit zu vermitteln vermochte – die scharfen, modernen Schnitttechniken des Erzählstils von Siegel und Shuster erledigten den Rest.

      Zurück zum Brustlogo. Superman, der so unverschämt speziell, so absolut individuell war, dass er seine eigene Initiale als Abzeichen vor sich her trug, bestärkte die menschliche Würde, indem er in eine andere Zeit vorgriff. Shuster und Siegel hatten eine Zukunft vor Augen, in der alle ihre eigenen stolzen heraldischen Symbole, die von Anerkennung zeugen sollten, tragen würden. Eine Zukunft, in der Technologie einfach ein Werkzeug sein würde, um die Kreativität und Verbundenheit, die das Geburtsrecht unserer goldenen Super-Ichs sein würde, auszudrücken.

      In Superman manifestieren sich einige der höchsten Erwartungen unserer Spezies. Sie verbinden sich mit der niedrigsten Form der Unterhaltung, wodurch etwas Kraftvolles geboren wurde, auch wenn sich dieses Etwas in Unterhosen zur Schau stellt. Er ist tapfer. Er ist clever. Er gibt niemals auf und lässt nie jemanden im Stich. Er setzt sich für die Schwachen ein und versteht es, Gauner aller Art in ihre Schranken zu weisen. Er kann nicht verletzt oder getötet werden. Er wird nie krank. Er steht hundertprozentig loyal zu seinen Freunden und der Welt, die ihn adoptiert hat. Er ist Apollo, der Sonnengott, die unschlagbare Version des Ichs, die persönliche Größe, von der wir wissen, dass sie uns allen innewohnt.

      Mit anderen Worten war Superman die Wiedergeburt unserer ältesten Idee: Er war ein Gott. Sein Thron überragt den Gipfel des Olymps und, wie Zeus, verkleidet er sich als Sterblicher, um unter den gewöhnlichen Menschen zu wandeln, um mit ihren Dramen und Leidenschaften in Verbindung zu bleiben. Das ist nicht das Ende der Parallelen: Sein „S“ ist ein stilisierter Blitz – die Waffe des Zeus, die strenge Autorität und Gerechtigkeit repräsentiert. Wie Supermans Ursprungsgeschichte von 1939 andeutet – „WÄHREND EIN FERNER PLANET ZUGRUNDE GEHT, SCHICKT EIN WISSENSCHAFTLER SEINEN SOHN IN EINEM HASTIG AUSGERÜSTETEN RAUMSCHIFF RICHTUNG ERDE“ –, war er wie der kleine Moses oder Hindu Karna, der in einem „Körbchen“ auf dem Fluss der Vorbestimmung auf den Weg geschickt wurde. Und dann gibt es da die westliche Gottheit, der Superman am ehesten


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